Genesis 03:12

Luther 1545 Da sprach Adam / Das Weib / das du mir zugesellet hast / gab mir von dem Bawm / vnd ich ass.
Luther 1912 Da sprach Adam: Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß.

genesis 3

Biblisches Hebräisch

וַיֹּאמֶר הָאָדָם הָאִשָּׁה אֲשֶׁר־נָתַתָּה עִמָּדִי הִיא נָתְנָה־לִּי מִן־הָעֵץ וָאֹכֵל׃
Vajjómer ha-'ādām: hā-'iššāh 'ăšer nātatāh ‘immādī hī' nātnāh-lī min-hā‘ēṣ, vā'okhēl.
וַיֹּאמֶר הָאָדָם (vajjómer ha-'ādām): »Und sagte der Mensch« – klassischer Eröffnungsformel für wörtliche Rede im AT. Das Verb אמר im Waw-consecutiv mit Imperfekt zeigt narrative Progression.
הָאִשָּׁה אֲשֶׁר־נָתַתָּה עִמָּדִי (hā-'iššāh 'ăšer nātatāh ‘immādī): »die Frau, die du mir zur Seite gegeben hast«.
אֲשֶׁר leitet einen Relativsatz ein, der das Subjekt weiter beschreibt.
נָתַתָּה עִמָּדִי (»du gabst bei mir«) ist eine intensive Formulierung: Gott wird für die Gegenwart der Frau direkt verantwortlich gemacht.
הִיא נָתְנָה־לִּי (hī' nātnāh-lī): »sie gab mir« – Wiederholung des Verbs נתן (geben), betont die Rolle der Frau als aktive Handelnde.
מִן־הָעֵץ (min-hā‘ēṣ): »von dem Baum« – elliptisch formuliert, ohne Wiederholung des Gebotes Gottes; legt indirekte Schuldverschiebung nahe.
וָאֹכֵל (vā'okhēl): »und ich aß« – das Waw-consecutiv mit Imperfekt zeigt abschließende Handlung. Auffällig ist der Verzicht auf jegliche Rechtfertigung oder Reue.
Bemerkung: Adam benutzt distanzierende Sprache (»die Frau, die du gegeben hast«), was eine doppelte Schuldverschiebung ausdrückt – sowohl auf die Frau als auch auf Gott.

Griechisch (Septuaginta)

καὶ εἶπεν ὁ ἀνθρώπος· ἡ γυνὴ, ἣν ἔδωκας μετ᾽ ἐμοῦ, αὕτη μοι ἔδωκεν ἀπὸ τοῦ ξύλου, καὶ ἔφαγον.
Kai eipen ho anthrōpos: hē gynē, hēn edōkas met' emou, hautē moi edōken apo tou xylou, kai ephagon.
καὶ εἶπεν ὁ ἀνθρώπος (kai eipen ho anthrōpos): »Und der Mensch sprach« – wie im Hebräischen, klassische Einleitung in der Septuaginta für wörtliche Rede.
ἡ γυνὴ, ἣν ἔδωκας μετ᾽ ἐμοῦ (hē gynē, hēn edōkas met' emou): »die Frau, die du mir gegeben hast, bei mir«.
ἣν (Relativpronomen) betont die spezifische Frau.
μετ᾽ ἐμοῦ (bei mir) entspricht dem hebräischen ‘immādī, ebenfalls mit Betonung auf die Gemeinschaft – und implizit auf die göttliche Verantwortung.
αὕτη μοι ἔδωκεν (hautē moi edōken): »diese gab mir« – demonstrativisch; αὕτη verstärkt den Vorwurf und rückt die Frau ins Zentrum der Schuldzuweisung.
ἀπὸ τοῦ ξύλου (apo tou xylou): »vom Baum« – wörtlich wie im Hebräischen.
καὶ ἔφαγον (kai ephagon): »und ich aß« – schlichter Aorist, kein Versuch einer Relativierung.
Bemerkung: Der griechische Text gibt die hebräische Struktur sehr genau wieder, fügt jedoch durch demonstrativische und syntaktische Mittel zusätzliche rhetorische Schärfe hinzu.

Lateinisch (Vulgata)

Et ait Adam: Mulier, quam dedisti mihi sociam, dedit mihi de ligno, et comedi.
Et ait Adam: »Und Adam sprach« – wie in der LXX und dem MT, klassische Redeeinleitung.
Mulier, quam dedisti mihi sociam: »Die Frau, die du mir als Gefährtin gegeben hast«
quam (Relativpronomen) → klare Beziehung zur Frau.
sociam (Gefährtin, Genossin) ist eine spezifische Ergänzung der Vulgata, die das hebräische ‘immādī interpretiert und stärker relational beschreibt.
Der Gebrauch von dedisti bekräftigt erneut Gottes Verantwortung.
dedit mihi de ligno: »gab mir vom Holz« – strukturell einfach und dem Hebräischen entsprechend.
et comedi: »und ich aß« – Perfektform, betont abgeschlossene Handlung ohne Milderung oder Erklärung.
Bemerkung: Die lateinische Version ist stilistisch klar und theologisch pointiert. Das Hinzufügen von sociam gibt dem Vers eine deutliche Interpretation: Die Frau wird nicht nur als bloß Anwesende, sondern als eigentliche Gefährtin bezeichnet – was die Tragik der Schuldverschiebung noch verstärkt.

Gesamteindruck

In allen drei Sprachstufen (Hebräisch, Griechisch, Latein) zeigt sich eine bewusste Verantwortungsscheu Adams, der sich nicht zur Schuld bekennt, sondern sie auf die Frau – und indirekt auf Gott – überträgt. Stilistisch verstärken demonstrative Pronomen, Relativsätze und Satzstellung diesen rhetorischen Effekt.

Syntaktisch-lexikalische Analyse (Wort für Wort)

»Da«
→ Adverbiale Konjunktion; leitet einen temporalen oder kausalen Zusammenhang ein. Hier wahrscheinlich temporal: In jenem Moment oder Daraufhin.
»sprach«
→ Präteritum von sprechen, Verb im Indikativ Aktiv. Es signalisiert eine direkte Rede, ein Hervortreten Adams als Subjekt.
»Adam«
→ Eigenname, fungiert als Subjekt des Satzes. Hebräisch 'ādām, zugleich Eigenname und generisches Wort für Mensch. Im Kontext ein individualisierter Träger des Menschseins.
»das Weib«
→ Substantiv im Neutrum, obwohl sich auf eine Frau beziehend. Im Althochdeutschen oder Lutherdeutsch war Weib neutral und noch nicht abwertend konnotiert. Es entspricht hebräisch hā-'iššāh (»die Frau«).
»das du mir zugesellt hast«
→ Relativsatz. Das Relativpronomen das verweist auf Weib.
zugesellt hast: Perfektform von zusellen, heute archaisch. Bedeutet an die Seite gestellt, also als Gefährtin gegeben.
du … mir: Dativobjekt »mir« zeigt, dass Gott der Handelnde (Subjekt) ist und Adam der Empfänger.
»gab mir von dem Baum«
gab: Präteritum von geben, hier als Transitivverb mit Dativ (»mir«) und Präpositionalobjekt (»von dem Baum«).
von dem Baum: Lokalisierende oder thematische Präpositionalkonstruktion. Nicht: die Frucht, sondern metonymisch der Baum, was auf die Verbotsquelle verweist.
»und ich aß«
→ Konjunktion und verbindet die zwei Hauptsätze: das äußere Ereignis (»sie gab«) und die Reaktion (»ich aß«).
ich: betontes Personalpronomen. Die Ich-Form hebt Adam als Handelnden hervor – trotz der Schuldzuweisung.
: Präteritum von essen, einfach, aber in hohem Maße tragend für die narrative Kulmination.

Semantische Analyse

Diese Aussage ist weit mehr als ein einfacher Tatsachenbericht – sie ist ein Akt der Schuldverlagerung, der psychologische, theologische und existenzielle Tiefen offenbart:
Schuldabwehr durch Kausalitätskette: Adam konstruiert eine Verantwortlichkeitsverschiebung: Nicht ich allein, sondern das Weib, das übrigens du mir gegeben hast. Das ist doppelte Delegation – auf Eva und implizit auf Gott selbst.
Gottes Rolle als Ursprung: Die Wendung »das du mir zugesellt hast« enthält einen subtilen Vorwurf gegen den Schöpfer selbst: »Du hast sie mir gegeben – also bin ich indirekt nicht verantwortlich.« Das zeigt die früheste Form menschlicher Ausflüchte, das Abtreten der Schuld an andere, inklusive Gott.
Menschliches Verhalten unter Druck: Adam spricht rationalisierend, nicht reuevoll. Er beschreibt einen Ablauf, nicht eine Einsicht. Das Verb aß steht lakonisch und nüchtern am Schluss, wie ein unausweichlicher Endpunkt einer äußeren Kette von Ereignissen. Es ist semantisch reduziert – ohne Affekt, ohne Bewertung, als sei das Essen bloß logische Folge.
Tragik des Bewusstwerdens: Der einfache Aufbau des Satzes trägt eine dramatische Spannung. Was sprachlich nüchtern wirkt, ist inhaltlich dramatisch: Hier beginnt das Auseinanderfallen von Mensch und Gott. Die Beziehung wird durch Anklage ersetzt.
Der Umkehrschluss: Gerade durch das Ausweichen der Verantwortung wird die Schuld erst sichtbar. Die semantische Struktur verrät mehr als der Sprecher offenbaren will: Die Schuld bleibt dennoch beim Ich, das sich selbst als Reagierenden stilisiert, aber doch als Handelnden dasteht: »und ich aß.«

Theologische Deutung

In Adams Satz sind zwei wesentliche Elemente des theologischen Dramas des Sündenfalls enthalten: die Abwendung von Verantwortung und die Implikation Gottes in die Schuld. Indem Adam sagt: »das Weib, das du mir zugesellt hast«, weist er nicht nur Eva die Schuld zu, sondern legt indirekt auch Gott selbst eine Verantwortung nahe. Gott hat ihm Eva gegeben – also trage Gott eine Mitschuld.
Dies ist der erste Bruch in der ursprünglichen Harmonie zwischen Mensch und Gott. Der Mensch entfremdet sich – nicht nur von Gott, sondern auch vom Mitmenschen. Die Sünde manifestiert sich nicht nur in der Übertretung des Gebots, sondern auch in der Zersetzung der Beziehungen: Die Gemeinschaft zwischen Adam und Eva zerbricht, ebenso das Vertrauensverhältnis zu Gott.
Die Kirchenväter – etwa Augustinus – sahen darin eine Frühform des sündhaften Stolzes und der Selbstrechtfertigung. Der Mensch versucht, sich reinzuwaschen, indem er die Schuld externalisiert. Die eigentliche Sünde ist nicht nur der Biss in die Frucht, sondern das Verharren in der Verweigerung der Reue.

Literarische und kulturgeschichtliche Einordnung

Diese Stelle markiert den Beginn der menschlichen Tragödie in der westlichen Literaturgeschichte. Mit dem Sündenfall beginnt die große Erzählung vom verlorenen Paradies, das in zahllosen kulturellen Werken Widerhall findet – von Miltons Paradise Lost bis zu modernen Reflexionen über Freiheit, Schuld und Verantwortung.
Adams Reaktion – sein Ausweichen, seine Projektion – ist literarisch gesehen ein Urbild der Verdrängung. Der Mensch erkennt die Konsequenzen seines Handelns, aber statt Buße folgt ein Reflex der Schuldverschiebung. Dieses Motiv wird in der Literatur immer wieder aufgegriffen: Der Mensch als Wesen, das um seine Freiheit ringt, sie aber oft missversteht und anderen die Last der Konsequenzen zuschiebt.
Kulturgeschichtlich wird der Satz oft als eine der Wurzeln des patriarchalen Blicks auf die Frau interpretiert. Eva wird hier als »Verführerin« dargestellt, ein Bild, das jahrhundertelang das Frauenbild in Theologie und Gesellschaft prägte. Diese Deutung wurde jedoch zunehmend hinterfragt – etwa durch feministische Theologinnen wie Phyllis Trible, die zeigen, dass der Text eher die gemeinsame Verantwortung betont.

Resonanz in Dantes Divina Commedia

Dante greift das Motiv des Sündenfalls mehrfach auf, insbesondere im Paradiso, Canto 7 und 26. Dort thematisiert er den peccatum originale (Erbsünde) als ontologischen Bruch zwischen Mensch und Gott. Der Fall Adams – und seine Weitergabe durch die Generationen – ist ein Schlüssel für das Verständnis von Dantes Kosmologie und Gnadenlehre.
Im Purgatorio, Canto 30, als Dante auf Beatrice trifft, wird er an seine eigene Schuld erinnert. Wie Adam sucht auch er zuerst Ausreden und wird dann von Beatrice gezwungen, Verantwortung zu übernehmen:
»Was war das, was du auf Erden so geliebt hast,
dass du dem Ruf der Sehnsucht nach mir entsagt hast?«

• Dante wiederholt somit die Szene aus Genesis 3,12 – aber in umgekehrter Richtung. Während Adam Gott die Schuld zuweist, wird Dante von Beatrice zur Reue geführt. Die Commedia bietet so eine christliche Gegenerzählung: Die göttliche Ordnung verlangt nicht die Projektion der Schuld, sondern deren Anerkennung im Licht der Liebe.
• Auch der Vergleich zwischen Eva und Beatrice ist aufschlussreich: Eva als »Tor zur Sünde«, Beatrice als »Tor zur Erlösung«. Damit schreibt Dante die biblische Geschichte nicht ab, sondern um – er rekonstruiert das weibliche Prinzip als Wegweiser zur transzendenten Wahrheit.
• Insgesamt steht Genesis 3,12 also am Anfang einer langen Linie theologischer und literarischer Auseinandersetzungen mit Schuld, Freiheit und Verantwortung. Bei Dante erreicht diese Linie eine symbolisch verdichtete Umkehr: Aus der Ablehnung der Schuld (Adam) wird durch Einsicht und Gnade (Dante) der Weg zurück zur visione beatifica.
01 Die Schoepfung

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