• Luther 1545 Dorn vnd Disteln sol er dir tragen / vnd solt das Kraut auff dem felde essen.
• Luther 1912 Dornen und Disteln soll er dir tragen, und sollst das Kraut auf dem Felde essen.
Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 3:18
1Mo 3:18 Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Gewächs des Feldes essen.
Hiob 1:21 Und er sprach: Nackt bin ich von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahingehen; der HERR hat gegeben, der HERR hat genommen, der Name des HERRN sei gelobt!
Ps 90:3 Du wandelst den Sterblichen in Staub und sprichst: Kehret zurück, ihr Menschenkinder!
Ps 104:2 du, der in Licht sich hüllt wie in ein Gewand, der den Himmel ausspannt wie ein Zelt,
Ps 104:14 Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Pflanzen, die der Mensch bearbeiten soll, um Nahrung aus der Erde zu ziehen;
Ps 104:15 und damit der Wein des Menschen Herz erfreue und seine Gestalt schön werde vom Öl und das Brot das Herz des Menschen stärke.
Röm 14:2 Einer glaubt, alles essen zu dürfen; wer aber schwach ist, ißt Gemüse.
Jos 23:13 daß der HERR, euer Gott, diese Völker nicht mehr vor euch vertreiben wird; sondern sie werden euch zum Fallstrick und zur Schlinge und zur Geißel an eurer Seite werden und zu Dornen in euren Augen, bis ihr vertilgt seid aus diesem guten Lande, das der HERR, euer Gott, euch gegeben hat.
Hiob 5:5 seine Ernte fraß der Hungrige und nahm sie ihm aus den Dornen heraus, und sein Vermögen schnappten die Habgierigen weg.
Hiob 31:40 so soll er statt Weizen Dornen tragen und Unkraut anstatt der Gerste! Zu Ende sind die Reden Hiobs.
Spr 22:5 Dornen und Schlingen sind auf dem Wege des Verkehrten; wer seine Seele bewahren will, bleibe fern davon!
Spr 24:31 und siehe, er ging ganz in Disteln auf, und Nesseln überwucherten ihn, und seine Mauer war eingestürzt.
Jes 5:6 Ich will ihm den Garaus machen, daß er weder beschnitten noch gehackt werden soll, und es sollen Dornen und Disteln darauf wachsen. Ich will auch den Wolken verbieten, auf ihn zu regnen.
Jes 7:23 Zu jener Zeit wird jeder Ort, wo tausend Weinstöcke im Wert von tausend Silberlingen standen, zu Hecken und Dornen werden;
Jes 32:13 wegen der Äcker meines Volkes, daß sie in Dornen und Disteln aufgehen, ja, wegen all der wonnigen Häuser in der fröhlichen Stadt!
Jer 4:3 Denn also spricht der HERR zu den Männern von Juda und Jerusalem: Pflüget einen Neubruch und säet nicht unter die Dornen!
Jer 12:13 Sie haben Weizen gesät und Dornen geerntet, sie haben sich abgemüht und doch nichts erzielt; so müßt ihr zuschanden werden an eurem Einkommen ob des grimmigen Zornes des HERRN!
Matt 13:7 Anderes aber fiel unter die Dornen; und die Dornen wuchsen auf und erstickten es.
Heb 6:8 welches aber Dornen und Disteln trägt, ist untauglich und dem Fluche nahe, es wird zuletzt verbrannt.
Hebräisch (Masoretischer Text)
וְקוֹץ וְדַרְדַּר תַּצְמִיחַ לָךְ וְאָכַלְתָּ אֶת־עֵשֶׂב הַשָּׂדֶה
veqōtz vedardar tatsmiach lakh, ve'akhalta et-‘ēsev ha-sādeh
וְקוֹץ וְדַרְדַּר (veqōtz vedardar): »Dornen und Disteln«
Zwei verschiedene Wörter für dorniges Gewächs. Qōtz ist der allgemeinere Ausdruck für Dorn, während dardar ein selteneres Wort ist, das vermutlich eine Art besonders stacheliger Pflanze bezeichnet. Die Verdopplung unterstreicht die Härte und Schwere des künftigen Lebens.
תַּצְמִיחַ לָךְ (tatsmiach lakh): »wird dir hervorbringen«
Hif'il-Form von ṣāmaḥ (wachsen, sprießen lassen). Die Erde bringt also nicht nur Nutzpflanzen hervor, sondern nun gezielt Unkraut »für dich« – eine ironische Umkehrung der Segnung des Bodens. Lakh (»dir«) betont, dass dies eine direkte Folge für den Menschen ist.
וְאָכַלְתָּ (ve'akhalta): »und du wirst essen«
Qal Perfekt mit vav-consecutivum, also mit futurischer Bedeutung: »und du sollst essen / wirst essen«.
אֶת־עֵשֶׂב הַשָּׂדֶה (et-‘ēsev ha-sādeh): »das Kraut des Feldes«
‘Ēsev ist allgemein »Kraut, Gras«, oft im Sinn von Futter oder wild wachsende Pflanzen. Im Kontrast zur einstigen Nahrung im Garten (Früchte, Samen) wird nun auf eine einfachere, mit Mühe gewonnene Nahrung verwiesen. Das Feld (sādeh) ist außerhalb des Gartens und steht symbolisch für ein mühsames Leben.
Griechisch (Septuaginta, LXX)
ἀκάνθας καὶ τριβόλους ἀνατελεῖ σοι, καὶ φάγῃ τὸν χόρτον τοῦ ἀγροῦ
akanthas kai tribolous anatalei soi, kai phagē ton chorton tou agrou
ἀκάνθας καὶ τριβόλους (akanthas kai tribolous): »Dornen und Disteln«
Akantha ist das Standardwort für »Dorn« (vgl. Dornenkrone bei Jesus); tribolos bezeichnet eine Pflanze mit stacheligen Fruchtkapseln – es kann auch metaphorisch für etwas Schmerzhaftes oder Belastendes stehen. Beide Begriffe vermitteln das Bild von Widrigkeit und Mühsal.
ἀνατελεῖ σοι (anatalei soi): »wird dir aufgehen / hervorwachsen«
Verb anatellō, Präsensindikativ aktiv, betont die zukünftige, wiederholte Aktion. Soi (»für dich«) zeigt, dass der Mensch der Adressat dieser neuen Realität ist – negativ konnotierte Vegetation ist nun Teil seiner Umwelt.
καὶ φάγῃ (kai phagē): »und du wirst essen«
Aorist Konjunktiv 2. Person Singular mit finaler oder konsekutiver Bedeutung. Die syntaktische Konstruktion (koordinierend mit καί) deutet darauf hin: »und so wirst du ...«.
τὸν χόρτον τοῦ ἀγροῦ (ton chorton tou agrou): »das Gras des Feldes«
Chortos umfasst sowohl »Gras« als auch »Kraut« – essbare, aber wenig edle Vegetation. Agros (»Feld«) ist ebenfalls Gegenbild zum Garten Eden: wildes Land, das bearbeitet werden muss. Auch hier: Degradierung der Lebensbedingungen.
Lateinisch (Vulgata)
spinas et tribulos germinabit tibi, et comedes herbas terrae
spinas et tribulos: »Dornen und Disteln«
Spina ist der allgemeine Begriff für Dorn; tribulus bezeichnet ebenfalls eine stachelige Pflanze. Wie im Griechischen handelt es sich um eine verstärkende Doppelformulierung: Mühsal und Widerständigkeit in der Natur.
germinabit tibi: »sie wird dir sprießen lassen / hervorbringen«
Futur von germino, »keimen, hervorbringen«. Das Subjekt ist implizit »die Erde« (aus dem Kontext). Tibi – wiederum ein persönliches »dir«: Der Mensch steht im Zentrum der nun negativen Fruchtbarkeit.
et comedes: »und du wirst essen«
Futur von comedo, ein einfaches, alltägliches Verb für »essen«. Auch hier betont: Nahrung bleibt, aber auf niedrigerem Niveau.
herbas terrae: »die Kräuter der Erde«
Herba kann wildes Grün, essbares Kraut oder auch Tierfutter bedeuten. Terrae statt agri hebt die Erdverbundenheit hervor – Adam als »Mensch aus der Erde« (adamah).
Fazit
Genesis 3,18 bringt in allen drei Sprachversionen die dramatische Umkehr der ursprünglichen Ordnung zum Ausdruck: Statt reicher Fruchtbarkeit bringt die Erde nun Mühsal, Wildwuchs, Widerständigkeit. Der Mensch wird zum Ackerarbeiter und Selbstversorger herabgestuft. Semantisch und grammatikalisch zeigen alle drei Versionen eine klare Struktur von Konsequenz (Dornen/Disteln) und Notwendigkeit (einfaches Essen) – Ausdruck einer theologischen Anthropologie nach dem Sündenfall.
Vertiefte semantische Analyse
Der Vers ist Teil des Strafworts Gottes an Adam nach dem Sündenfall. Die beiden Hauptaussagen sind:
»Dornen und Disteln soll er dir tragen«
Erzeugung von Unkraut: Die Erde (implizites Subjekt) wird nicht mehr bereitwillig Frucht hervorbringen, sondern Unkraut.
Symbolik: Dornen und Disteln stehen seit der Antike für Mühsal, Widerstand, Schmerz. Sie verkörpern den Fluch, der auf der Arbeit des Menschen liegt.
Anthropologisch-theologische Dimension: Der ursprünglich paradiesische Zustand der Erde ist gestört – der Mensch lebt nun in einer Umgebung, die Widerstand leistet.
Gegensatz zur früheren Fülle: Im Garten Eden wuchs alles ohne Mühe. Jetzt bringt die Erde etwas hervor, das dem Menschen schadet, nicht dient.
»und sollst das Kraut auf dem Felde essen«
Ernährungsumstellung: Der Mensch isst nun keine paradiesischen Früchte mehr, sondern Feldpflanzen, Kräuter, vermutlich durch eigene Arbeit (Ackerbau) gewonnen.
Semantische Schichtung: »Kraut« steht für eine bescheidene, nicht edle Nahrung. Kein Luxus, sondern das Notwendige.
Topos der Mühsal: Die Nahrung muss unter harter Arbeit gewonnen werden. Das Feld ersetzt den Garten – und es bedarf Schweiß und Anstrengung (vgl. V.19).
Existentielle Spannung: Die Spannung zwischen Tragen (Erde bringt hervor) und Essen (Mensch nimmt an) wird von Mühe und Widerstand überlagert.
Zusammenfassung der Bedeutung:
Genesis 3,18 schildert einen fundamentalen Wandel im Verhältnis zwischen Mensch und Erde: Von einer natürlichen Harmonie (Garten Eden) hin zu einer existenziellen Spannung. Die Erde bringt Unkraut hervor, der Mensch muss in Mühe seinen Lebensunterhalt sichern. Es ist eine doppelte Entfremdung: von der Erde und von der göttlichen Fürsorge – die Folge des Sündenfalls, sichtbar in jedem Akt des Arbeitens und Essens.
Theologische Deutung
Dieser Vers ist Teil der sogenannten »Urfluchformel«, mit der Gott Mensch, Frau, Mann und Schlange nach dem Sündenfall anspricht. Theologisch markiert er eine radikale Veränderung der Schöpfungsordnung:
Der Boden als Mitbeteiligter des Fluchs: Nicht nur der Mensch, sondern auch die Erde ist von nun an »verflucht« (vgl. Gen 3,17). Das Verhältnis zwischen Mensch und Schöpfung ist gestört. Die Erde bringt nicht länger selbstverständlich Früchte hervor, sondern »Dornen und Disteln«, Sinnbilder für Widerstand, Mühe, Schmerz und Unfruchtbarkeit.
Arbeit als Last: Wo vorher die Pflege des Gartens eine freudige, schöpferische Tätigkeit war (Gen 2,15), wird die Arbeit nun zur Mühsal (vgl. Gen 3,19). Der Mensch ist nicht mehr Mitgestalter im göttlichen Garten, sondern ringt im Schweiß mit einer widerständigen Erde.
Symbol für das gebrochene Verhältnis zu Gott: Die Dornen verweisen auf die Verletzbarkeit und Gefährdung des Menschen. Sie sind Zeichen des Mangels an unmittelbarer Nähe zu Gott. Der Mensch ist aus der Gnade gefallen und muss nun in einer feindlichen Welt überleben – auf sich selbst zurückgeworfen.
Im Licht christlicher Deutung hat sich dieser Vers auch christologisch aufgeladen: Die Dornen weisen prophetisch auf die Dornenkrone Christi hin – Zeichen dafür, dass Christus das Leid des gefallenen Menschen auf sich nimmt und den Fluch am Kreuz trägt.
Literarische und kulturgeschichtliche Einordnung
Mythische Struktur: Der Vers gehört in die Gattung des Urmythos oder Ätiologie. Er erklärt, warum die Welt so ist, wie sie ist – voll Mühsal, Schmerz und Tod – und entwirft ein Bild vom Menschsein als gebrochene Existenz.
Motivgeschichte der »Dornen«: In der antiken und mittelalterlichen Literatur stehen Dornen und Disteln häufig für das Böse, das Leid und den Verlust von Unschuld. Sie sind Ausdruck einer entzauberten Welt, in der Schönheit von Gefahr durchdrungen ist. Auch in der Mystik werden sie zu Bildern innerer Reinigung (Stich des göttlichen Feuers) oder der Trennung von Gott.
Kulturgeschichtlicher Wandel: In der agrarischen Welt des Alten Orients war das Verhältnis zum Boden existenziell. Dornen und Unkraut standen nicht nur metaphorisch, sondern konkret für die Bedrohung der Ernährung und des Überlebens. Der Vers beschreibt nicht nur eine theologische, sondern auch eine ökonomische Katastrophe – der Mensch verliert sein »natürliches Zuhause«.
Resonanz in Dantes Divina Commedia
Dante setzt sich nicht direkt mit Genesis 3,18 auseinander, doch das Motiv der verlorenen Ordnung, des leidenden Menschseins und der gestörten Naturverhältnisse durchzieht vor allem das Inferno:
Inferno als Landschaft der »Dornen«: In Dantes Hölle wird die Natur oft als feindlich beschrieben – felsig, dornenreich, öde. Besonders deutlich etwa im siebten Kreis (Gewalttätige gegen Gott), wo die Landschaft von brennendem Sand und vom »Wald der Selbstmörder« geprägt ist – ein pervertierter Wald, in dem Seelen zu Dornensträuchern werden, die stöhnen, wenn ihre Zweige gebrochen werden (Inferno XIII). Hier findet sich eine makabre Umkehrung der fruchtbaren Schöpfung: Statt Leben bringt die Natur Tod und Schmerz hervor.
Arbeit und Mühsal als Strafe: Die Vorstellung, dass der Mensch durch Mühsal für seine Sünde bezahlt, findet sich in Dantes Bestrafungssystem wieder: Jede Sünde hat eine passende Mühsal, oft durch Umkehrung des göttlichen Plans. So etwa die Geizigen und Verschwender, die sinnlos schwere Lasten schleppen.
Gegenbild im Paradiso: In Paradiso, insbesondere ab Canto XXVIII, wird das verlorene Gleichgewicht wiederhergestellt. Die »Dornen« dieser Welt sind überwunden, die himmlische Ordnung ist rein, leicht und ohne Widerstand. Der Zustand der Mühelosigkeit – das Gegenteil von Genesis 3,18 – verweist auf das ursprüngliche Paradies und das neue Jerusalem.
Fazit
Genesis 3,18 kondensiert in einem kurzen Bild eine tiefe anthropologische Wahrheit: Der Mensch lebt in einer Welt, die nicht mehr ursprünglich gut ist, sondern widerspenstig. Die Dornen sind Sinnbild des Leidens, aber auch des Erwachens zu einem neuen Bewusstsein: Der Mensch ist aufgerufen, in dieser Mühsal einen geistlichen Weg zu finden. In Dantes Werk schwingen diese Motive als Teil einer größeren Heilsgeschichte mit – von der distelbewachsenen Hölle zur blütenreinen Sphäre göttlicher Liebe.