• Luther 1545 VND Adam erkandte sein Weib Heua / Vnd sie ward schwanger / vnd gebar den Kain / vnd sprach. Jch habe den Man des HERRN.
• Luther 1912 Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit dem HERRN.
Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 4:01
1Mo 4:1 Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit dem HERRN.
4Mo 31:17 So erwürget nun alles, was männlich ist unter den Kindern, und alle Weiber, die Männer erkannt und beigelegen haben;
Biblisches Hebräisch (Masoretischer Text)
וְהָאָדָם יָדַע אֶת־חַוָּה אִשְׁתּוֹ וַתַּהַר וַתֵּלֶד אֶת־קַיִן וַתֹּאמֶר קָנִיתִי אִישׁ אֶת־יְהוָה׃
Veha'adam yadaʿ et-Chavvah ishtô, vattahar vatteled et-Qayin, vattómer: qânîti îsh et-YHWH.
וְהָאָדָם יָדַע (»Und der Mensch erkannte«)
– yadaʿ (»erkennen«) ist ein hebräisches Verb, das intime, personale Erkenntnis beschreibt, oft als Umschreibung für den Geschlechtsverkehr. Es zeigt, dass der Akt nicht bloß biologisch, sondern relational und personal verstanden wird.
אֶת־חַוָּה אִשְׁתּוֹ (»Eva, seine Frau«)
– et markiert das direkte Objekt. ishtô (»seine Frau«) ist im Status konstruktus eine nähere Bestimmung – »Eva, die seine Frau war«. Die eheliche Beziehung wird betont.
וַתַּהַר וַתֵּלֶד (»sie wurde schwanger und gebar«)
– Zwei aufeinanderfolgende Verben im wayyiqtol-Perfekt (Erzählform), zeitlich aufeinanderfolgend: erst die Empfängnis (vattahar), dann die Geburt (vatteled).
אֶת־קַיִן (»den Kain«)
– Qayin ist ein Wortspiel mit dem folgenden Verb qaniti (»ich habe gewonnen«), was auf den Namen hindeutet.
וַתֹּאמֶר קָנִיתִי אִישׁ אֶת־יְהוָה (»und sie sagte: Ich habe einen Mann gewonnen mit dem HERRN«)
– qaniti (von qanah, »erwerben, gewinnen, erzeugen«) – Eva sieht sich offenbar als aktiv Beteiligte an einem göttlichen Schöpfungsakt.
– ish (»Mann«) – ungewöhnlich, da es um ein neugeborenes Kind geht. Möglicherweise Ausdruck von Bedeutung oder Erwartung.
– et-YHWH – umstritten: bedeutet es »mit dem HERRN« (instrumental), »vom HERRN« (ursächlich) oder »einen Mann, nämlich den HERRN« (identifizierend)? Letzteres wurde in der älteren Auslegung christologisch verstanden, ist aber grammatisch und theologisch fragwürdig.
Biblisches Griechisch (Septuaginta)
Καὶ Ἀδὰμ ἔγνω Εὕαν τὴν γυναῖκα αὐτοῦ, καὶ συλλαβοῦσα ἔτεκεν τὸν Κάϊν, καὶ εἶπεν· Ἐκτησάμην ἄνθρωπον διὰ τοῦ Θεοῦ.
Kai Adam egnō Heuan tēn gynaika autou, kai syllabousa eteken ton Kain, kai eipen: Ektēsamēn anthrōpon dia tou Theou.
ἔγνω (»er erkannte«)
– Wie das hebräische yadaʿ, verwendet auch ginōskō hier die Bedeutung von »geschlechtlich erkennen«. Der semitische Ursprung bleibt im Griechischen durch die Wahl des Verbs sichtbar.
συλλαβοῦσα (»empfangend«)
– Aoristpartizip von syllambanō, wörtlich »zusammennehmen« – in diesem Kontext: »empfangen, schwanger werden«. Präzisiert die Abfolge gegenüber dem Hebräischen.
ἔτεκεν τὸν Κάϊν (»sie gebar den Kain«)
– Direkte Entsprechung zu vateled et-Qayin. Die Namensform Kain bleibt fast identisch übernommen.
Ἐκτησάμην ἄνθρωπον διὰ τοῦ Θεοῦ (»Ich habe einen Menschen erworben durch Gott«)
– Ektēsamēn ist das Medium von ktaomai – »erwerben, gewinnen«. Semantisch parallel zu qaniti.
– anthrōpon statt anēr (konkret »Mann«) – also allgemeiner: »Mensch«.
– dia tou Theou (»durch Gott«) – der griechische Text vermeidet die schwierige hebräische Wendung et-YHWH. Statt einer möglichen Identifikation wird klar vermittelt: Gott ist das Mittel oder die Ursache.
Biblisches Latein (Vulgata)
Adam vero cognovit Hevam uxorem suam, quae concepit et peperit Cain, dicens: Possedi hominem per Deum.
cognovit (»er erkannte«)
– Vom Verb cognoscere, wie das griechische ginōskō. Die Bedeutung ist euphemistisch für den Geschlechtsverkehr, in direkter Nachahmung des Hebräischen.
Hevam uxorem suam (»Eva, seine Frau«)
– Parallele Konstruktion: uxorem suam erklärt die Beziehung zu Eva.
concevit et peperit (»sie empfing und gebar«)
– Zwei klare Handlungsverben: concipere (wörtlich »empfangen«) und parere (»gebären«), lateinisch klassisch und eindeutig.
Possedi hominem per Deum (»Ich habe einen Menschen gewonnen durch Gott«)
– possedi von possidere (»besitzen, erlangen«), nah an qaniti und ektēsamēn.
– hominem – ebenfalls neutraler als vir (»Mann«), ähnlich wie in der Septuaginta.
– per Deum – eindeutig instrumentalisierend: nicht »den HERRN« als Objekt, sondern »durch Gott« als Quelle des Lebens.
Zusammenfassung der exegetischen Beobachtungen
• Alle drei Sprachfassungen folgen der Grundstruktur: Erkenntnis → Schwangerschaft → Geburt → Deutung durch Eva.
• Das hebräische yadaʿ betont die personal-intime Dimension des Geschlechtsverkehrs stärker als »erkennen« im heutigen Sprachgebrauch.
• Der Ausdruck qaniti ish et-YHWH ist theologisch und sprachlich besonders komplex – die alten Übersetzungen entschärfen durch Umdeutung: Septuaginta mit dia tou Theou, Vulgata mit per Deum.
• Die Septuaginta mildert das Wortspiel mit Qayin und qaniti – vermutlich, weil es im Griechischen schwer übertragbar ist.
• Die Bezeichnung des Neugeborenen als ish/anthrōpos/homo (statt yeled/païs/infans) zeigt Evas Staunen und vielleicht eine Hoffnung auf göttliche Verheißung (vgl. Gen 3,15), auch wenn keine messianische Aussage explizit gemacht wird.
Vertiefte semantische Analyse
»erkannte« (hebr. יָדַע yadaʿ)
Das hebräische Verb yadaʿ bedeutet wörtlich »erkennen«, hat aber eine vielschichtige Bedeutung, die sowohl kognitive als auch intime, existenzielle Tiefe umfasst. In diesem Kontext steht es für geschlechtliche Vereinigung, doch trägt es zugleich die Bedeutung eines zutiefst personalen, ganzheitlichen Zugangs – Adam »erkennt« Eva nicht nur körperlich, sondern auch als sein Gegenüber in der schöpferischen Einheit.
»sein Weib Eva«
Der Begriff »Weib« (hebr. אִשָּׁה ischah) betont die geschlechtliche Differenz und zugleich die Partnerschaftlichkeit. Die Erwähnung des Namens Eva (Chawwah, »Lebendige«) erinnert an ihre Rolle als Mutter aller Lebendigen (Gen 3,20).
»Ich habe einen Mann gewonnen mit dem HERRN«
Im Hebräischen steht: qānîti ʾîš ʾet-YHWH. Das zentrale Verb qānâ bedeutet »erwerben«, »erzeugen«, »besitzen« oder sogar »erschaffen«. Die Wendung ist ambivalent: Sie kann übersetzt werden als »Ich habe einen Mann erworben mithilfe des HERRN« oder, grammatisch möglich, »Ich habe einen Mann – den HERRN selbst«. Die zweite Lesart impliziert eine tiefe theologische Herausforderung (s.u.).
Tiefere theologische Deutung
Menschliche Mit-Schöpferschaft
Eva deutet die Geburt als schöpferischen Akt in Partnerschaft mit Gott. Das Verhältnis zwischen göttlichem und menschlichem Wirken steht im Zentrum: Der Mensch ist nicht nur passiver Empfänger des Lebens, sondern handelt schöpferisch »mit dem HERRN«. Diese Ko-Schöpfung ist der erste Akt nach dem Sündenfall – sie deutet auf bleibende göttliche Gnade.
Evas Aussage als Hybris oder Glaube?
Die Formulierung »Ich habe einen Mann gewonnen mit dem HERRN« wurde auch als Ausdruck weiblicher Hybris gedeutet – etwa im Sinne: Ich habe (wie Gott) einen Menschen geschaffen. In patristischer Auslegung wurde diese Aussage teils kritisch als Übermaß an Selbstbewusstsein gelesen. Doch andere Deutungen sehen darin eine tief gläubige Anerkennung göttlicher Wirkmacht inmitten menschlicher Gebrochenheit.
Messianische Hoffnung?
In der jüdischen und christlichen Tradition wurde diskutiert, ob Eva in Kain den »verheißenen Nachkommen« aus Gen 3,15 zu erkennen glaubte – also den Besieger der Schlange. In dieser Sicht wäre der Satz Ausdruck messianischer Hoffnung: Eva glaubt, dass mit Kain das Heil anbricht. Die spätere Tragik seiner Taten würde diese Hoffnung jedoch bitter enttäuschen.
Rezeptionsgeschichtliche Vertiefung
Jüdische Auslegungstradition (Midrasch, Targumim)
Im Midrasch (z. B. Bereschit Rabba) und in Targumübersetzungen wird Evas Aussage oft als staunende Erkenntnis gedeutet, dass der Mensch an Gottes schöpferischem Tun beteiligt ist. Einige rabbinische Stimmen spielen mit der Idee, Eva habe gar geglaubt, den Messias geboren zu haben. Der Targum Onkelos übersetzt eher zurückhaltend: »Ich habe einen Mann durch die Hilfe des HERRN«.
Patristische Stimmen
Kirchenväter wie Augustinus oder Ambrosius sehen in Evas Aussage einen Ausdruck der Ambivalenz menschlicher Fruchtbarkeit nach dem Sündenfall: Die Geburt Kains als erstes Kind ist ein Wunder und zugleich der Beginn der Leidensgeschichte der Menschheit. Für Augustinus spiegelt sich hier der Übergang von paradiesischer Unschuld zu einer Welt, in der das Leben von Schuld und Tod durchzogen ist.
Mystische und reformatorische Rezeption
Mystiker des Mittelalters (z. B. Hildegard von Bingen, später auch Meister Eckhart) sahen in dieser Szene eine Vorahnung der göttlichen Geburt in der Seele: Wie Eva »mit dem Herrn« gebiert, so wird in der Seele Christus »mit Gott« geboren.
Luther wiederum erkennt in dieser Stelle den Beweis, dass der Mensch nur durch Gottes Mitwirkung wirklich leben schenken kann – und dass jede Geburt Zeichen göttlicher Gnade ist.
Schlussgedanke
Genesis 4,1 ist mehr als eine bloße Geburtsnotiz. Der Vers enthält eine tiefe Spannung zwischen Hoffnung und Tragik, zwischen göttlicher Nähe und menschlichem Irrtum. In Evas Worten spiegelt sich das erste theologische Deuten menschlicher Fruchtbarkeit: Sie steht zwischen Dank, Staunen, Selbstdeutung – und vielleicht auch Missverstehen. Die Deutung dieses Verses bleibt darum auch ein Spiegel der jeweiligen theologischen und existenziellen Perspektive des Auslegenden.
Literarische und kulturgeschichtliche Einordnung
• Genesis 4,1 markiert nicht nur die erste Geburt in der biblischen Überlieferung, sondern auch die erste Fortpflanzung eines Menschen durch einen anderen Menschen – ein Übergang von göttlichem Schöpfungshandeln zur menschlichen Zeugungskraft. Das hebräische Wort yadaʿ (»erkennen«) für den Geschlechtsakt trägt eine tiefere Bedeutung: Es impliziert Intimität, Erkenntnis, Beziehung. Die Geburt Kains ist somit nicht bloß ein biologischer Vorgang, sondern ein existenzielles, relationales Ereignis.
• Eva sagt: »Ich habe einen Mann gewonnen mit dem HERRN« – im Hebräischen heißt es qaniti ish et-YHWH (wörtlich: »Ich habe einen Mann erworben mit/als Hilfe YHWHs«). Das Verb qanah (»erwerben, schaffen«) klingt wie ein Wortspiel zum Namen Kain (Qayin), was bereits eine Deutungshandlung in der Namensgebung andeutet. Einige rabbinische und patristische Deutungen heben hervor, dass Eva sich hier in schöpferischer Kooperationsbeziehung zu Gott sieht – eine fast schöpferisch-göttliche Partizipation.
• Kulturgeschichtlich steht die Szene am Anfang einer dichten Traditionslinie über Ursprung, Geschlechtlichkeit, Mutterschaft und Gewalt: Denn Kain, der Erstgeborene, wird bald zum ersten Mörder. Das Motiv des »Erkenntnis«-Akts mit all seinen Folgen ist in Mythen anderer Kulturen (etwa mesopotamische Schöpfungserzählungen) ebenfalls präsent, aber in der biblischen Form zugespitzt auf moralische, spirituelle und zwischenmenschliche Dimensionen.
Resonanz in Dantes Divina Commedia
• In Dantes Commedia wird Genesis 4,1 nicht explizit zitiert, aber sie hallt auf mehreren Ebenen nach – insbesondere in den Vorstellungen von Ursprung, Sünde, Erkenntnis und Namen.
• Kain selbst tritt prominent in Dantes Inferno auf, allerdings nicht als konkrete Figur, sondern in symbolischer Weise. Im Inferno Canto 20, Vers 126 spricht Dante von dem »Feld des Kain« (campagna di Caino), einer Metapher für den Mond, auf dem nach volkstümlicher Vorstellung ein Mann mit einem Dornbündel wandert – identifiziert mit Kain, der für seinen Brudermord verflucht wurde. Der Ursprung dieses Bildes liegt in mittelalterlicher Exegese und volkstümlichen Legenden.
• Dante verarbeitet die Kain-Figur somit als Urbild des Brudermörders und des von Gott Gezeichneten – eine direkte Nachwirkung der Szene in Gen 4,1: die Geburt Kains als Beginn der Geschichte menschlicher Schuld.
• Darüber hinaus thematisiert Dante wiederholt die Beziehung zwischen göttlichem Schöpferwirken und menschlicher Mitwirkung – etwa im Paradiso Canto 7, wo die Inkarnation Christi im Spannungsfeld von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit reflektiert wird, was auf theologische Weise an Evas Wort »mit dem HERRN« anknüpft.
Anthropologische und mystische Perspektiven
• Anthropologisch markiert Genesis 4,1 den Eintritt des Menschen in die Geschichte – durch Geschlecht, Fortpflanzung, Generation. Der Mensch ist nicht mehr nur creatura, sondern pro-creatura: Er zeugt, schafft, benennt. Diese Mit-Schöpferrolle ist ambivalent: Sie kann zum Guten führen (Kultur, Leben) oder ins Böse abgleiten (Gewalt, Kain).
• Die mystische Tradition liest den Vers oft tiefer. In der jüdischen Kabbala etwa ist die sexuelle Vereinigung ein Abbild der himmlischen Vereinigungen (z.B. zwischen den Sefirot Tiferet und Malkut). Die Erkenntnis (yadaʿ) wird zur Metapher für spirituelle Vereinigung – wie in vielen mystischen Texten die geschlechtliche Vereinigung Bild für das Einswerden mit Gott ist.
• Im christlichen Kontext, besonders bei Mystikern wie Johannes vom Kreuz, wird das Bild der »geistlichen Geburt« bedeutsam. Evas Wort kann dann als archetypisches Symbol für die Seele verstanden werden, die im Liebesakt mit Gott neues Leben »gebiert« – der Mensch als Ort der göttlichen Wirkung, als schöpferischer Resonanzraum.
• In Summe ist Genesis 4,1 ein vielschichtiger Ursprungsvers: Er markiert eine Schwelle – von Paradies zu Geschichte, von Schöpfung zu Geburt, von göttlichem Alleinwirken zur geteilten Verantwortung des Menschen. In Dantes Commedia, in der mystischen Literatur wie in anthropologischen Reflexionen hallt dieser Vers in immer neuen Dimensionen nach.
Jüdische Auslegungstraditionen
1.1. Der Ausdruck »erkannte« (»jada«)
Im Hebräischen steht »erkennen« für eine intime, personale Beziehung – hier konkret für den Geschlechtsverkehr. Rabbinische Kommentare betonen aber, dass das Wort »erkennen« eine tiefere Beziehung meint als bloß körperliche Vereinigung: ein Wissen, das auch Verantwortung und Verbindung beinhaltet.
1.2. Eva als Mitschöpferin
Die rabbinische Literatur (z. B. Midrasch Bereschit Rabba 22,2) bezieht sich auf Evas Aussage: »Ich habe einen Mann gewonnen mit dem HERRN«. Einige Rabbinen deuten das so, dass Eva sich selbst als Mitschöpferin mit Gott sieht. R. Akiva sagte etwa: »Drei sind an der Erschaffung des Menschen beteiligt: der Vater, die Mutter und der Heilige, gelobt sei Er«. Die Formulierung »mit dem HERRN« (עִם יְהוָה) wurde manchmal fast kühn als Ausdruck gedeutet, dass der Mensch als Mitschöpfer wirkt.
1.3. Kain – Besitz und Gewalt
Der Name »Kain« wird im Hebräischen mit dem Verb qaniti (קָנִיתִי – »ich habe erworben«) verbunden. Einige jüdische Kommentatoren sahen in diesem Ausdruck bereits einen Hinweis auf Besitzdenken, das später in Kains Geschichte zur Gewalt führen wird. Eva spricht davon, etwas »gewonnen« oder »erworben« zu haben – was manche als erste Andeutung menschlichen Stolzes oder der Aneignung deuten.
Christliche Auslegungstraditionen
2.1. Augustinus: Zeugung und Erbsünde
Augustinus betonte die Verbindung zwischen Geschlechtlichkeit und Erbsünde. Für ihn ist der Ausdruck »erkannte« auch ein Hinweis darauf, dass nach dem Sündenfall die Sexualität durch Begierde geprägt ist. Die Geburt Kains wird zum ersten Akt einer Menschheit, die bereits außerhalb des Paradieses steht. Seine Interpretation ist geprägt von einer pessimistischen Anthropologie.
2.2. Maria als Gegenbild Evas
Die Kirchenväter sahen in Eva oft die »Mutter des Todes«, während Maria als neue »Mutter des Lebens« (vgl. Irenäus von Lyon) galt. Evas »Gewinn« eines Sohnes mit Hilfe des HERRN steht im Kontrast zur jungfräulichen Empfängnis Mariens: Während Eva durch den Mann mit Gottes Hilfe einen Sohn empfängt, empfängt Maria durch den Geist – ohne Mann – den Sohn Gottes.
2.3. Luther: Glaube und Hoffnung Evas
Martin Luther sah in Evas Worten ein Bekenntnis des Glaubens: »Ich habe den Mann, den HERRN« – und deutete dies als Hoffnung, dass Kain der verheißene Retter (vgl. Gen 3,15) sei. Luther übersetzte und interpretierte entsprechend: »Ich habe den Mann, den HERRN«, was theologisch sehr gewichtig ist, weil Eva demnach Kain als Messias verstehen würde. Diese Auslegung betont die Hoffnung der ersten Menschen auf Erlösung.
2.4. Reformatorische Auslegungen
Auch Calvin nahm Evas Worte ernst und wies auf ihre Verbindung zu Gottes Verheißung hin. Er betonte allerdings, dass Eva möglicherweise überinterpretiert habe – dass sie dachte, die Verheißung erfülle sich sofort, während Gottes Heilsplan anders verlief.
Theologische Leitlinien im Vergleich
• Menschliche Mitschöpfung: Beide Traditionen erkennen in Evas Aussage einen Akt schöpferischer Beteiligung – im Judentum wird dies positiv als Teilhabe am göttlichen Schaffen gedeutet, im Christentum oft ambivalenter.
• Der Name Kain: Im Judentum mit dem Erwerb oder Besitz verknüpft, im Christentum oft als Ausdruck einer überzogenen Hoffnung oder gar Hybris.
• Gottesmitwirkung: In beiden Traditionen wird Evas Formulierung »mit dem HERRN« intensiv diskutiert – entweder als Ausdruck von Dankbarkeit, Stolz oder missverstandener Verheißung.