Genesis 03:02

Luther 1545
DA sprach das Weib zu der Schlangen / Wir essen von den früchten der bewme im Garten.

Luther 1912
Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten;

genesis 1genesis 2genesis 2/3

Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 3:02

1Mo 3:2 Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten;
Ps 58:4 Die Gottlosen sind verkehrt von Mutterleibe an; die Lügner irren von Mutterleib an.
1Mo 2:16 Und GOtt der HErr gebot dem Menschen und sprach: Du sollst essen von allerlei Bäumen im Garten;

Biblisches Hebräisch

וַתֹּ֥אמֶר הָאִשָּׁ֖ה אֶל־הַנָּחָ֑שׁ מִפְּרִ֞י עֵ֤ץ הַגָּן֙ נֹאכֵ֔ל
Vattómer ha-'iššá 'el-hannáḥāš: mippᵉrî ‘ēts ha-gān no'khēl
Analyse
וַתֹּאמֶר (vattómer): Qal-Imperfekt 3. fem. sing. mit vav consecutivum – »da sprach«. Typisch für biblisches Hebräisch ist die Erzählform durch die sogenannte waw conversivum, die hier die Vergangenheit ausdrückt.
הָאִשָּׁה (ha-'iššá): bestimmter Artikel + Substantiv »die Frau«. Das Wort steht im Nominativ (Subjektform) und bezieht sich auf Eva.
אֶל־הַנָּחָשׁ ('el-hannáḥāš): Präposition אֶל (»zu«) + Artikel + Substantiv »die Schlange«. Die Präposition zeigt die Richtung des Sprechens an.
מִפְּרִי (‘mippᵉrî): Präposition מִן »von« + Konstruktform von פְּרִי »Frucht«. Der Ausdruck weist auf die Herkunft/Quelle hin.
עֵץ הַגָּן (‘ēts ha-gān): Konstruktkette – »Baum des Gartens«, wobei עֵץ im Status constructus steht und הַגָּן (»der Garten«) im Status absolutus. Der bestimmte Artikel »ha-« bezieht sich auf das ganze Konstrukt.
נֹאכֵל (no'khēl): Qal-Imperfekt 1. Pl. – »wir essen«. Die Verbform impliziert einen allgemeinen oder habituellen Zustand (»wir essen davon«).
Besonderheit:
Das Hebräische betont die generelle Berechtigung: »Wir essen (gewöhnlich) von den Früchten der Bäume im Garten« – es ist also eine Verteidigung der Norm gegenüber der implizierten Versuchung.

Biblisches Griechisch (Septuaginta)

καὶ εἶπεν ἡ γυνὴ τῷ ὄφει· ἀπὸ καρποῦ τῶν ξύλων τοῦ παραδείσου ἐσθίομεν
kai eipen hē gynē tō ophei: apo karpou tōn xylōn tou paradeisou esthiomen
Analyse
καὶ εἶπεν (kai eipen): »und sie sagte« – Aorist Indikativ Aktiv 3. Sg. von λέγω, stilistisch schlicht, typisch für die narrative Struktur der LXX.
ἡ γυνὴ (hē gynē): Nominativ Femininum – »die Frau«, Subjekt der Rede.
τῷ ὄφει (tō óphei): Dativ Maskulin – »zu der Schlange«, Ziel des Sprechens. Die Form ist eindeutig dativisch mit Artikel und Substantiv.
ἀπὸ καρποῦ (apo karpou): Präposition ἀπὸ + Genitiv – »von der Frucht«. Klassisches Genitivobjekt einer Herkunft.
τῶν ξύλων (tōn xylōn): Genitiv Plural von ξύλον – »der Bäume«, zeigt die Quantität an, im Gegensatz zum spezifischen Baum der Erkenntnis.
τοῦ παραδείσου (tou paradeisou): Genitiv – »des Paradieses«. Diese Übersetzung wählt »Paradies« (παράδεισος) anstelle von »Garten«, was eine hellenistische Interpretation des Gan Eden ist.
ἐσθίομεν (esthiomen): Präsens Indikativ Aktiv 1. Pl. – »wir essen«. Zeitlich offen: Gegenwart oder allgemein gültige Aussage.
Besonderheit:
Die Septuaginta ersetzt »Garten« durch »Paradies«, wodurch eine theologisch aufgeladene Bedeutung eingeführt wird. Außerdem bleibt die Aussage formal nah am Hebräischen, aber in einem klareren Satzbau.

Biblisches Lateinisch (Vulgata)

Et ait mulier ad serpentem: De fructu lignorum, quae sunt in paradiso, vescimur.
Analyse
Et ait mulier: »Und die Frau sagte« – klassische wörtliche Wiedergabe, »ait« (3. Pers. Sg. Perfekt von aio) verwendet statt dixit – ein archaischeres, formelhafteres Wort für das Reden.
ad serpentem: Präposition + Akkusativ – »zur Schlange«. Entspricht exakt der hebräischen und griechischen Wendung.
De fructu: »Von der Frucht« – Präposition de + Ablativ. Ausdruck der Herkunft oder Quelle.
lignorum: Genitiv Plural von lignum – »der Bäume«. Wörtlich: »von der Frucht der Bäume«. Der Ausdruck ist etwas freier als im Hebräischen.
quae sunt in paradiso: Relativsatz – »die im Paradies sind«. Dies ersetzt die semitische Konstruktform durch eine lateinische Relativstruktur.
vescimur: Deponens, Präsens Indikativ 1. Pl. von vescor – »wir nähren uns«, »wir essen«. Poetischer und stilistisch gehobener als edimus.
Besonderheit
Das Verb vescimur ist stilistisch auffällig und vermittelt ein kultivierteres, fast rituelles Essen – es könnte auf eine spirituelle Qualität des Aktes anspielen. Die Verwendung von »paradisus« statt »hortus« folgt der griechischen Septuaginta-Tradition.

Zusammenfassende Beobachtungen

Der hebräische Text ist der ursprünglichste und zeigt eine einfache, aber präzise Struktur. Der Gebrauch des Konstruktstatus und des waw consecutivum ist typisch für biblisches Erzählen.
Die griechische Version übernimmt weitgehend die Syntax des Hebräischen, aber die Ersetzung von »Garten« durch »Paradies« setzt bereits eine theologische Neudeutung an.
Die lateinische Fassung ist stilistisch angereichert, insbesondere durch das seltene Deponens vescimur, das dem Vers eine kultischere Färbung gibt. Auch die syntaktische Umformung mit Relativsatz zeigt eine stärker reflektierende Sprache.

Sprachliche und theologische Feinheiten

Die Formulierung »Da sprach das Weib« (hebr. וַתֹּאמֶר הָאִשָּׁה, vatomer ha-ishah) rückt die Frau aktiv in die Rolle der Sprecherin und Verhandlerin. Das hebräische אִשָּׁה (Frau) ist grammatisch neutral, aber im Deutschen wirkt »das Weib« archaisch und distanziert – in späteren Übersetzungen wird hier meist »die Frau« verwendet, um eine neutralere Lesart zu ermöglichen.
Bemerkenswert ist, dass die Frau in diesem Vers eine theologisch korrekte Aussage macht: Der Mensch darf essen von den Früchten der Bäume im Garten – ein Echo auf Gottes Erlaubnis in Genesis 2,16. Ihre Rede ist noch nicht falsch, aber sie öffnet sich bereits einem Dialog mit der Schlange, was theologisch als Öffnung zur Versuchung gedeutet wird.

Literarische und kulturgeschichtliche Einordnung

Dieser Vers gehört zu den paradigmatischen Erzählstellen der abendländischen Kultur: Der Dialog zwischen Frau und Schlange ist das literarische Urbild des Verführungsdialogs, oft aufgegriffen in Literatur, bildender Kunst und Musik.
Die Szene ist dramaturgisch aufgebaut: Die Frau spricht zuerst mit einer Gestalt, die als Tier erscheint, aber spricht – ein mythologisches Motiv, das in vielen Kulturen für Übergangsbereiche zwischen Mensch, Tier und Göttlichem steht. Das Sprechen mit der Schlange ist bereits Grenzüberschreitung, ein Tabubruch, auch wenn in diesem Vers noch keine Lüge oder Sünde geschieht.
Kulturgeschichtlich wurde die Frau oft mit Neugier, Schwäche oder sogar Schuld verbunden – eine Sichtweise, die sich weniger aus dem Text selbst ergibt als aus jahrhundertelanger (patriarchaler) Rezeption.

Resonanz in Dantes Divina Commedia

Dante spielt mehrfach auf den Sündenfall an, vor allem als Urbild für den Verlust der Gnade und der ursprünglichen Ordnung. Besonders relevant ist das Bild der Eva als Gegensatz zur Maria: In Paradiso XXXIII nennt Bernhard Maria »vergine madre, figlia del tuo figlio« – sie macht rückgängig, was Eva verloren hat (felix culpa, glückliche Schuld, durch die Christus kommt).
In Inferno wird der Sündenfall indirekt durch das Bild der Hybris und des Strebens nach verbotener Erkenntnis aufgenommen. Lucifer, der in der Tiefe des Eises feststeckt, ist ebenfalls ein Gestürzter, wie Adam und Eva aus dem Garten verstoßen wurden. Die Schlange erscheint im Inferno mehrfach als Symbol für Täuschung und Lüge – etwa in Canto 25 bei den Dieben in der siebten Bolgia, wo sich Mensch und Schlange ineinander verwandeln, was an den Verlust der ursprünglichen Gestalt erinnert.
Dantes theologische Sichtweise betont immer wieder das rechte Maß (misura), das durch die Sünde überschritten wird – in Genesis 3,2 steht die Frau noch an der Schwelle dieser Überschreitung.

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01 Die Schoepfung

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