Genesis 03:19

Luther 1545 Jm schweis deines Angesichts soltu dein Brot essen / Bis das du wider zu Erden werdest / da von du genomen bist / Denn du bist Erden / vnd solt zu Erden werden.
Luther 1912 Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.

genesis 3

Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 3:19

1Mo 3:19 Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zur Erde kehrst, von der du genommen bist; denn du bist Staub und kehrst wieder zum Staub zurück!
1Mo 23:4 Ich bin ein Fremdling und Beisaße bei euch, gebt mir ein Erbbegräbnis bei euch, daß ich meine Tote von meinem Angesicht entfernt begraben kann!
Hiob 17:13 da ich doch erwarte, daß der Scheol meine Wohnung wird und ich mein Lager in der Finsternis aufschlagen muß;
Hiob 19:26 Und nachdem diese meine Hülle zerbrochen ist, alsdann werde ich, von meinem Fleische los, Gott schauen.
Hiob 21:26 Gemeinsam liegen sie im Staube, und Gewürm bedeckt sie beide.
Hiob 34:15 so würde alles Fleisch miteinander vergehen und der Mensch wieder zum Staube kehren.
Ps 22:15 Meine Kraft ist vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen, und du legst mich in des Todes Staub.
Ps 22:29 Es werden essen und anbeten alle Großen der Erde; vor ihm werden ihre Knie beugen alle, die in den Staub hinabfahren, und wer seine Seele nicht lebendig erhalten kann.
Ps 104:29 verbirgst du dein Antlitz, so erschrecken sie; nimmst du ihren Odem weg, so vergehen sie und werden wieder zu Staub;
Spr 21:16 Ein Mensch, der vom Wege des Verstandes abirrt, wird ruhen in der Versammlung der Schatten.
Pred 3:20 Alle gehen an einen Ort: alles ist aus dem Staube geworden, und alles kehrt auch wieder zum Staub zurück.
Pred 12:7 und der Staub wieder zur Erde wird, wie er gewesen ist, und der Geist zu Gott zurückkehrt, der ihn gegeben hat.
Dan 12:2 Und viele von denen, die im Erdenstaube schlafen, werden aufwachen; die einen zu ewigem Leben, die andern zu ewiger Schmach und Schande.
Röm 5:12 Darum, gleichwie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod, und so der Tod zu allen Menschen hindurchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben
1Kor 15:21 Denn weil der Tod kam durch einen Menschen, so kommt auch die Auferstehung der Toten durch einen Menschen;
1Kor 15:22 denn gleichwie in Adam alle sterben, so werden auch in Christus alle lebendig gemacht werden.
1Mo 2:7 Da bildete Gott der HERR den Menschen, Staub von der Erde, und blies den Odem des Lebens in seine Nase, und also ward der Mensch eine lebendige Seele.
1Mo 18:27 Und Abraham antwortete und sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, mit meinem Herrn zu reden, obwohl ich nur Staub und Asche bin!
Pred 1:3 Was bleibt dem Menschen von all seiner Mühe, womit er sich abmüht unter der Sonne?
Pred 1:13 Ich ergab mein Herz, die Weisheit zu befragen und mich bei ihr zu erkundigen über alles, was unter dem Himmel getan wird. Das ist eine leidige Mühe, die Gott den Menschenkindern gegeben hat, daß sie sich damit plagen sollen.
Eph 4:28 Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern bemühe sich vielmehr mit seinen Händen etwas Gutes zu erarbeiten, damit er dem Dürftigen etwas zu geben habe.
1Thess 2:9 Denn ihr erinnert euch, ihr Brüder, unsrer Arbeit und Mühe; wir arbeiteten Tag und Nacht, um niemand von euch beschwerlich zu fallen, und predigten euch dabei das Evangelium Gottes.
2Thess 3:10 Denn als wir bei euch waren, geboten wir euch dies: wenn jemand nicht arbeiten will, soll er auch nicht essen.
Hiob 1:21 Und er sprach: Nackt bin ich von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahingehen; der HERR hat gegeben, der HERR hat genommen, der Name des HERRN sei gelobt!
Ps 90:3 Du wandelst den Sterblichen in Staub und sprichst: Kehret zurück, ihr Menschenkinder!
Ps 104:29 verbirgst du dein Antlitz, so erschrecken sie; nimmst du ihren Odem weg, so vergehen sie und werden wieder zu Staub;
Pred 5:15 So nackt, wie er von seiner Mutter Leibe gekommen ist, geht er wieder dahin und kann gar nichts für seine Mühe mitnehmen, das er in seiner Hand davontragen könnte.

Hebräisch (Masoretischer Text)

Biblisches Hebräisch

בְּזֵעַת אַפֶּיךָ תֹּאכַל לֶחֶם עַד שֻׁבְּךָ אֶל־הָאֲדָמָה כִּי מִמֶּנָּה לֻקָּחְתָּ כִּי עָפָר אַתָּה וְאֶל־עָפָר תָּשׁוּב׃
Bezé'at appécha to'chal léchem, ad schuvcha el-ha'adamá, ki mimména luqqachta, ki 'afar atah ve'el-'afar tashuv.
בְּזֵעַת אַפֶּיךָ (bezé'at appécha) – »im Schweiß deines Angesichts«
→ זֵעַ (ze‘a) = Schweiß; אף ('af) = Nase, Gesicht, Zorn. Die Wendung betont die Mühe des Broterwerbs unter harter Arbeit.
תֹּאכַל לֶחֶם (to'chal léchem) – »sollst du Brot essen«
→ אכל (achal) im Imperfekt = ständige, wiederholte Handlung. לחם (léchem) = nicht nur Brot, sondern Grundnahrung.
עַד שֻׁבְּךָ אֶל־הָאֲדָמָה (‘ad schuvcha el-ha'adamá) – »bis du zurückkehrst zur Erde«
→ שוב (schuv) = zurückkehren, umkehren. אדמה (adamá) = Ackererde, semantisch verwandt mit אדם (adam, Mensch).
כִּי מִמֶּנָּה לֻקָּחְתָּ (ki mimménah luqqachta) – »denn von ihr bist du genommen worden«
→ Passivform luqqachta von לקח = nehmen. Die Herkunft des Menschen aus der Erde wird betont.
כִּי עָפָר אַתָּה וְאֶל־עָפָר תָּשׁוּב (ki ‘afar atah ve'el-‘afar tashuv) – »denn Staub bist du und zum Staub wirst du zurückkehren«
→ עָפָר (‘afar) = Staub, trockene Erde – Symbol für Vergänglichkeit. Das Verb תשוב ist Imperfekt 2.m.sg. von שוב = »du wirst zurückkehren«.
Besonderheit: Der Vers enthält eine Klammerstruktur: Von Erde genommen → zum Staub zurück. Der Mensch ist ein vergängliches Wesen – in Spannung zur ursprünglichen göttlichen Berufung.

Biblisches Griechisch (Septuaginta)

ἐν τῷ ἱδρῶτί σου τοῦ προσώπου σου φαγῇ τὸν ἄρτον σου ἕως τοῦ ἀποστρέψαι σε εἰς τὴν γῆν ἐξ ἧς ἐλήμφθης· ὅτι γῆ εἶ καὶ εἰς γῆν ἀπελεύσῃ.
en tō hidrōti sou tou prosōpou sou phagē ton arton sou heōs tou apostrepsai se eis tēn gēn ex hēs elēmphthēs; hoti gē ei kai eis gēn apelēusei.
ἐν τῷ ἱδρῶτί σου τοῦ προσώπου σου (en tō hidrōti sou tou prosōpou sou) – »im Schweiß deines Gesichts«
→ ἱδρώς = Schweiß; πρόσωπον = Gesicht, Antlitz; wie im Hebräischen betont es körperliche Mühsal.
φαγῇ τὸν ἄρτον σου (phagē ton arton sou) – »wirst du dein Brot essen«
→ Aorist Konjunktiv passender zu einer wiederholten, notwendigen Handlung im Kontext der Lebensrealität.
ἕως τοῦ ἀποστρέψαι σε εἰς τὴν γῆν (heōs tou apostrepsai se eis tēn gēn) – »bis du zur Erde zurückkehrst«
→ ἀποστρέφω = sich abkehren, zurückkehren. Hebräisch שוב entspricht hier ἀποστρέψαι.
ἐξ ἧς ἐλήμφθης (ex hēs elēmphthēs) – »von der du genommen worden bist«
→ Passivform von λαμβάνω (nehmen). Wörtlich: »empfangen worden bist«.
ὅτι γῆ εἶ καὶ εἰς γῆν ἀπελεύσῃ (hoti gē ei kai eis gēn apelēusei) – »denn du bist Erde und zur Erde wirst du gehen«
→ ἀπελεύσῃ (Futur von ἀπέρχομαι) = »weggehen, entschwinden« – betont die Endgültigkeit.
Besonderheit: Die griechische Übersetzung rückt die Rückkehr zur Erde semantisch leicht ins Eschatologische – mit dem Verbum ἀπελεύσῃ schwingt ein Moment des Loslösens mit.

Latein (Vulgata)

In sudore vultus tui vesceris pane, donec revertaris in terram de qua sumptus es: quia pulvis es et in pulverem reverteris.
in sudore vultus tui – »im Schweiß deines Angesichts«
→ sudor = physische Anstrengung. vultus umfasst Mimik, Präsenz, Antlitz.
vesceris pane – »wirst du dich vom Brot nähren«
→ vescor ist ein Deponens: grammatikalisch passiv, semantisch aktiv. Ausdruck kultivierter Sprache.
donec revertaris in terram de qua sumptus es – »bis du zur Erde zurückkehrst, aus der du genommen wurdest«
→ revertaris = Konjunktiv Futurisch im Latein der Vulgata (deutet zeitlichen Ablauf an); sumptus = Perfekt Passiv von sumere.
quia pulvis es et in pulverem reverteris – »denn du bist Staub und wirst zum Staub zurückkehren«
→ pulvis = feiner Staub, Asche. reverteris wieder im Futurisch-Konjunktiv gelesen, unterstreicht Endgültigkeit.
Besonderheit: Die Vulgata formuliert sehr prägnant und bildkräftig. Der Gegensatz sumptus es – reverteris strukturiert den Vers zyklisch: Herkunft und Ende des Menschen als Staub.
Zusammenfassung
In allen drei Sprachstufen betont der Vers die Mühsal menschlicher Arbeit als Folge der Entfremdung vom paradiesischen Zustand. Die Rückkehr zur Erde wird jeweils mit anderen Nuancen dargestellt:
Hebräisch: betont Nähe zwischen Mensch (adam) und Ackererde (adamah) und die radikale Vergänglichkeit (‘afar).
Griechisch: verwendet Ausdrücke mit teils stärkerer Trennung und Endgültigkeit des Todes (apelēusei).
Lateinisch: knappe, nüchterne Sprache, die auf Gericht und Kreislauf der Schöpfung verweist (pulvis – pulverem).

Vertiefte semantische Analyse

»Im Schweiße deines Angesichts«
Diese Wendung ist ein hebräisches Idiom (beze'at apecha, בְּזֵעַת אַפֶּיךָ), das wörtlich »im Schweiß deines Gesichts« bedeutet. Es beschreibt nicht nur körperliche Anstrengung, sondern steht emblematisch für das mühevolle, entwürdigende Arbeiten als Folge der Vertreibung aus dem paradiesischen Zustand. Die Nähe des Gesichts zur Schweißquelle betont die unmittelbare persönliche Betroffenheit: Arbeit wird zum existenziellen Kampf ums Überleben.
»sollst du dein Brot essen«
»Brot« steht hier pars pro toto für Nahrung allgemein, aber auch für das Lebensnotwendige – das tägliche Überleben. Das Verb »essen« verweist auf die elementare Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme, aber durch den Zusammenhang wird deutlich: Sie ist fortan nur unter Mühsal zu erlangen.
»bis daß du wieder zu Erde werdest«
Das »bis« (ʿad im Hebräischen) markiert eine Begrenzung, eine Rückkehr zum Ursprung. Das Menschsein ist von nun an von Sterblichkeit geprägt. Die Umkehrung des Schöpfungsakts – der Mensch wurde aus Erde geformt – wird zur finalen Bestimmung: »Zurück zur Erde.«
»denn du bist Erde«
Das ist keine bloße Feststellung, sondern eine existenzielle Definition: Der Mensch ist adam aus adamah (hebräische Wortverwandtschaft). Diese Aussage entmystifiziert den Menschen, reduziert ihn auf seine Materialität und erinnert ihn an seine Geschöpflichkeit.
»und sollst zu Erde werden«
Diese Formulierung verstärkt den zyklischen Charakter: Was aus Erde kam, kehrt zur Erde zurück – ein Bild für Vergänglichkeit, aber auch für die durchgängige Verwobenheit von Leben, Tod und Natur.

Tiefere theologische Deutung

Dieser Vers markiert theologisch einen zentralen Wendepunkt: den Beginn der conditio humana nach dem Sündenfall. Aus theologischer Perspektive enthält er mehrere Dimensionen:
Anthropologie der Gefallenheit:
Der Mensch wird in seiner ursprünglichen Bestimmung als Bild Gottes (Gen 1,27) hier von einem Fluch überlagert, der ihn in Mühsal, Arbeit und Sterblichkeit stellt. Die Nähe zur Erde verweist auf seine Abhängigkeit, aber auch seine Beschränkung – eine Gegenthese zur göttlichen Transzendenz.
Theologie der Arbeit:
Arbeit ist nicht mehr schöpferische Entfaltung, sondern Last. Doch in dieser Mühsal liegt auch ein Moment der Erlösung: Die Arbeit bindet den Menschen an die Erde, lässt ihn Teilhabe an der Schöpfung üben – wenn auch unter der Last des Fluches. Spätere christliche Theologie, etwa bei Paulus (Röm 8,20ff.), sieht hier eine Spannung: Die Schöpfung liegt unter dem Fluch, sehnt sich aber nach Erlösung.
Eschatologische Dimension:
»Bis du wieder zur Erde werdest« verweist auf eine Endlichkeit, die das irdische Leben nicht absolut setzt. Die Grenze des Todes öffnet in christlicher Deutung Raum für das Heilshandeln Gottes – das Versprechen von Auferstehung und neuem Leben (vgl. 1 Kor 15,47–49: »Der erste Mensch ist von der Erde und irdisch…«).
Symbolik der Erde:
Die Erde ist sowohl Ursprung als auch Ziel – ein Zeichen der Geschöpflichkeit, aber auch der Kontinuität und Wandlung. Die jüdische Mystik, aber auch christliche Spiritualität (etwa Franz von Assisi: »Schwester Mutter Erde«) lesen hierin ein Zeichen der tiefen Verbindung zwischen Mensch und Kosmos.

Rezeptionsgeschichtliche Vertiefung

Jüdische Auslegung:
Im rabbinischen Judentum wird Gen 3,19 oft als Ursprung der Halacha über die Arbeit und über den Tod gedeutet. Der Midrasch betont, dass der Tod nicht als Strafe, sondern als notwendige Folge der Distanz zum göttlichen Leben verstanden werden kann. Gleichzeitig wird die Mühsal als Möglichkeit zur Tikkun (Wiederherstellung) gesehen: Der Mensch erlöst durch sein Arbeiten im Gehorsam gegen Gottes Willen ein Stück der gefallenen Welt.
Kirchenväter:
Augustinus interpretiert diesen Vers im Rahmen seiner Erbsündenlehre: Der Mensch ist seit Adam durch Schuld verstrickt in eine Existenz der Mühsal und Sterblichkeit. Die Rückkehr zur Erde ist Ausdruck der Gerechtigkeit Gottes – aber auch Voraussetzung für die erlösende Gnade Christi.
Mittelalterliche Mystik:
Mystiker wie Meister Eckhart oder Johannes Tauler lesen den Aspekt der Rückkehr zur Erde als Bild für die spirituelle Entleerung des Selbst: Der Mensch muss »nichts« werden, um Gott zu finden. »Zur Erde werden« ist dann nicht nur Strafe, sondern Weg zur Selbstüberwindung.
Reformation:
Luther nimmt den Text wörtlich und existenziell ernst. Arbeit ist Folge des Fluchs, aber sie wird durch den Glauben im Alltagsleben zur »Berufung« (Berufsethik). Der Tod ist unausweichlich, aber wird durch Christus entmachtet. In Luthers Lehre klingt mit: Die Rückkehr zur Erde ist nicht das Ende, sondern Durchgang zur Auferstehung.
Moderne Deutungen:
Theologen des 20. Jahrhunderts, etwa Paul Tillich oder Jürgen Moltmann, lesen den Vers auch ökologisch und existentialistisch: Der Mensch ist »Erde« – begrenzt, verwoben mit der Schöpfung, aufgerufen zu Demut. Die Rückbindung an die Erde wird zum Aufruf zu Verantwortung in einer bedrohten Welt.

Fazit

Genesis 3,19 verdichtet in dichter Sprache eine ganze Anthropologie des Menschseins: Mühe, Endlichkeit, Rückkehr zum Ursprung. Theologisch gesehen ist dieser Vers nicht bloß Ausdruck von Strafe, sondern Einladung zur Besinnung auf das Wesentliche: die Abhängigkeit vom Schöpfer, die Kostbarkeit des Lebens und die Hoffnung über den Tod hinaus.

Literarische und kulturgeschichtliche Einordnung

• Der Vers steht im Kontext des sogenannten Sündenfalls, der in Genesis 3 das zentrale theologische Urdrama der Menschheit erzählt: Der Mensch isst vom Baum der Erkenntnis, wird sich seiner Nacktheit bewusst, und wird aus dem paradiesischen Zustand vertrieben. In Vers 19 konkretisiert sich die Strafe, die Adam als Symbol des »allgemeinen Menschen« trifft: Arbeit wird mühsam, das Leben wird endlich.
• Die Formulierung »Im Schweiße deines Angesichts« wurde sprichwörtlich für die Mühsal des menschlichen Lebens, insbesondere der Arbeit. Die zweite Hälfte – »du bist Erde und sollst zu Erde werden« – enthält eine existentielle Wahrheit über den Tod und die Vergänglichkeit. Die Metapher der Rückkehr zur Erde (hebräisch adamah, von der auch Adam abgeleitet ist) verweist auf die enge Verbindung zwischen Mensch und Materie.
• In der Literaturgeschichte wurde der Vers immer wieder als Ausdruck der tragischen Conditio humana aufgegriffen. Er prägt mittelalterliche Meditationen über Tod und Vergänglichkeit (z. B. memento mori), ist in der Liturgie der Aschermittwochszermonie zentral (»Bedenke, Mensch, dass du Staub bist…«) und bildet die Folie für viele barocke Vanitas-Darstellungen.

Resonanz in Dantes Divina Commedia

• Dante übernimmt diese biblische Anthropologie, erweitert sie jedoch durch eine metaphysisch-moralische Ordnung. Die Divina Commedia ist durchzogen von der Vorstellung, dass der Mensch, von göttlicher Herkunft, aber der Erde verhaftet, zur Transzendenz berufen ist – und durch sein Handeln entscheidet, ob er zur Erde zurücksinkt oder zum göttlichen Ursprung zurückkehrt.
• Die Vorstellung des Menschen als Erde, die durch den Sündenfall aus der göttlichen Ordnung gefallen ist, wird vor allem im Inferno deutlich. Dante begegnet dort jenen, die durch Gier, Hochmut oder Wollust »erdgebunden« blieben. Etwa im 6. Gesang (die Völlerei), wo die Seelen im Schmutz liegen, betont Dante die animalische, erdverhaftete Natur des Menschen, wenn er dem höheren Streben nicht folgt.
• In Purgatorio hingegen beginnt der Weg der Läuterung, der zurück zur ursprünglich gedachten Ordnung führt. Besonders eindrücklich ist die Szene im 25. Gesang des Purgatorio, wo Statius über die Entstehung der menschlichen Seele spricht – ein Moment, der die Verbindung von Leib (Erde) und Geist (göttlicher Funke) theologisch-poetisch ausbalanciert.
• Im Paradiso schließlich ist der Mensch nicht mehr an den »Schweiß« und die »Erde« gebunden, sondern in einem Zustand reiner, göttlicher Energie – er hat sich aus der Erdbestimmung gelöst, indem er das göttliche Ziel verwirklicht hat. Damit hebt Dante die Genesis-Botschaft dialektisch auf: Der irdische Fluch ist real, aber überwindbar.

Moderne Anthropologie

• Die Anthropologie der Moderne – in ihrer philosophischen, soziologischen und biologischen Gestalt – hat diesen Vers aus Genesis 3,19 oft implizit mitverhandelt. Die Betonung der Materialität des Menschen, seine Erdgebundenheit und Endlichkeit, ist heute zentraler denn je, etwa in den Diskursen der posthumanistischen Anthropologie, der Umweltethik und der Neurobiologie.
• Denkfiguren wie »der Mensch als Teil der Natur«, wie sie in der anthropozentrismuskritischen Philosophie (etwa bei Bruno Latour oder Donna Haraway) formuliert werden, greifen unbewusst auf die alte Genesis-Botschaft zurück: Der Mensch ist nicht über die Natur erhaben, sondern aus ihr hervorgegangen – du bist Erde. Die ökologischen Krisen der Gegenwart zwingen zudem zu einer Wiederaneignung dieser Erkenntnis.
• Auch Martin Heidegger greift das Motiv in seiner Konzeption des Seins-zum-Tode auf: Die Sterblichkeit des Menschen sei kein Defizit, sondern Grundbedingung seines Daseins. Seine »Geworfenheit« (in die Welt, in die Erde) macht ihn nicht weniger, sondern überhaupt erst zum denkenden Wesen.
• Und in der künstlerischen Anthropologie (etwa bei Joseph Beuys) wird der Rückbezug zur Erde – im wörtlichen wie symbolischen Sinn – als Akt kultureller Selbstvergewisserung verstanden: Der Mensch ist verantwortlich für das, was er aus der Erde macht – und aus sich selbst.

Fazit

Genesis 3,19 ist kein bloßes Strafurteil, sondern ein poetischer Kerntext der abendländischen Anthropologie. Er thematisiert Arbeit, Sterblichkeit und Erdverbundenheit in einer Weise, die sowohl in der mittelalterlichen Theologie als auch in der modernen Philosophie nachklingt. Dante übernimmt diesen Vers als Hintergrundfolie seiner kosmologischen Dichtung, um den Fall und die mögliche Rückkehr des Menschen ins Göttliche zu schildern. Die moderne Anthropologie schließlich erkennt in der Erdverbundenheit keine Schande, sondern ein Moment der Einsicht – und vielleicht der Umkehr.

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01 Die Schoepfung

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