Genesis 02:25

Luther 1545
Vnd sie waren beide nacket / der Mensch vnd sein Weib / vnd schemeten sich nicht.

Luther 1912
Und sie waren beide nackt, der Mensch und das Weib, und schämten sich nicht.

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Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 2:25

1Mo 2:25 - Und sie waren beide nackt, der Mensch und sein Weib, und schämten sich nicht.
2Mo 32:25 - Als nun Mose sah, daß das Volk zügellos geworden war (denn Aaron hatte ihm die Zügel schießen lassen, seinen Widersachern zum Spott),
Ps 25:3 - Gar keiner wird zuschanden, der deiner harrt; zuschanden werden, die ohne Ursache treulos handeln!
Ps 31:17 - HERR, laß mich nicht zuschanden werden, denn ich rufe dich an; zuschanden mögen die Gottlosen werden, verstummen im Totenreich!
Jes 44:9 - Alle Götzenmacher sind nichtig, und ihre Lieblinge nützen nichts; ihre eigenen Zeugen sehen nichts und wissen nichts, so daß sie zuschanden werden.
Jes 47:3 - Deine Blöße soll enthüllt und deine Schande gesehen werden; Rache will ich nehmen und keines Menschen schonen.
Jes 54:4 - Fürchte dich nicht, denn du wirst nicht zuschanden werden. Schäme dich nicht, denn du sollst nicht beschimpft werden; denn du wirst der Schande deiner Jugend vergessen, und der Schmach deiner Witwenschaft wirst du nimmermehr eingedenk sein.
Jer 6:15 - Schämen sollten sie sich, weil sie Greuel verübt haben; aber sie wissen nicht mehr, was sich schämen heißt, und empfinden keine Scham. Darum werden sie fallen unter den Fallenden; zur Zeit, da ich sie heimsuche, werden sie stürzen, spricht der HERR.
Jer 17:13 - Alle, die dich verlassen, müssen zuschanden werden; die von mir weichen, werden auf die Erde geschrieben werden; denn sie haben den HERRN verlassen, die Quelle lebendigen Wassers.
Hes 16:61 - Alsdann wirst du an deine Wege gedenken und dich schämen, wenn du deine älteren und jüngeren Schwestern zu dir nehmen wirst, welche ich dir zu Töchtern geben will, obgleich nicht auf Grund deines Bundes.
Joel 2:26 - und ihr sollt genug zu essen haben und satt werden und den Namen des HERRN, eures Gottes, loben, der wunderbar an euch gehandelt hat, und mein Volk soll nicht zuschanden werden ewiglich!
Mk 8:38 - Denn wer sich meiner und meiner Worte schämt unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch des Menschen Sohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.
Lk 9:26 - Denn wer sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich auch des Menschen Sohn schämen, wenn er kommen wird in seiner und des Vaters und der heiligen Engel Herrlichkeit.
Röm 10:11 - denn die Schrift spricht: «Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden!»
1Mo 3:7 - Da wurden ihrer beider Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren; und sie banden Feigenblätter um und machten sich Schürzen.
1Mo 3:10 - Er sprach: Ich hörte deine Stimme im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum verbarg ich mich!
1Mo 3:11 - Da sprach er: Wer hat dir gesagt, daß du nackt bist? Hast du etwa von dem Baum gegessen, davon ich dir gebot, du sollest nicht davon essen?

Biblisches Hebräisch

וַיִּֽהְיוּ שְׁנֵיהֶם עֲרוּמִּים הָאָדָם וְאִשְׁתּוֹ וְלֹא יִתְבֹּשָׁשׁוּ׃
wa-yihyū shenêhem ʿărummîm hāʾādām wəʾištô wəlōʾ yitbōšāšû
Und beide waren nackt – der Mensch und seine Frau –, doch sie schämten sich nicht.

Biblisches Griechisch (Septuaginta)

καὶ ἦσαν οἱ δύο γυμνοί, ὅ τε Ἀδὰμ καὶ ἡ γυνὴ αὐτοῦ, καὶ οὐκ ᾐσχύνοντο.
kai ēsan hoi dýo gymnoí, ho te Adám kai hē gynḗ autoû, kai ouk ēischýonto
Und die zwei waren nackt – Adam und seine Frau – und sie schämten sich nicht.

Biblisches Latein (Vulgata)

erant autem uterque nudi Adam scilicet et uxor eius et non erubescebant
Es waren aber beide nackt, Adam nämlich und seine Frau, und sie erröteten nicht.

Sprachliche und theologische Feinheiten

• ֹעֲרוּמִּים (ʿărummîm) – dasselbe Wortstammspiel wie ʿārûm („listig“) für die Schlange in 3,1: Die Erzählung kontrastiert kindliche Offenheit mit der List des Versuchers.
• יִתְבֹּשָׁשׁוּ (yitbōšāšû) – Hitpaʿel-Form des Verbs bôš („beschämt sein“); es beschreibt eine innere, nicht bloß soziale Scheu.
• Das griechische γυμνοί / οὐκ ᾐσχύνοντο legt den Akzent auf den völligen Mangel an αἰσχύνη (Scham), während erubescebant im Latein die Farbe des Errötens aufgreift.
• Damit markiert der Vers die Schwelle zwischen Integritas naturae (unversehrte Natur, reine Beziehung, keine Begierde) und der kommenden Entfremdung ab 3,7. Er schließt das Schöpfungskapitel mit einer friedvollen Momentaufnahme, in der Leib, Psyche und Geist noch harmonieren.

Patristische Auslegung

• Augustinus sieht in der fehlenden Scham ein Indiz für die vollkommene Unterordnung der Leiblichkeit unter den Geist: erst mit der concupiscentia wird Nacktheit problematisch (De civitate Dei XIV,17). ([newadvent.org][4])
• Johannes Chrysostomos betont in seinen Genesis-Homilien, dass die Ursprünglichkeit der Ehe gerade durch die Nacktheit sichtbar werde: ein Leben „gleich den Engeln“, frei von Begierde. ([biblehub.com][5])
• Irenäus liest die Nacktheit pädagogisch: Adam und Eva seien „kindlich“, noch im Werden; Schamfreiheit bedeute Lern- und Wachstumsfähigkeit, nicht moralische Vollkommenheit. ([joeledmundanderson.com][6])
• Gemeinsam lehren die Väter, dass der Körper positiv geschaffen ist, aber erst die von innen hergebrochene Unordnung (Lust wider den Willen) Scham hervorruft – eine Signatur der gefallenen Freiheit.

Literarische und kulturgeschichtliche Einordnung

1. Anthropologie: Der Vers definiert den Menschen als leib-geistige Einheit, in der der Leib ursprünglich transparent auf die Person verweist.
2. Ehebund: Ehe erscheint als vor-statuierte Gemeinschaft, in der Nacktheit Symbol der vorbehaltlosen Hingabe ist – Basis späterer sakramentaler Ehetheologie (Eph 5).
3. Narrativ-Dramaturgie: Direkt vor 3,1 platziert, erhöht 2,25 die Fallhöhe: Unschuld steigert die Dramatik des folgenden Bruchs.
4. Ethik der Scham: Zwischen legitimer Intimsphäre und destruktiver Verlegenheit unterscheidend, wird Scham zur moralischen „Alarmanlage“ (vgl. moderne Körper- und Sexualethik).

Resonanz in Dantes Divina Commedia

Im Purgatorio XXVIII ruft Matelda am Quell des Lethe den Vers anklingen:
Qui fu innocente l'umana radice; / qui primavera sempre e ogne frutto…
„Hier war die Menschheitswurzel unschuldig; hier ist stets Frühling und alle Frucht.“
• Dante stellt damit das irdische Paradies als Rückgewinn der vor-schamhaften Integrität dar. Die Pilger haben die siebendfache Läuterung vollendet und betreten eine Sphäre, in der Leib und Seele wieder klingen wie vor dem Sündenfall – ein poetisches Echo auf Gen 2,25.
• Im Paradiso XXVI erscheint Adam selbst und schildert Dante, dass seine Sünde nicht das Essen, sondern die eigenmächtige Grenzüberschreitung war, die Scham gebar; die poetische Präsenz Adams bezeugt, dass der Mensch zur verlorenen Unschuld zurückgerufen ist.
• Dante greift damit einen alten patristischen Bogen auf: Von der nackt-unschuldigen radix humana bis zur endgültigen Verklärung im Empyreum verläuft derselbe Heilsweg, den Christus eröffnet. Das Motiv der vergogna (richtige vs. verkehrte Scham) durchzieht das ganze Epos als moralischer Seismograph.

Zusammenfassung

Genesis 2, 25 besingt die fragile, aber herrliche Balance des unversehrten Menschen:
• Nackt – doch ohne Scham: ein Zustand vollkommener Identität von Innen und Außen.
• Patristische Theologie: liest darin den Echo einer seinsmäßigen Ordnung (Augustinus), einer ehelichen Ikone (Chrysostomus) und einer kindlichen Reifung (Irenäus).
• Dantes Poesie: verwandelt den Vers in eine Eschatologie der Rückkehr – vom „dunklen Wald“ des Inferno zum leuchtenden Paradies, wo die Menschheit wieder „unschuldig“ ist.
• So bleibt Gen 2,25 nicht bloß archaischer Szenenrand, sondern Schlüsselvers für biblische Anthropologie, kirchliche Lehre und die große christliche Imagination.

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01 Die Schoepfung

 

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