Luther 1545
VND das Weib schawet an / das von dem Bawm gut zu essen were / vnd lieblich anzusehen / das ein lüstiger Bawm were / weil er klug mechte / Vnd nam von der Frucht / vnd ass / vnd gab jrem Man auch da von / Vnd er ass.
Luther 1912
Und das Weib schaute an, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß er lieblich anzusehen und ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte; und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann auch davon, und er aß.
Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 3:06
1Mo 3:6 Als nun das Weib sah, daß von dem Baume gut zu essen wäre und daß er eine Lust für die Augen und ein wertvoller Baum wäre, weil er klug machte, da nahm sie von dessen Frucht und aß und gab zugleich auch ihrem Mann davon, und er aß.
1Tim 2:14 Und Adam wurde nicht verführt, das Weib aber wurde verführt und geriet in Übertretung;
1Mo 3:12 Da sprach der Mensch: Das Weib, das du mir zugesellt hast, die gab mir von dem Baum, und ich aß!
1Mo 3:17 Und zu Adam sprach er: Dieweil du gehorcht hast der Stimme deines Weibes und von dem Baum gegessen, davon ich dir gebot und sprach: «Du sollst nicht davon essen», verflucht sei der Erdboden um deinetwillen, mit Mühe sollst du dich davon nähren dein Leben lang;
Hos 6:7 Sie aber haben wie Adam den Bund übertreten, daselbst sind sie mir untreu geworden.
Röm 5:12 Darum, gleichwie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod, und so der Tod zu allen Menschen hindurchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben
Hes 24:16 Menschensohn, siehe, ich will die Lust deiner Augen durch eine Plage von dir wegnehmen; aber du sollst weder klagen noch weinen und keine Tränen darüber vergießen.
Hes 24:21 So spricht Gott, der HERR: Seht, ich will mein Heiligtum, euren höchsten Stolz, die Lust eurer Augen und das Verlangen eures Herzens entheiligen; und eure Söhne und eure Töchter, die ihr zurückgelassen habt, sollen durchs Schwert fallen.
Hes 24:25 Du aber, Menschensohn, siehe, an dem Tage, da ich ihnen ihren Ruhm, den Gegenstand ihrer Freude, die Lust ihrer Augen, das Verlangen ihrer Seelen, ihre Söhne und ihre Töchter hinwegnehme,
Jos 7:21 Ich sah unter dem Raub einen köstlichen babylonischen Mantel und zweihundert Schekel Silber und eine goldene Zunge, fünfzig Schekel schwer; dessen gelüstete mich, und ich nahm es; und siehe, es ist mitten in meiner Hütte in die Erde vergraben, und das Silber darunter.
Rich 16:1 Und Simson ging nach Gaza und sah daselbst eine Dirne und kam zu ihr.
Rich 16:2 Da ward den Gazitern gesagt: Simson ist hierhergekommen! Da machten sie die Runde und lauerten die ganze Nacht auf ihn. Sie verhielten sich die ganze Nacht ruhig und sprachen: Morgen, wenn es licht wird, wollen wir ihn erwürgen!
1Mo 6:2 sahen die Söhne Gottes, daß die Töchter der Menschen schön waren und nahmen sich von allen diejenigen zu Weibern, welche ihnen gefielen.
1Mo 39:7 Es begab sich aber nach diesen Geschichten, daß seines Herrn Weib ihre Augen auf Joseph warf und zu ihm sprach: Schlaf bei mir!
Jos 7:21 Ich sah unter dem Raub einen köstlichen babylonischen Mantel und zweihundert Schekel Silber und eine goldene Zunge, fünfzig Schekel schwer; dessen gelüstete mich, und ich nahm es; und siehe, es ist mitten in meiner Hütte in die Erde vergraben, und das Silber darunter.
2Sa 11:2 Und es begab sich, als David um den Abend von seinem Lager aufstand und auf dem Dache des königlichen Hauses umherwandelte, sah er vom Dache aus ein Weib sich baden, und das Weib war von sehr schöner Gestalt.
Hiob 31:1 Einen Bund hatte ich geschlossen mit meinen Augen, und wie hätte ich mein Auge auf eine Jungfrau werfen dürfen!
Matt 5:28 Ich aber sage euch: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen.
1Joh 2:16 Denn alles, was in der Welt ist, die Fleischeslust, die Augenlust und das hoffärtige Leben, kommt nicht vom Vater her, sondern von der Welt,
Jak 1:14 Sondern ein jeder wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird.Hier folgt eine sprachlich-exegetische Analyse von Genesis 3,6 in drei klassischen Bibelsprachen: Hebräisch, Griechisch (LXX) und Lateinisch (Vulgata), jeweils mit deutscher Umschrift (wo relevant) und exegetischer Erläuterung. Der Fokus liegt auf Schlüsselbegriffen und syntaktischen Besonderheiten.
Biblisches Hebräisch
וַתֵּ֣רֶא הָאִשָּׁ֗ה כִּ֤י טוֹב֙ הָעֵץ֙ לְמַאֲכָ֔ל וְכִ֨י תַאֲוָ֧ה הוּא לָעֵינַ֛יִם וְנֶחְמָ֥ד הָעֵץ֖ לְהַשְׂכִּ֑יל וַתִּקַּ֤ח מִפִּרְיוֹ֙ וַתֹּאכַ֔ל וַתִּתֵּ֥ן גַּֽם־לְאִישָׁ֖הּ עִמָּ֑הּ וַיֹּאכַֽל׃
Vatté're ha-ischá ki tov ha-‘étz le-ma'akhal, ve-ki ta'avá hu la-‘éinayim, ve-nechmád ha-‘étz le-haskíl; vattikkách mipir'yó, vattó'khal, vattittén gam le-'ischah ‘immáh, vayyó'khal.
Analyse
וַתֵּ֣רֶא הָאִשָּׁ֗ה (vatté're ha-ischá)
»Da sah die Frau« – vatté're (Qal Imperfekt mit Waw-Conversiv): narrativer Einstieg.
כִּ֤י טוֹב֙ הָעֵץ֙ לְמַאֲכָ֔ל (ki tov ha-‘étz le-ma'akhal)
»dass der Baum gut zur Speise war« – tov ist ethisch-ästhetisch aufgeladen (vgl. Gen 1).
וְכִ֨י תַאֲוָ֧ה הוּא לָעֵינַ֛יִם (ve-ki ta'avá hu la-‘éinayim)
»und eine Lust für die Augen« – ta'avá (Begierde, Verlangen); anthropologische Tiefenschicht.
וְנֶחְמָ֥ד הָעֵץ֖ לְהַשְׂכִּ֑יל (ve-nechmád ha-‘étz le-haskíl)
»und begehrenswert, um Einsicht zu geben« – le-haskíl zeigt Zielgerichtetheit: nicht bloße Sinneslust, sondern intellektuelle Anmaßung.
וַתִּקַּ֤ח מִפִּרְיוֹ֙ וַתֹּאכַ֔ל (vattikkách mipir'yó vattó'khal)
»sie nahm von seiner Frucht und aß« – Aktives Handeln, Frucht (singularisch), Betonung der Tat.
וַתִּתֵּ֥ן גַּֽם־לְאִישָׁ֖הּ עִמָּ֑הּ (vattittén gam le-'ischah ‘immáh)
»sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war« – ‘immáh betont Nähe und Mitverantwortung.
וַיֹּאכַֽל (vayyó'khal)
»und er aß« – kurz, lakonisch, beinahe kommentarlos – theologisch sprechend.
Biblisches Griechisch (Septuaginta)
Καὶ εἶδεν ἡ γυνὴ ὅτι καλὸν τὸ ξύλον εἰς βρῶσιν καὶ ὅτι ἀρεστὸν τοῖς ὀφθαλμοῖς καὶ ἔστιν ὡραῖον τοῦ κατανοῆσαι, καὶ λαβοῦσα ἀπὸ τοῦ καρποῦ αὐτοῦ ἔφαγεν, καὶ ἔδωκεν τῷ ἀνδρὶ αὐτῆς μετ᾽ αὐτῆς, καὶ ἔφαγεν.
Kai eiden hē gynḗ hóti kalòn tò xýlon eis brṓsin, kai hóti arestòn toîs ophthalmôis, kai estin hōraîon toû katanoeîn; kai laboûsa apò toû karpoû autoû éphagen, kai édōken tôi andrì autês met' autês, kai éphagen.
Analyse
εἶδεν ἡ γυνὴ (eiden hē gynē)
»Die Frau sah« – wie im Hebräischen, typisch narrativer Aorist.
ὅτι καλὸν τὸ ξύλον εἰς βρῶσιν (hoti kalòn to xýlon eis brōsin)
»dass der Baum gut zum Essen sei« – eis brōsin = Zielrichtung, praktische Verwertbarkeit.
ἀρεστὸν τοῖς ὀφθαλμοῖς (arestòn tois ophthalmôis)
»angenehm für die Augen« – arestos = angenehm, wohlgefällig, stärker als hebräisch ta'avá.
ὡραῖον τοῦ κατανοῆσαι (hōraîon tou katanoein)
»schön zu erkennen« – katanoein bedeutet »durchdringen, verstehen«: intellektuelle Versuchung.
λαβοῦσα … ἔφαγεν (laboûsa … éphagen)
»sie nahm … und aß« – Partizip + Aorist: Entscheidungsdynamik verdichtet.
ἔδωκεν … καὶ ἔφαγεν (édōken … kai éphagen)
»sie gab … und er aß« – auch hier: männliche Passivität auffällig und theologisch signifikant.
Biblisches Lateinisch (Vulgata)
Vidit igitur mulier quod bonum esset lignum ad vescendum, et delectabile oculis, aspectuque pulchrum, ac desiderabile ut aperiret sensum: tulit ergo de fructu illius, et comedit, deditque viro suo qui comedit.
Analyse
vidit igitur mulier
»Da sah die Frau« – vidit: Perfekt, sachlich-erzählend.
quod bonum esset lignum ad vescendum
»dass der Baum gut zum Essen sei« – ad vescendum: Gerundium zeigt Zweck.
et delectabile oculis
»angenehm für die Augen« – delectabile betont Genuss, sinnliche Reaktion.
aspectuque pulchrum
»schön anzusehen« – pulchrum bringt eine klassisch-römische Ästhetik ein.
desiderabile ut aperiret sensum
»begehrenswert, um das Verständnis zu öffnen« – aperiret sensum klingt wie Aufklärung, aber mit ironischem Unterton: es führt zur Verblendung.
tulit … comedit … dedit … comedit
Reihe von Verben im Perfekt: Handlungen folgen rasch, unausweichlich – Betonung des Sündenfalls als Akt, nicht Reflexion.
Zusammenfassung der exegetischen Linien
Hebräisch: starke semantische Dichte, dichter Bezug auf Sinne und Erkenntnis. Das Motiv le-haskíl (Einsicht gewinnen) verweist auf eine Grenzüberschreitung, die sowohl sinnlich als auch geistig motiviert ist.
Griechisch: stärker rationalisiert – das »Erkennen« (katanoein) wird intellektuell gewendet; der Text betont mehr das Motiv der Weisheitssuche.
Lateinisch: ästhetisch geglättet und fast moralisierend – »pulchrum«, »delectabile«, »desiderabile«: die Frau wird als jemand gezeigt, der sich vom Schönen verführen lässt.
Analyse
Genesis 3,6 ist eine dichterisch-theologische Miniatur, in der anthropologische Tiefen und kulturelle Archetypen aufeinandertreffen. Es ist kein einfacher Vers über Ungehorsam, sondern ein Urszene des Menschseins – mit einem langen Nachhall in Literatur, Mystik und Philosophie, nicht zuletzt bei Dante, für den der Fall der Menschheit der Ausgangspunkt für das Steigen zur höchsten Seligkeit ist.
Der Vers Genesis 3,6 ist einer der zentralsten und folgenreichsten in der gesamten Bibel. In ihm kulminiert der Sündenfall, der theologisch als der Ursprung der Entfremdung des Menschen von Gott gedeutet wird. Eine tiefere Auslegung dieses Verses erfordert die Einbeziehung biblischer Anthropologie, Ethik, Erkenntnistheorie und Spiritualität.
»Und das Weib schaute an…«
Die Geschichte beginnt mit dem Blick. Der erste Schritt zum Fall ist nicht die Tat, sondern die Wahrnehmung und die geistige Zuwendung. In der biblischen Anthropologie ist das Sehen häufig verbunden mit der Begierde (vgl. 1 Joh 2,16: »Begierde der Augen«). Eva sieht nicht nur neutral – sie »schaut an« mit Begehren. Diese Form des Sehens ist kein nüchternes Erfassen der Realität, sondern eine imaginative Projektion: Der Baum scheint gut zu sein. Das Begehren ist damit nicht die Folge der Erkenntnis, sondern umgekehrt – das Begehren verändert die Wahrnehmung. Hier wird deutlich: Sünde beginnt im Herzen, im Inneren Menschen, lange bevor die äußere Tat geschieht.
»…daß von dem Baum gut zu essen wäre«
Dieser Teil betont den sinnlichen, leiblichen Aspekt. Das Essen steht für unmittelbare Bedürfnisbefriedigung, die Lust des Körpers. Es handelt sich um ein Begehren, das auf unmittelbare Genusserfüllung zielt. Das »gut zu essen« steht hier im Gegensatz zu Gottes Wort, das das Essen ausdrücklich verboten hat (Gen 2,17). Der Mensch setzt sein Urteil über das von Gott gesprochene – er entscheidet, was gut ist, unabhängig von der göttlichen Ordnung.
»…und daß er lieblich anzusehen«
Das ist die zweite Stufe: Schönheit, Ästhetik, Verführung der Sinne. Der Baum wird nicht nur als nützlich, sondern auch als schön empfunden. Dies erinnert an das paulinische Motiv des »verführerischen Scheins der Sünde« – was äußerlich schön erscheint, ist innerlich verderblich. Die Versuchung appelliert hier an das menschliche Verlangen nach Schönheit, ohne Rücksicht auf die ethische Dimension.
»…und ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte«
Hier erreicht das Begehren seine höchste geistige Form: Der Baum verspricht Weisheit. Der Mensch will sein wie Gott – das war die Lüge der Schlange. Doch hier offenbart sich die Umkehrung der Ordnung: Nicht mehr Gott ist der Ursprung der Weisheit, sondern ein geschöpfliches Objekt wird als Quelle der Einsicht begehrt. Der Mensch will Autonomie, will selbst urteilen über Gut und Böse – das ist die eigentliche Sünde, nicht das bloße Essen der Frucht.
»…und sie nahm von der Frucht und aß«
Die Handlung folgt der inneren Bewegung. Aus dem begehrenden Blick wird eine konkrete Tat. Die Verben sind knapp, fast sachlich – »nahm«, »aß«. Die Theologie sieht hierin die erste bewusste Übertretung des göttlichen Gebots. Es ist ein Akt des Ungehorsams, aber auch der Selbstermächtigung.
»…und gab ihrem Mann auch davon, und er aß«
Der Mann – Adam – erscheint passiv. Die Theologie hat vielfach diskutiert, ob seine Schuld geringer ist. Doch der Text zeigt: Auch er isst, ohne zu widersprechen. Die gemeinsame Schuld der beiden ist zentral: Der Mensch als solcher – männlich und weiblich – entfernt sich von Gott. Es ist nicht nur ein individueller, sondern ein gemeinschaftlicher Fall. Die Beziehung zu Gott wird gestört, aber auch die Beziehung zueinander (vgl. Gen 3,12ff).
Zusammenfassend
Genesis 3,6 zeigt, wie die Sünde nicht als plumpe Rebellion beginnt, sondern als schleichende Verformung von Wahrnehmung, Begehren und Urteilskraft. Die Versuchung greift Körper, Sinne und Geist an – Genuss, Schönheit und Weisheit. Das Ziel: Autonomie gegenüber Gott. Der Mensch will nicht mehr Empfänger der Wahrheit sein, sondern ihr Ursprung. Damit stellt er sich gegen die Ordnung der Schöpfung. Der Fall besteht also nicht nur im »Essen«, sondern im Versuch, sich selbst zum Maßstab zu machen. Darin liegt die theologische Tiefe dieses Verses – er ist kein Mythos über Obst, sondern über das Herz des Menschen.
Sprachliche Feinheiten
Die Sprache dieses Verses trägt eine dichte semantische Struktur, in der sich Wahrnehmung, Begehren, Erkenntnisstreben und Handlung eng verschränken:
»das Weib schaute an« – Der Blick ist der Anfang der Verführung. Das Sehen ist im Hebräischen oft ein Mittel des Erkennens, aber auch der Verlockung. Die visio führt zur concupiscentia oculorum (»Augenlust«, vgl. 1 Joh 2,16).
»gut zu essen« / »lieblich anzusehen« / »lustiger Baum« – Die dreifache Bewertung des Baumes vereint körperliches Begehren (Nahrung), ästhetische Anziehung (Schönheit) und intellektuelle Verlockung (klug machend). Die Aufzählung steigert sich: Sinnlichkeit → Ästhetik → Intellekt.
»weil er klug machte« – Der Begriff verweist auf das hebräische haskil, was nicht bloß klug, sondern einsichtsvoll, weise bedeuten kann. Es geht hier nicht nur um Wissen, sondern um eine Art gottähnliche Erkenntnis, die die göttliche Grenze überschreitet.
»sie nahm ... und aß ... und gab ... und er aß« – Die Folge der Verben zeigt eine fließende Handlung, fast wie in einem Ritual. Es gibt keine Diskussion, kein Zögern. Auch Adam handelt ohne Widerrede – das Schweigen Adams ist theologisch bedeutsam.
Tiefere theologische Deutung
Dieser Vers markiert den Wendepunkt der gesamten Menschheitsgeschichte in der biblischen Heilsgeschichte:
• Sünde als Selbstermächtigung: Der Baum der Erkenntnis ist das Symbol für eine Erkenntnis, die sich dem Menschen durch göttliche Grenze entzieht. Indem Eva (und dann Adam) davon nimmt, tritt der Mensch aus seiner geschöpflichen Rolle heraus und usurpiert göttliche Macht. Dies ist keine banale »Regelverletzung«, sondern ein Akt metaphysischer Rebellion.
• Begehren als Urtrieb der Sünde: Im Hebräischen wird dieses Begehren später durch das Wort ta'avah (Begierde) charakterisiert. Die Geschichte zeigt, dass die Sünde im Wunsch beginnt, etwas zu sein, was man nicht ist – eine Grenzüberschreitung.
• Mit-Schuld Adams: Die theologische Tradition betont, dass Adam als ebenso schuldig gilt, da er »bei ihr war« und nicht widerspricht. Augustinus sieht hier den Anfang der concupiscentia, also der ungeordneten Begierde, die zur Erbsünde führt.
Literarische und kulturgeschichtliche Einordnung
Mythos und Anthropologie: Der Text ist kein protokollarischer Bericht, sondern ein mythisches Narrativ, das die Bedingungen des Menschseins beschreibt – Freiheit, Begehren, Schuld, Erkenntnis, Tod.
Der Baum als Symbol: Der »Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen« steht in vielen Kulturen als Archetyp. Im altorientalischen Denken bedeutet »Gutes und Böses« nicht moralisch, sondern umfassende Erkenntnis (panepisteme). Der Mensch will alles wissen – ein göttlicher Anspruch.
Eva als erste Philosophin?: Manche moderne Deutungen sehen in Eva keine reine Sünderin, sondern eine Figur des Wissensdrangs, des existentialistischen Muts zur Entscheidung. In der Gnosis wird sie teilweise positiv gewertet als Übermittlerin der Erkenntnis.
Resonanz in Dantes Divina Commedia
Die Szene aus Genesis 3,6 hallt in Dantes Werk vielfach nach, insbesondere in der Darstellung des freien Willens und der menschlichen Verantwortung:
Inferno, Canto I und III: Das Motiv der Verirrung des Willens spiegelt sich in Dantes Verlorenheit im »dunklen Wald«. Wie Eva den rechten Weg verlässt, so Dante. Doch bei ihm führt der Irrtum nicht notwendig zur Verdammnis – der Weg der Erkenntnis bleibt offen.
Purgatorio, Canto XXIX–XXXIII: Im irdischen Paradies begegnet Dante einer allegorischen Wiederholung des Sündenfalls. Die Szene mit der mythischen Figur Matelda, die im Fluss Lethe tanzt, evoziert Evas Unschuld vor dem Fall. Dante sieht dort den Garten Eden als Ort, der »durch die Sünde entweiht wurde«.
Paradiso, Canto VII (V. 115–120): Beatrice spricht explizit über den Sündenfall:
»Er durfte nicht an jenem Holz genießen,
das untersagt war, denn sein Uebertritt
war gegen sich: drum ward er nicht gering.«
– Hier wird die Sünde als bewusste Entscheidung gegen das eigene Wohl verstanden, ein Akt des Stolzes und der unrechtmäßigen Aneignung.
Theologischer Rahmen: Für Dante ist die Sünde Evas (und Adams) zugleich notwendig und tragisch: Ohne den Fall keine Erlösung, ohne Erlösung kein Christus, ohne Christus keine divina commedia. Der »felix culpa«-Gedanke (glückliche Schuld) ist im Hintergrund stets präsent.
Der Vers Genesis 3,6 gehört zu den zentralen Schlüsselmomenten der gesamten biblischen Überlieferung. In dichter Verdichtung zeigt er eine Wende im Verhältnis von Mensch, Gott und Welt – die sogenannte »Sünde des Anfangs«. Eine Auslegung, die die biblische Anthropologie, Ethik, Erkenntnistheorie und Spiritualität einbezieht, offenbart die Tiefendimensionen dieser Szene.
»Und das Weib schaute an, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß er lieblich anzusehen und ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte...«
Hier wird der Blick als erster Akt beschrieben: ein begehrender, prüfender, wertender Blick. In der biblischen Anthropologie steht dieser Blick nicht nur für sinnliche Wahrnehmung, sondern für eine innere Bewegung des Willens – das Herz »sieht«, was es begehrt. Die Frau handelt nicht mechanisch, sondern erkennt, wägt ab, begehrt – sie urteilt über das, was Gott verboten hatte. Dieser Schritt zeigt die menschliche Fähigkeit zur Reflexion und Selbstentscheidung – eine Würde und zugleich eine Gefahr.
Ethik und Erkenntnistheorie sind hier unmittelbar verknüpft: Die Frucht wird als »klug machend« beschrieben. Es geht nicht nur um das körperliche Essen, sondern um das Streben nach Erkenntnis, nach Autonomie, nach einer Existenz jenseits der göttlichen Setzung. Das ethische Problem liegt nicht in der Erkenntnis selbst, sondern im Begehren nach Erkenntnis gegen das göttliche Wort. Der Mensch versucht, den Maßstab über Gut und Böse selbst zu setzen – das ist der ethische Kern der Ursünde.
Spirituell gesehen wird hier ein tragischer Bruch sichtbar: Der Mensch wendet sich von der Gottesbeziehung ab und richtet sich auf das Geschöpf. Das Vertrauen – das Urprinzip jeder Spiritualität in der Bibel – wird ersetzt durch Misstrauen, Neugier, Selbstermächtigung. In diesem Sinne ist die Sünde kein bloßer Regelverstoß, sondern eine Verlagerung des Zentrums: vom Du Gottes zum Ich des Menschen.
»...und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann auch davon, und er aß.«
• Der Sündenfall ist kein isolierter Akt, sondern relational. Die Frau handelt, und der Mann folgt. Der Mensch ist in seiner Existenz immer auch ein soziales Wesen – was einer tut, betrifft den anderen. Die gegenseitige Verstrickung in die Sünde gehört zur anthropologischen Grundstruktur der biblischen Weltdeutung. Auch hier wird ein Prinzip sichtbar: Die Freiheit des Menschen ist real, aber sie ist immer eingebunden in ein Beziehungsgeflecht.
• Die schlichte Formulierung »und er aß« zeigt die Unaufhaltsamkeit des Vorgangs: Keine Rückfrage, kein Widerstand, sondern ein fast mechanisches Fortsetzen. Es ist eine dramatische Zuspitzung der biblischen Erkenntnistheorie: Der Mensch wollte »sein wie Gott« (vgl. Gen 3,5), aber er gerät gerade dadurch in die tiefste Abhängigkeit – nicht mehr von Gott, sondern von sich selbst und seiner Fehlbarkeit.
Zusammenfassend
• Genesis 3,6 ist ein dichter Text über die Spannung zwischen Erkenntnis und Gehorsam, zwischen Freiheit und Vertrauen, zwischen Autonomie und Spiritualität. Die biblische Anthropologie erkennt den Menschen als Wesen mit Würde und Entscheidungsfreiheit – aber auch mit der Möglichkeit, diese Freiheit gegen ihren Ursprung zu kehren. Ethisch ist der Sündenfall der Beginn der Selbsterhebung des Menschen, erkenntnistheoretisch ein Akt der Überschreitung, spirituell eine Verlorenheit aus der Gegenwart Gottes.
• Doch gerade aus dieser Verlorenheit erwächst im weiteren biblischen Zeugnis die Verheißung der Rückkehr – nicht durch Wissen, sondern durch Gnade, nicht durch Besitz, sondern durch Hingabe.