• Luther 1545 Jch hörete deine stimme im Garten / vnd furchte mich / Denn ich bin nacket / darumb verstecket ich mich.
• Luther 1912 Und er sprach: Ich hörte deine Stimme im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich.
Parallelstellen zu 1.Mose 3:10
1Mo 3:10 Er sprach: Ich hörte deine Stimme im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum verbarg ich mich!
1Mo 2:25 Und sie waren beide nackt, der Mensch und sein Weib, und schämten sich nicht.
2Mo 3:6 Und er sprach: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs! Da verdeckte Mose sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.
Hiob 23:15 Darum schrecke ich zurück vor ihm, und wenn ich daran denke, so fürchte ich mich davor.
Ps 119:120 Mein Fleisch schaudert aus Furcht vor dir, und ich habe Ehrfurcht vor deinen Verordnungen!
Jes 33:14 Die Sünder zu Zion sind erschrocken, Zittern hat die Heuchler ergriffen: Wer von uns kann bei einem verzehrenden Feuer wohnen, wer von uns kann bei der ewigen Glut bleiben?
Jes 57:11 Vor wem hast du dich so gescheut und gefürchtet, daß du mich verleugnet und meiner nicht mehr gedacht hast und ich dir gänzlich aus dem Sinn gekommen bin? Habe ich nicht dazu geschwiegen, und das seit langer Zeit? Aber du willst mich doch nicht fürchten!
1Joh 3:20 daß, wenn unser Herz uns verdammt, Gott größer ist als unser Herz und alles weiß.
1Mo 2:25 Und sie waren beide nackt, der Mensch und sein Weib, und schämten sich nicht.
1Mo 3:7 Da wurden ihrer beider Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren; und sie banden Feigenblätter um und machten sich Schürzen.
2Mo 32:25 Als nun Mose sah, daß das Volk zügellos geworden war (denn Aaron hatte ihm die Zügel schießen lassen, seinen Widersachern zum Spott),
Jes 47:3 Deine Blöße soll enthüllt und deine Schande gesehen werden; Rache will ich nehmen und keines Menschen schonen.
Off 3:17 Denn du sprichst: Ich bin reich und habe Überfluß und bedarf nichts! und weißt nicht, daß du elend und erbärmlich bist, arm, blind und bloß!
Off 3:18 Ich rate dir, von mir Gold zu kaufen, das im Feuer geglüht ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du dich bekleidest und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, um deine Augen zu salben, damit du sehest.
Off 16:15 Siehe, ich komme wie ein Dieb! Selig ist, wer wacht und seine Kleider bewahrt, damit er nicht bloß einhergehe und man nicht seine Schande sehe!
Biblisches Hebräisch (Masoretischer Text)
וַיֹּאמֶר אֶת־קֹלְךָ שָׁמַעְתִּי בַּגָּן וָאִירָא כִּי עֵירֹם אָנֹכִי וָאֵחָבֵא׃
Va-yómer et-qolcha shamá‘ti baggán va-'irá ki ‘êróm anóchi va-'echávē'.
וַיֹּאמֶר (va-yómer) – »Und er sagte«: Imperfekt mit Waw consecutivum, üblich im erzählenden Stil. Das Subjekt ist Adam.
אֶת־קֹלְךָ (et-qolcha) – »deine Stimme«: et markiert das direkte Objekt; qolcha = qol (Stimme) + -cha (dein, mask. Suffix). »Stimme« steht oft für Gottes Präsenz oder Ruf.
שָׁמַעְתִּי (shamá‘ti) – »ich hörte«: Perfekt 1. Pers. Sg. von shama‘ (»hören«).
בַּגָּן (baggán) – »im Garten«: ba- (Präposition mit Artikel) + gan (Garten). Bezieht sich auf den Aufenthaltsort Gottes bzw. der Begegnung.
וָאִירָא (va-'irá) – »und ich fürchtete mich«: Imperfekt mit Waw consecutivum; yare' (fürchten), hier reflexiv bzw. existenziell als »erschrecken«.
כִּי עֵירֹם אָנֹכִי (ki ‘êróm anóchi) – »denn ich bin nackt«: ki (denn, weil); ‘êróm (nackt); anóchi (ich bin). Das Adjektiv steht hier prädikativ, Nacktheit verweist auf Schuld und verletzliche Erkenntnis.
וָאֵחָבֵא (va-'echávē') – »und ich versteckte mich«: Imperfekt mit Waw consecutivum; chava' im Hitpael (reflexiv), wörtlich »ich habe mich versteckt«.
Anmerkung: Die Reihenfolge – Hören → Furcht → Nacktheit → Verstecken – zeigt einen psychologischen Prozess der Entfremdung von Gott. Das hebräische »qol« (Stimme) kann auch als »Klang« von Gottes Gegenwart verstanden werden.
Biblisches Griechisch (Septuaginta)
καὶ εἶπεν· Τὴν φωνήν σου ἤκουσα περιπατοῦντός σου ἐν τῷ παραδείσῳ, καὶ ἐφοβήθην, ὅτι γυμνός εἰμι, καὶ ἐκρύβην.
Kai eipen: Tēn phōnḗn sou ēkousa peripatountós sou en tō paradeísō, kai ephobḗthēn, hóti gymnós eimi, kai ekrýbēn.
καὶ εἶπεν (kai eipen) – »Und er sagte«: Aorist 3. Pers. Sg. von légo, klassisch-erzählerisch.
Τὴν φωνήν σου (tēn phōnḗn sou) – »deine Stimme«: phōnḗ (Stimme), Akk. Sg. + Possessivpronomen.
ἤκουσα (ēkousa) – »ich hörte«: Aorist 1. Pers. Sg. von akoúō (hören).
περιπατοῦντός σου (peripatountós sou) – »als du umhergingst«: Gen. mask. Ptz. Präs. von peripateō (»umhergehen«), in einer genitivischen Konstruktion bezogen auf »Stimme« (typisch griechisch). Zeigt: die Stimme ist an Gottes Bewegung gebunden.
ἐν τῷ παραδείσῳ (en tō paradeísō) – »im Paradies«: klassisch für »Garten«, aus dem Persischen entlehnt.
καὶ ἐφοβήθην (kai ephobḗthēn) – »und ich fürchtete mich«: Aorist passivisch (Medium-Passiv) von phobeomai – betont das Widerfahrnis der Furcht.
ὅτι γυμνός εἰμι (hóti gymnós eimi) – »denn ich bin nackt«: gymnós (nackt) + eimi (sein); Präsens – fortdauernder Zustand.
καὶ ἐκρύβην (kai ekrýbēn) – »und ich versteckte mich«: Aorist Passiv 1. Pers. Sg. von kryptō, ebenfalls reflexiv zu verstehen.
Anmerkung: Das Griechische betont stärker die Handlung als momentanes Ereignis (Aorist) und interpretiert Gottes Stimme als an seine Bewegung gebunden. Peripateō hat philosophische Konnotationen (»wandeln« im geistigen Sinn).
Biblisches Lateinisch (Vulgata)
Et ait: Vocem tuam audivi in paradiso, et timui, eo quod nudus essem, et abscondi me.
Et ait – »Und er sprach«: Klassische Erzählformel, wörtlich.
Vocem tuam audivi – »Ich hörte deine Stimme«: vocem tuam = Akk. von vox + Possessivpronomen; audivi ist Perfekt von audire.
in paradiso – »im Paradies«: paradisus als lateinischer Begriff für gan, vom Griechischen übernommen.
et timui – »und ich fürchtete mich«: Perfekt von timere, klassisch gebraucht.
eo quod nudus essem – »weil ich nackt war«: eo quod ist ein klassischer Kausalanschluss (»infolge dessen, dass«); nudus essem ist Konjunktiv Imperfekt – kann einen inneren oder psychologischen Zustand betonen.
et abscondi me – »und ich verbarg mich«: Perfekt von abscondere (verbergen), mit reflexivem me. Betonung liegt auf abgeschlossener Handlung.
Anmerkung: Hier erscheint der Satzbau logischer und geordneter – typisch für die spätklassische Syntax. Der Konjunktiv essem suggeriert eine indirekte Rede oder subjektive Erklärung.
Zusammenfassende theologische Beobachtung:
Alle drei Textfassungen zeigen eine tiefe existentielle Spannung: Die Stimme Gottes wird zum Auslöser der Furcht, sobald das Bewusstsein von Nacktheit (im moralisch-ontologischen Sinn) erwacht ist. Das Verstecken ist mehr als körperliches Verbergen – es ist Ausdruck des zerbrochenen Verhältnisses zwischen Mensch und Gott.
Der Vers steht an einem neuralgischen Punkt der biblischen Urgeschichte: nach dem Sündenfall, im direkten Moment der Konfrontation zwischen dem Menschen und Gott. Er lässt sich auf verschiedenen Ebenen reichhaltig ausdeuten – ikonographisch, literarisch und psychologisch.
Ikonographisch
In der Kunstgeschichte wurde dieser Moment unzählige Male dargestellt, vor allem in der christlichen Malerei von der Spätantike bis zur Neuzeit. Adam und Eva verstecken sich oft halb hinter Bäumen, mit gesenktem Blick, bedecken ihre Scham – ein Bild völliger Entblößung und innerer Zerrissenheit.
Die Stimme Gottes ist unsichtbar, doch sie erfüllt den Raum mit unsichtbarer Allgegenwart. Viele Darstellungen – etwa Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle – geben Gott eine menschliche Gestalt, die sich über Adam erhebt, mit ausgestrecktem Finger, als Geste der Anklage oder der Schöpfungsmacht.
Die Nacktheit, die zuvor »unschuldig« war (vgl. Gen 2,25: »sie waren beide nackt und schämten sich nicht«), wird nun zur Ursache der Angst. Ikonographisch markiert dieser Wechsel einen Bruch im Weltverhältnis: Die paradiesische Harmonie ist verloren, der Mensch erkennt sich als verletzliches, endliches Wesen – nicht nur körperlich, sondern existentiell.
Literarisch
Literarisch tritt in diesem einen Vers eine radikale Veränderung zutage: Sprache wird zur Bekennung, zur Offenbarung des Inneren. Adam spricht nicht über eine äußere Tat, sondern über ein inneres Erleben – Furcht, Nacktheit, Verstecken.
Die Erzählstruktur der Genesis nutzt hier das Stilmittel der wörtlichen Rede, um psychologische Tiefe zu schaffen. Der Mensch wird nicht einfach überführt – er bekennt selbst. Die Stimme Gottes löst diese Selbstoffenbarung aus: Ein Ruf in der Stille, dem sich niemand entziehen kann. Wie in vielen großen literarischen Texten – etwa bei Dostojewski oder Kafka – wird das Verstecken zur Metapher der Schuld und des Gewissens.
Der Satz ist auch ein archetypisches Modell für das Verhältnis von Mensch und Wahrheit: Gott fragt nicht »Was hast du getan?«, sondern: »Wo bist du?« – und der Mensch antwortet nicht mit »Ich bin hier«, sondern mit Angst. Das Versteckspiel ist die erste Reaktion auf Erkenntnis.
Psychologisch
Psychologisch enthält der Vers eine dichte Beschreibung menschlicher Selbstwahrnehmung im Angesicht des Anderen – hier in radikalster Form: im Angesicht Gottes. Die Angst (»ich fürchtete mich«) ist nicht nur Furcht vor Strafe – sie ist existenzielle Angst, das nackte Ausgeliefertsein in einer Welt, in der man sich nun selbst erkennt – als »Ich«, getrennt, beschämt, allein.
Die Nacktheit steht für die plötzliche Erkenntnis des eigenen Körpers, aber auch der seelischen Durchschaubarkeit. Im Licht der göttlichen Präsenz gibt es keinen Schutz mehr – keine Masken, keine Ausreden. Die Reaktion ist Flucht und Verstecken, das älteste psychologische Schutzmuster gegen Überforderung, gegen das Gefühl, gesehen zu werden in seiner ganzen Wahrheit.
Der Vers beschreibt also den ersten Moment von Scham in der Menschheitsgeschichte – Scham nicht nur als soziales Phänomen, sondern als tiefe Struktur des Selbstbewusstseins: Ich erkenne mich – und das macht mir Angst.
Zusammenfassend markiert Genesis 3,10 den Übergang vom kindlichen Dasein in eine Welt der Verantwortung, des Bewusstseins und der Trennung. In ihm kulminiert ein innerer Umbruch, der in der Ikonographie als Tragödie, in der Literatur als Selbstoffenbarung und in der Psychologie als Urerfahrung des Menschen lesbar wird.
Sprachliche Feinheiten
Der Vers ist einfach konstruiert, fast kindlich in seinem Tonfall – was die existenzielle Tiefe umso eindrucksvoller macht:
»Ich hörte deine Stimme im Garten …« – Das hebräische Wort »קוֹל« (qōl) bedeutet »Stimme«, aber auch »Klang« oder »Ruf«. Es ist nicht einfach ein Gespräch, sondern ein Laut, der den Raum durchdringt – möglicherweise auch mit einem Hauch von Gericht.
»… und fürchtete mich« – Das hebräische Verb יָרֵא (yārē) bezeichnet sowohl ehrfürchtige Scheu als auch Furcht vor Strafe. Diese Doppeldeutigkeit ist entscheidend: Der Mensch hat nicht nur Angst, sondern auch ein Bewusstsein für den Verlust der Unschuld und die göttliche Majestät.
»… denn ich bin nackt« – Das Wort »nackt« (עֵירֹם, ʿērōm) wurde bereits in Gen 2,25 verwendet, aber nun erhält es eine andere Qualität: Es ist Ausdruck der Verwundbarkeit, der Schuld und des Bewusstseins.
»… darum versteckte ich mich« – Das Verstecken ist das erste bewusste Tun des sündigen Menschen. Es ist nicht nur ein körperliches Sich-Entziehen, sondern ein spiritueller Bruch mit der göttlichen Gegenwart.
• Die Satzstruktur spiegelt eine schrittweise Offenbarung der inneren Krise: Hören – Fürchten – Erkenntnis der Nacktheit – Verbergen.
Tiefere theologische Deutung
Dieser Vers markiert einen Wendepunkt in der biblischen Anthropologie:
Beginn der Entfremdung: Der Mensch ist sich seiner Nacktheit bewusst – ein Symbol für das verlorene Paradies des reinen Seins vor Gott. Diese Selbstwahrnehmung ist nicht nur körperlich, sondern existenziell.
Scham und Schuld: Die Furcht entspringt nicht nur der Angst vor Strafe, sondern dem tief empfundenen Bruch mit Gott. Die Sünde ist nicht in erster Linie ein moralischer Verstoß, sondern eine Zerrüttung der Beziehung.
Einführung des Gewissens: Diese erste Antwort des Menschen an Gott zeigt ein Erwachen des Selbstbewusstseins – nicht nur im positiven Sinn, sondern auch als Erkenntnis von Schuld.
Einführung des GewissensVerlust der Unmittelbarkeit: Vor dem Sündenfall war der Mensch nackt »und sie schämten sich nicht« (Gen 2,25). Nun ist die Nacktheit ein Problem. Dies verweist auf einen Bewusstseinswandel, einen Abbruch des paradiesischen Zustandes der ungebrochenen Gottesbeziehung.
Literarische und kulturgeschichtliche Einordnung
Urbild des Schuldbewusstseins: Der Vers ist vielleicht der erste »innere Monolog« der Menschheitsgeschichte. In zahllosen späteren literarischen Werken – von Augustinus' Confessiones bis zu Kafka – klingt dieses Motiv nach: das Verharren in Furcht, das Sich-Verbergen, das Unvermögen zur Unschuld.
Mythische Kraft: Der Text hat eine archetypische Qualität. In der Nacktheit verbindet sich Eros, Scham und Metaphysik – Themen, die in der westlichen Kultur bis zur Gegenwart zentral sind.
Existenzialistische Dimension: Im 20. Jahrhundert haben Theologen und Philosophen wie Paul Tillich, Karl Jaspers oder Jean-Paul Sartre in diesem Verstecken des Menschen vor Gott und vor sich selbst einen Schlüssel zur menschlichen Verlorenheit gesehen.
Ikonographische Wirkung: In der bildenden Kunst wurde die Szene des sich versteckenden Adam tausendfach gestaltet, immer als Symbol des verlorenen Paradieses und des tragischen Bewusstseins.
Resonanz in Dantes Divina Commedia
Obwohl Dante Genesis 3,10 nicht explizit zitiert, bildet der Vers einen unsichtbaren Resonanzboden, besonders in der Commedia's Darstellung des Falls und der Läuterung:
Inferno: Die Verdammten im Inferno leben in einem Zustand ewiger Trennung von Gott. Viele versuchen sich in der Dunkelheit oder im Schweigen zu verstecken, doch sie sind »durchsichtig« vor dem göttlichen Blick (z. B. Francesca in Inferno 5). Ihr Zustand erinnert an Adams Verstecken – aber versteinert im Endzustand.
Purgatorio: Die Reue der Seelen im Fegefeuer ist ein Gegenbild zu Adams Verhalten. Sie stellen sich Gott, ihre Nacktheit ist nun geistig verstanden – etwa in der Szene, in der die Seelen »demütig, wie Adam nach dem Fall«, ihre Schuld bekennen.
Paradiso: Dort wird das verlorene Paradies überschritten. Der Mensch ist wieder »durchscheinend«, nicht mehr nackt im negativen Sinn, sondern »entblößt« von Sünde und Selbsttäuschung. Beatrice ist die, die Dante wieder zu einer »reinen Schau« Gottes führt – ganz im Kontrast zum Blick des Menschen, der sich in Eden aus Scham abwendet.
• Genesis 3,10 ist somit nicht nur eine historische Wurzel des abendländischen Schuld- und Gottesverständnisses. In der literarischen Theologie Dantes klingt dieser Vers als Urerfahrung des gestörten Dialogs nach – der in der Commedia durch poetisch-theologische Läuterung wieder zur reinen Schau geführt wird.