Luther 1545
VND die Schlange war listiger denn alle Thier auff dem felde / die Gott der HERR gemacht hatte / vnd sprach zu dem Weibe / Ja / solt Gott gesagt haben / Jr solt nicht essen von allerley Bewme im Garten?
Luther 1912
Und die Schlange war listiger denn alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von den Früchten der Bäume im Garten?
Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 3:01
1Mo 3:1 Und die Schlange war listiger denn alle Tiere auf dem Felde, die GOtt der HErr gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte GOtt gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allerlei Bäumen im Garten.
1Mo 3:13 Da sprach GOtt der HErr zum Weibe: Warum hast du das getan? Das Weib sprach: Die Schlange betrog mich also, daß ich aß.
Jes 27:1 Zu der Zeit wird der HErr heimsuchen mit seinem harten, großen und starken Schwert beide den Leviathan, der eine schlechte Schlange, und den Leviathan, der eine krumme Schlange ist, und wird die Drachen im Meer erwürgen.
Matt 10:16 Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben!
2Kor 11:3 Ich fürchte aber, daß nicht, wie die Schlange Eva verführete mit ihrer Schalkheit, also auch eure Sinne verrücket werden von der Einfältigkeit in Christo.
2Kor 11:14 Und das ist auch kein Wunder; denn er selbst, der Satan, verstellet sich zum Engel des Lichts.
Off 12:9 Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführet; und ward geworfen auf die Erde; und seine Engel wurden auch dahin geworfen.
Off 20:2 und ergriff den Drachen, die alte Schlange, welche ist der Teufel und der Satan, und band ihn tausend Jahre.
Biblisches Hebräisch
וְהַנָּחָשׁ הָיָה עָרוּם מִכֹּל חַיַּת הַשָּׂדֶה אֲשֶׁר עָשָׂה יְהוָה אֱלֹהִים
וַיֹּאמֶר אֶל־הָאִשָּׁה
אַף כִּי־אָמַר אֱלֹהִים לֹא תֹאכְלוּ מִכֹּל עֵץ הַגָּן׃
Weha-nāchāsch hāyāh ʿārūm mik-kol chayyat ha-sādeh asher ʿāsāh Adonai Elohīm.
Vayyōmer el-ha-'ischāh:
Af kī-ʾāmar Elohīm: loʾ toʾkhelū mik-kol ʿētz ha-gān?
Sprachlich-exegetisch:
וְהַנָּחָשׁ (we-ha-nāchāsch): »Und die Schlange« – bestimmter Artikel + »Nāchāsch« (Schlange). Das Subjekt der Szene wird eingeführt. Die Schlange ist nicht nur Tier, sondern Figur mit Sprache und Absicht.
הָיָה (hāyāh): 3. Pers. Sing. mask. Imperfekt von hāyāh – »war«. Zeitlich gesehen: narrativer Imperfekt (Vergangenheit).
עָרוּם (ʿārūm): »listig, klug, nackt« – doppeldeutig. Dasselbe Wortstamm wie »nackt« (vgl. Gen 2,25: וְלֹא יִתְבֹּשָׁשׁוּ). Die Doppelbödigkeit spielt auf den Fall von Unschuld zur List an.
מִכֹּל חַיַּת הַשָּׂדֶה (mik-kol chayyat ha-sādeh): »als alle Tiere des Feldes« – min mit Komparativfunktion. »Chayyah« (Lebewesen) im Sinne von wildem Tier.
אֲשֶׁר עָשָׂה יְהוָה אֱלֹהִים: »die der HERR Gott gemacht hatte« – Rückverweis auf die Schöpfung, ʾasher leitet Relativsatz ein. Doppelnamen JHWH Elohim betonen sowohl personale Nähe als auch schöpferische Autorität.
וַיֹּאמֶר אֶל־הָאִשָּׁה (vayyōmer el-ha-ʾischāh): »und er sprach zu der Frau« – klassische Erzählform, vav consecutivum mit Imperfekt = Vergangenheit.
אַף כִּי־אָמַר אֱלֹהִים (af kī-ʾāmar Elohīm): wörtlich: »Hat Gott wirklich gesagt?« – af drückt ironisches Staunen oder Überraschung aus, kī als kausale oder betonende Konjunktion. Eine rhetorische Infragestellung, die Zweifel sät.
לֹא תֹאכְלוּ מִכֹּל עֵץ הַגָּן: »Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen des Gartens?« – loʾ (nicht), toʾkhelū = 2. Pers. Pl. Imperfekt (Verbotsform), mik-kol mit totalisierender Wirkung. Die Aussage überzeichnet Gottes Gebot absichtlich (er hatte nur einen Baum verboten), was die manipulative Taktik der Schlange zeigt.
Biblisches Griechisch (Septuaginta)
Ὁ δὲ ὄφις ἦν φρονιμώτατος πάντων τῶν θηρίων τοῦ πεδίου, ἃ ἐποίησεν κύριος ὁ θεός.
Καὶ εἶπεν τῇ γυναικί·
Τί ὅτι εἶπεν ὁ θεός· οὐ φάγεσθε ἀπὸ παντὸς ξύλου τοῦ παραδείσου;
Ho de ophis ēn phronimōtatos pantōn tōn thēriōn tou pediou, ha epoiēsen Kyrios ho Theos.
Kai eipen tē gynaiki:
Ti hoti eipen ho Theos: ou phagesthe apo pantos xylou tou paradeisou?
Sprachlich-exegetisch:
ὁ δὲ ὄφις (ho de ophis): »Aber die Schlange« – definite Artikel, Subjekt wird eingeführt, de als Kontrastpartikel (»aber«), eröffnet neues Handlungsgeschehen.
ἦν φρονιμώτατος (ēn phronimōtatos): »war die klügste« – Superlativ von phronimos (»klug, vernünftig, verständig«). Im Unterschied zum hebräischen ʿārūm fehlt hier die Ambivalenz »nackt/listig«.
πάντων τῶν θηρίων τοῦ πεδίου: »von allen Tieren des Feldes« – wie hebr. »chayyat ha-sadeh«, doch thērion kann auch bedrohlicher klingen (wildes Tier, Untier). Pediou = Feld, Ebene – Gegensatz zum »Paradeisos«.
ἃ ἐποίησεν κύριος ὁ θεός: »die der Herr, Gott, gemacht hatte« – Relativsatz, wie im Hebräischen, wörtlich übernommen.
καὶ εἶπεν τῇ γυναικί: »und er sagte zur Frau« – klassische Septuaginta-Erzählform.
τί ὅτι εἶπεν ὁ θεός: »Was? Hat Gott gesagt…?« – ti hoti ist hier als Ausdruck des Zweifels zu deuten: ein Einstieg, der Misstrauen streut.
οὐ φάγεσθε ἀπὸ παντὸς ξύλου τοῦ παραδείσου;: »Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen des Gartens?« – Übertreibung oder bewusste Verdrehung: pantos (aller), xylon (Baum, wtl. »Holz«), paradeisos ist Lehnwort aus dem Altiranischen → »umzäunter Garten, Park«.
Biblisches Latein (Vulgata)
Sed et serpens erat callidior cunctis animantibus terrae, quae fecerat Dominus Deus. Qui dixit ad mulierem: Cur praecepit vobis Deus, ut non comederetis de omni ligno paradisi?
Sprachlich-exegetisch:
serpens: »Schlange«, feminin im Lateinischen.
callidior: Komparativ von callidus – »listig«, »klug«, durchaus mit negativer Konnotation: Schlauheit, die täuscht.
cunctis animantibus terrae – »allen Lebewesen der Erde«: animans = »lebend«, hier synonym zu »Tiere«.
Cur praecepit vobis Deus…? – »Warum hat Gott euch geboten…?« – stellt göttliche Autorität indirekt infrage.
ut non comederetis de omni ligno paradisi? – wörtlich: »dass ihr nicht esst von jedem Baum des Paradieses?« – wieder eine rhetorisch verzerrte Darstellung von Gottes Gebot.
Fazit (sprachlich-exegetisch):
In allen drei Fassungen wird deutlich, dass die List der Schlange sich sprachlich bereits in der manipulativen Frageform ausdrückt. Durch Verzerrung und Übertreibung des göttlichen Gebots wird Zweifel gesät – ein klassisches Beispiel rhetorischer Täuschung, die sich auf subtiler Ebene der Grammatik und Semantik abspielt.
Die hebräische Form אַף כִּי, das griechische τί ὅτι und das lateinische cur praecepit lassen jeweils die gleiche skeptische Infragestellung erkennen – aber mit nuancierten Unterschieden in rhetorischer Strategie, je nach Sprachcharakter.
Listigkeit/Nacktheit: Das Hebräische »ʿārūm« spielt mit einem Wortfeld, das im Griechischen nicht nachgebildet wird. Dort wird »phronimōtatos« verwendet, was die Schlange eher als »intelligent« denn als »hinterlistig« erscheinen lässt.
Verfälschung göttlicher Rede: Beide Fassungen lassen die Schlange Gottes Gebot bewusst verfälschen – rhetorisch subtiler Zweifel im Hebräischen durch af kī, im Griechischen durch ti hoti.
Rhetorik der Schlange: Beide Fassungen zeigen sie als geschickte Sprecherin, doch der hebräische Text hat eine stärkere nuancierte Sprachschicht, während die Septuaginta diesen mit klassisch-griechischer Klarheit überträgt, jedoch Ambiguitäten glättet.
Sprachliche und theologische Feinheiten
»listiger« (עָרוּם ‘ārûm): Dieses hebräische Wort bedeutet »klug«, »umsichtig«, aber auch »verschlagen«. Im Kontext ist eine Ambivalenz angelegt: Die List ist nicht notwendigerweise negativ konnotiert, sondern verweist auf eine überlegene Fähigkeit zur Einschätzung und zum strategischen Reden. Dieselbe Wurzel wird im vorhergehenden Kapitel (Gen 2,25: »sie schämten sich nicht«) im Wortspiel mit »nackt« verwendet (עֲרוּמִּים ‘ărûmmîm), was eine tiefere semantische Verknüpfung von Erkenntnis, Nacktheit und List evoziert.
»Ja, sollte Gott gesagt haben …?« – Diese Frageform (hebr. 'aph kî – etwa: »sollte es wirklich so sein, dass…?«) deutet keine offene Infragestellung, sondern eine subtile Destabilisierung der göttlichen Aussage an. Die Schlange spricht nicht offen gegen Gott, sondern stellt seine Worte in einer Weise dar, die Zweifel sät. Das ist theologisch entscheidend: Die erste Sünde beginnt nicht mit Ungehorsam, sondern mit Interpretation.
»nicht essen von den Früchten der Bäume« – eine Übertreibung. Gott verbietet nur den einen Baum (Gen 2,17), nicht alle. Die Schlange vergröbert das Verbot, um es willkürlich erscheinen zu lassen. Damit wird der Gedanke eines Gottes eingeführt, der Einschränkung statt Fülle will – ein theologisches Zerrbild, das zur Ursünde führt.
Literarische und kulturgeschichtliche Einordnung
Motiv der sprechenden Schlange: In altorientalischen Mythen tritt die Schlange oft als Vermittlerin verborgenen Wissens auf (z. B. Gilgamesch-Epos). Ihr Bild changiert zwischen Weisheit, Bedrohung und Heilung. In Mesopotamien galt sie mitunter sogar als Symbol der Lebenskraft (vgl. Schlangendarstellung an Heiligtümern).
Paradigma des Dialogs: Literarisch gesehen wird der Sündenfall nicht durch ein plötzliches Handeln, sondern durch einen Dialog eingeführt – ein sokratischer Moment, der zur Reflexion über Wahrheit, Autorität und Freiheit führt. Diese Methode macht den Text besonders tiefgründig.
Frauenbild und Gender: Das Weib (Eva) wird als erste Adressatin der Versuchung gewählt – in späterer patriarchaler Auslegung oft als Schwäche ausgelegt, aber im Text selbst ist sie die erste Theologin: Sie zitiert Gottes Wort, interpretiert es (wenn auch ungenau), und entscheidet aktiv. Das Bild ist ambivalenter als viele Traditionen es darstellen.
Resonanz in Dantes Divina Commedia
Dante greift die Versuchungsszene auf mehreren Ebenen auf:
Inferno, Canto 34: Ganz unten im Höllentrichter, eingefroren im Cocytus, befindet sich Luzifer – der Engel, der mit dem Hochmut (superbia) dem göttlichen Wort misstraute. Die Sünde beginnt bei Dante wie in Genesis mit einem inneren Bruch gegenüber dem göttlichen Willen. Der Teufel mit seinen drei Gesichtern parodiert die Trinität – ein Reflex der Verkehrung göttlicher Ordnung durch listige Verführung.
Purgatorio, Canto 27–29: Dante begegnet Matelda im irdischen Paradies, wo erneut auf den Baum des Lebens verwiesen wird – hier als Symbol der reinen göttlichen Ordnung, von der der Mensch durch Eva und Adams Handlung abgewichen ist. Matelda wird als Gegenbild zu Eva gedeutet: nicht verführbar, sondern hellsichtig, besonnen, in harmonischem Einklang mit der Schöpfung.
Paradiso, Canto 26: Dante fragt Adam selbst nach seiner Schuld. Adam antwortet, dass die Übertretung nicht im Essen lag, sondern im Überschreiten des göttlich gesetzten Maßes – ein philosophisch-moralischer Begriff, der sehr stark von thomistischer Ethik beeinflusst ist.
Die Resonanz in der Commedia ist also mehr als nur ein Verweis: Dante liest den Sündenfall als strukturelles Paradigma für jede Abkehr von der göttlichen Ordnung durch sprachliche Verführung, falsche Interpretation oder maßlose Freiheit.