Luther 1545
Aber von den früchten des Bawms mitten im Garten hat Gott gesagt / Esset nicht da von / rürets auch nicht an / Das jr nicht sterbet.
Luther 1912
aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Eßt nicht davon, rührt's auch nicht an, daß ihr nicht sterbt.
Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 3:03
1Mo 3:3 aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Eßt nicht davon, rührt's auch nicht an, daß ihr nicht sterbt.
1Mo 2:16 Und Gott der HERR gebot dem Menschen und sprach: Du sollst essen von allerlei Bäumen im Garten;
1Mo 2:17 aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen sollst du nicht essen; denn welches Tages du davon ißt, wirst du des Todes sterben.
1Mo 20:6 Und Gott sprach zu ihm im Traum: Ich weiß auch, daß du mit einfältigem Herzen das getan hast. Darum habe ich dich auch behütet, daß du nicht wider mich sündigtest, und habe es nicht zugegeben, daß du sie berührtest.
2Mo 19:12 Und mache dem Volk ein Gehege umher und sprich zu ihnen: Hütet euch, daß ihr nicht auf den Berg steiget noch sein Ende anrührt; denn wer den Berg anrührt, soll des Todes sterben.
2Mo 19:13 Keine Hand soll ihn anrühren, sondern er soll gesteinigt oder mit Geschoß erschossen werden; es sei ein Tier oder ein Mensch, so soll er nicht leben. Wenn es aber lange tönen wird, dann sollen sie an den Berg gehen.
1Chr 16:22 "Tastet meine Gesalbten nicht an und tut meinen Propheten kein Leid!"
Hiob 1:11 Aber recke deine Hand aus und taste an alles, was er hat: was gilt's, er wird dir ins Angesicht absagen?
Hiob 2:5 Aber recke deine Hand aus und taste sein Gebein und Fleisch an: was gilt's, er wird dir ins Angesicht absagen?
Hiob 19:21 Erbarmt euch mein, erbarmt euch mein, ihr meine Freunde! denn die Hand Gottes hat mich getroffen.
1Kor 7:1 Wovon ihr aber mir geschrieben habt, darauf antworte ich: Es ist dem Menschen gut, daß er kein Weib berühre.
2Kor 6:17 Darum gehet aus von ihnen und sondert euch ab, spricht der HERR, und rührt kein Unreines an, so will ich euch annehmen
Kol 2:21 "Du sollst", sagen sie, "das nicht angreifen, du sollst das nicht kosten, du sollst das nicht anrühren",
Hebräisch (Masoretischer Text)
וּמִפְּרִי הָעֵץ אֲשֶׁר בְּתוֹךְ־הַגָּן אָמַר אֱלֹהִים לֹא תֹאכְלוּ מִמֶּנּוּ וְלֹא תִגְּעוּ בוֹ פֶּן־תְּמֻתוּן׃
U-mip'rî ha-ʿêts ʾăšer bə-tôḵ ha-gān, ʾāmar ʾĕlōhîm: lōʾ tōʾḵəlû mimmēnnû, wə-lōʾ tiggəʿû bô, pen-temûtûn.
Sprachlich-exegetische Anmerkungen:
וּמִפְּרִי (u-mip'rî) – »und von der Frucht«; mi- (Präposition »von«) + pᵉrî (Singular, konstruktivisch: »Frucht«), mit u- als Konjunktion »und«.
הָעֵץ (ha-ʿêts) – »des Baumes«, mit bestimmtem Artikel ha-.
אֲשֶׁר בְּתוֹךְ־הַגָּן (ʾăšer bə-tôḵ ha-gān) – »der mitten im Garten ist«; ʾăšer = Relativpronomen, bə-tôḵ = »inmitten«, ha-gān = »der Garten«.
אָמַר אֱלֹהִים (ʾāmar ʾĕlōhîm) – »hat Gott gesagt«; ʾāmar im Perfekt, »sagte«, ʾĕlōhîm = »Gott«.
לֹא תֹאכְלוּ מִמֶּנּוּ (lōʾ tōʾḵəlû mimmēnnû) – »Ihr sollt nicht essen davon«; Verbot im Jussiv bzw. modales lōʾ, Verb 2. Person Plural Qal ʾākal, Präposition + Pronominalsuffix mimmēnnû = »von ihm/davon«.
וְלֹא תִגְּעוּ בוֹ (wə-lōʾ tiggəʿû bô) – »und ihn nicht berühren«; nagaʿ im Qal, Imperfekt 2. Pers. Pl., bô = »ihn« (Präposition bə- + Suffix).
פֶּן־תְּמֻתוּן (pen-temutûn) – »damit ihr nicht sterbt« oder »sonst sterbt ihr«; pen drückt eine drohende Folge aus, temutûn ist ein Qal Imperfekt 2. Pl. von mût (»sterben«), modal gebraucht.
Exegetisch auffällig: Eva verstärkt hier das göttliche Gebot – »berührt ihn nicht« – was im ursprünglichen Befehl (Gen 2,17) nicht enthalten war. Das kann als frühe rabbinische Reflexion über »Zaun um das Gesetz« (סְיָג לַתּוֹרָה) gedeutet werden.
Griechisch (Septuaginta)
ἀπὸ δὲ τοῦ καρποῦ τοῦ ξύλου τοῦ ἐν μέσῳ τοῦ παραδείσου εἶπεν ὁ Θεός· οὐ φάγεσθε ἀπ' αὐτοῦ, οὐδὲ μὴ ἅψησθε αὐτοῦ, ἵνα μὴ ἀποθάνητε.
apo de tou karpou tou xylou tou en mesō tou paradeisou eipen ho Theos: ou phagesthe ap' autou, oude mē hapsēsthe autou, hina mē apothanēte.
Sprachlich-exegetische Anmerkungen:
ἀπὸ δὲ τοῦ καρποῦ... – »aber von der Frucht…«; apo = »von«, de = kontrastives »aber«, tou karpou = Genitiv von karpos (»Frucht«).
τοῦ ξύλου τοῦ ἐν μέσῳ... – »des Baumes, der in der Mitte…«; Doppelter Genitiv mit Relativphrase.
εἶπεν ὁ Θεός – »sagte Gott«; Aorist von legein (sagen).
οὐ φάγεσθε ἀπ' αὐτοῦ – »Ihr sollt nicht essen davon«; ou + Future middle indicative 2. Pl. von esthiō (»essen«).
οὐδὲ μὴ ἅψησθε αὐτοῦ – »noch nicht berühren«; oude mē = verstärktes Verbot (auch konjunktivisch). hapsēsthe ist Aorist Konjunktiv 2. Pl. von haptomai = »berühren«.
ἵνα μὴ ἀποθάνητε – »damit ihr nicht sterbt«; hina mē zeigt Zweck/Absicht an, apothanēte ist Aorist Konjunktiv von apothnēskō (»sterben«).
Exegetisch bemerkenswert: Die doppelte Verneinung οὐδὲ μὴ ist idiomatisch griechisch und besonders stark, was die Dringlichkeit betont. Die Septuaginta nimmt eine gewisse interpretierende Erweiterung vor.
Lateinisch (Vulgata)
De fructu vero ligni quod est in medio paradisi, praecepit nobis Deus ne comederemus, et ne tangeremus illud, ne forte moriamur.
Sprachlich-exegetische Anmerkungen:
De fructu vero ligni... – »Von der Frucht aber des Baumes…«; de + Ablativ fructu, vero = »aber/doch«, ligni = Gen. von lignum (»Baum«).
quod est in medio paradisi – Relativsatz: »der in der Mitte des Gartens ist«.
praecepit nobis Deus – »hat uns Gott geboten«; praecepit ist Perfekt von praecipere, nobis = Dativus commodi.
ne comederemus, et ne tangeremus – zwei Verben im Konjunktiv Imperfekt nach ne = »damit wir nicht…«; klare modale Verneinung.
illud – Demonstrativpronomen: »jenes (Ding)«, neutral.
ne forte moriamur – »damit wir nicht vielleicht sterben«; forte fügt Unsicherheit hinzu, morianur ist Konjunktiv Präsens von mori.
Exegetischer Punkt: Der Zusatz ne forte (»vielleicht«) legt eine gewisse Unsicherheit oder Subjektivität nahe – stärker als im Hebräischen oder Griechischen. Es könnte Evas eigene Interpretation sein oder redaktionelle Gestaltung.
Fazit
Eva paraphrasiert Gottes Gebot und erweitert es um das »Berühren«.
Die Verbformen reflektieren unterschiedliche Nuancen der Modalität und Dringlichkeit:
Hebräisch: direkter Jussiv (»damit ihr nicht sterbt«).
Griechisch: konjunktivisch mit starker Negation (οὐδὲ μὴ).
Lateinisch: modaler Konjunktiv mit dem Zusatz forte (»vielleicht«), was Unsicherheit einführt.
Analyse
Genesis 3,3 ist ein kurzer, scheinbar einfacher Vers, aber er wirkt wie ein Spiegel des gesamten biblischen Menschenbildes: zwischen Gehorsam und Interpretation, Freiheit und Irrtum. Literarisch steht er am Anfang einer jahrtausendealten Symbolgeschichte, theologisch markiert er die erste Verschiebung zwischen göttlichem Wort und menschlichem Verstehen. Bei Dante wird diese Spannung in die große Erzählung von Sünde, Läuterung und himmlischer Schau aufgenommen – mit Eva als einer Figur, die gleichermaßen Ausgangs- wie Kontrastpunkt für die neue göttliche Ordnung ist.
Sprachliche und theologische Feinheiten
Dieser Vers ist nicht Gottes direktes Wort, sondern Evas Wiedergabe seines Gebots im Gespräch mit der Schlange. Gerade dieser Umstand birgt theologische und sprachliche Nuancen:
Hinzugefügtes Verbot:
Gott hatte in Genesis 2,17 nur gesagt: »...davon sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du davon isst, musst du des Todes sterben.« Eva jedoch ergänzt: »rührt's auch nicht an«.
→ Dies kann theologisch als erste Verfälschung des göttlichen Wortes gewertet werden – aus Angst, aus Eifer oder bereits als Zeichen einer beginnenden inneren Verunsicherung.
Hebräisches Original:
Das hebräische Verb »תִּגְּעוּ« (tiggeʿû) – »berühren« – wird hier von Eva selbst eingeführt. Im Urtext ist erkennbar, dass sie in mündlicher Freiheit paraphrasiert – mit möglicherweise weitreichenden Konsequenzen für das Verständnis von Gehorsam und Sünde.
»Daß ihr nicht sterbt« – Motiv der Todesdrohung:
Hier spricht Eva von einem potenziellen Tod (»damit ihr nicht sterbt«), während Gottes ursprüngliche Aussage den Tod als sicheren Ausgang bezeichnet. Dies macht Eva im Rückblick zu einer ambivalenten Sprecherin: Verteidigerin des göttlichen Gebots oder bereits unsicher in ihrer Repräsentation?
Literarische und kulturgeschichtliche Einordnung
Genesis 3,3 steht im Zentrum eines der ältesten Menschheitssymbole: der Baum der Erkenntnis.
Literarischer Kontext:
Der Vers ist Teil der paradigmatischen Versuchungsszene – Eva, der Baum, die Schlange – die unzählige Male in Literatur, Kunst und Theologie wiederaufgenommen wurde.
→ Die Figur der Eva tritt hier erstmals als sprechendes Subjekt auf, was ihr narrative Autorität, aber auch Verantwortung verleiht.
Motivgeschichte:
Das Verbot der Frucht steht kulturgeschichtlich in einer Linie mit Mythen wie:
dem Prometheus-Mythos (verbotenes Wissen),
der Pandora-Erzählung (das Öffnen eines gefährlichen Behältnisses),
oder buddhistischen Motiven von Unwissenheit als Ursache des Leidens.
Theologisch-anthropologische Bedeutung:
Die Spannung zwischen göttlichem Gebot und menschlicher Freiheit wird in diesem Vers erstmals spürbar. Die Ergänzung Evas suggeriert, dass der Mensch nicht nur empfängt, sondern auch interpretiert – und dabei auch irrt.
Resonanz in Dantes Divina Commedia
Dante greift die Szene aus Genesis 3 mehrfach auf – direkt und indirekt – wobei er sie auf moralisch-metaphysische Weise neu deutet:
Im Inferno (z. B. Canto 26) erscheint die Hybris des menschlichen Wissensdrangs etwa in der Figur des Odysseus, der für seine »verbotene Fahrt« bestraft wird – eine Parallele zur Übertretung des göttlichen Gebots im Paradies.
Im Purgatorio, Canto 29–33, wird der Garten Eden wieder betreten, nun als Ort der spirituellen Wiederherstellung. Eva tritt indirekt in Erscheinung als Typus für die Menschheit, die durch Beichte und Buße zur Reinheit zurückgeführt werden kann.
Beatrice als »neue Eva«:
Im Paradiso ist Beatrice das Gegenbild zur verführbaren Eva – eine weibliche Gestalt, die nicht durch Irrtum, sondern durch klare Schau zum göttlichen Licht führt.
Symbolik des Baumes:
Im Purgatorio wird dem Pilger ein Baum gezeigt, der nicht berührt werden darf, und dessen Früchte fastenähnlich genossen werden. Die Parallele zu Genesis 3,3 ist offensichtlich – aber bei Dante wird der Baum zum Zeichen einer überwundenen Versuchung.