Luther 1545
Darumb / wird ein Man seinen Vater vnd seine Mutter verlassen / vnd an seinem Weibe hangen vnd sie werden sein ein Fleisch.
Luther 1912
Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen, und sie werden sein ein Fleisch.
Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 2:24
1Mo 2:24 - Darum wird der Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, daß sie zu einem Fleische werden.
3Mo 22:12 - Wenn aber des Priesters Tochter eines Fremdlings Weib wird, soll sie nicht von dem Hebopfer des Heiligen essen.
3Mo 22:13 - Wird aber des Priesters Tochter eine Witwe oder eine Verstoßene und hat keine Kinder und kommt wieder in ihres Vaters Haus, wie in ihrer Jugend, so soll sie von ihres Vaters Brot essen. Aber kein Fremdling soll davon essen.
5Mo 4:4 - Aber ihr, die ihr dem HERRN, eurem Gott, anhinget, lebet alle heute noch.
5Mo 10:20 - Du sollst den HERRN, deinen Gott, fürchten; ihm sollst du dienen, ihm sollst du anhangen und bei seinem Namen schwören.
Jos 23:8 - sondern dem HERRN, eurem Gott, sollt ihr anhangen, wie ihr bis auf diesen Tag getan habt.
Ps 45:10 - Höre, Tochter, blicke her und neige dein Ohr, vergiß dein Volk und deines Vaters Haus!
Spr 12:4 - Ein tüchtiges Weib ist ihres Mannes Krone; aber eine Schändliche ist wie ein Fraß in seinen Gebeinen.
Spr 31:10 - Ein wackeres Weib (wer findet es?) ist weit mehr wert als köstliche Perlen!
Apg 11:23 - Und als er ankam und die Gnade Gottes sah, freute er sich und ermahnte alle, gemäß dem Vorsatz des Herzens bei dem Herrn zu verharren;
1Mo 24:58 - Und sie riefen Rebekka und sprachen zu ihr: Willst du mit diesem Manne ziehen? Sie antwortete: Ja, ich will mit ihm ziehen!
1Mo 24:59 - Also ließen sie Rebekka, ihre Schwester, mit ihrer Amme, samt dem Knecht Abrahams und seinen Leuten ziehen.
1Mo 31:14 - Da antworteten Rahel und Lea und sprachen zu ihm: Haben wir auch noch ein Teil oder Erbe im Hause unsres Vaters?
1Mo 31:15 - Werden wir nicht von ihm angesehen, als wären wir fremd? Er hat uns ja verkauft und sogar unser Geld verzehrt!
Ps 45:10 - Höre, Tochter, blicke her und neige dein Ohr, vergiß dein Volk und deines Vaters Haus!
Matt 19:5 - und sprach: «Darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen; und die zwei werden ein Fleisch sein»?
Matt 19:6 - So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.
Eph 5:28 - Ebenso sind die Männer schuldig, ihre eigenen Frauen zu lieben wie ihre eigenen Leiber; wer seine Frau liebt, der liebt sich selbst.
Analyse
Genesis 2,24 – ein Schlüsselvers zur biblischen Anthropologie, Eheethik und Theologie der Leiblichkeit – bietet eine außerordentlich dichte Symbolik.
Biblisches Hebräisch
עַל־כֵּן יַעֲזָב אִישׁ אֶת־אָבִיו וְאֶת־אִמּוֹ וְדָבַק בְּאִשְׁתּוֹ וְהָיוּ לְבָשָׂר אֶחָד
Al-kēn yaʿăzāv ’îš ’et-’āvîv wə’et-’immō wə-dāvaq bə’ištô wə-hāyû ləvāsār ’eḥād
Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen, und er wird seiner Frau anhangen, und sie werden ein Fleisch werden.
Bemerkungen:
• yaʿăzāv – „verlassen“ im Sinne eines Loslösens vom elterlichen Verband
• dāvaq – „anhaften“, „kleben“: ein starkes Verb der innigen Verbindung, oft auch für Gottes Bundestreue verwendet
• ləvāsār ’eḥād – „zu einem Fleisch“: Betonung auf der leiblich-seelischen Einheit
Biblisches Griechisch (Septuaginta)
ἕνεκεν τούτου καταλείψει ἄνθρωπος τὸν πατέρα αὐτοῦ καὶ τὴν μητέρα καὶ προσκολληθήσεται τῇ γυναικὶ αὐτοῦ, καὶ ἔσονται οἱ δύο εἰς σάρκα μίαν.
Heneken toutou kataleipsei anthrōpos ton patera autou kai tēn mētera, kai proskollēthēsetai tē gynaiki autou, kai esontai hoi dyo eis sarka mian.
Deshalb wird ein Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen, und er wird seiner Frau anhangen, und die zwei werden ein Fleisch sein.
Besondere Begriffe:
• proskollēthēsetai (προσκολληθήσεται): ebenfalls „anhaften“, aber im Passiv – „es wird ihm anhaften lassen“ → eine Betonung auf göttlicher Ordnung
• εἰς σάρκα μίαν: fast identisch mit dem Hebräischen – „in ein Fleisch hinein“
Biblisches Lateinisch (Vulgata)
„Quam ob rem relinquet homo patrem suum et matrem, et adherebit uxori suae, et erunt duo in carne una.“
Deshalb wird ein Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen, und er wird seiner Frau anhangen, und die beiden werden in einem Fleisch sein.
• adherebit – wie proskollēthēsetai, „anhaften“
• in carne una – wörtlich „in einem Fleisch“; betont die leiblich-existenzielle Gemeinschaft
Anthropologisch und theologisch
Dieser Vers formuliert den grundlegenden Akt der Institution von Ehe:
Loslösung von den Eltern: Übergang von einer primären Bindung (Kind-Eltern) zu einer neuen Primärbeziehung (Ehepartner).
„Ein Fleisch“: nicht nur sexuelle Einheit, sondern ganzheitliche personal-leibliche Verschmelzung.
Er ist ein konstitutiver Text für die Theologie der Ehe:
Bundesmetaphorik: Der Begriff dāvaq ist oft im Kontext des Bundes verwendet. Ehe ist nicht nur natürliche Gemeinschaft, sondern ein heilsgeschichtlich strukturierter Bund.
Schöpfungsordnung: Diese Verse entfalten nicht nur deskriptiv eine soziologische Realität, sondern normativ eine schöpfungstheologische Ordnung.
Christliche Auslegung
Im Neuen Testament zitiert Jesus diesen Vers (Mt 19,5; Mk 10,7–8) und betont, dass das, was Gott verbunden hat, der Mensch nicht trennen soll. Paulus verwendet ihn in Epheser 5,31–32 allegorisch auf Christus und die Kirche. Damit wird die eheliche Verbindung sakramental gedeutet: als Zeichen des Bundes zwischen Christus und seinem Leib, der Kirche.
Bezug zur Divina Commedia von Dante
• Obwohl dieser Vers in der Commedia nicht direkt zitiert wird, ist seine theologische Bedeutung zentral in Dantes Weltsicht:
• In Paradiso (v. a. Canto XXVII–XXXIII), besonders bei Beatrices Lehre, wird die vollkommene Ordnung zwischen Natur und Gnade sichtbar – darunter auch die ursprüngliche Ordnung zwischen Mann und Frau.
• Der Begriff der Einheit, der im „una caro“ mitschwingt, wird in Paradiso spiritualisiert als die vollkommene Einheit zwischen dem menschlichen Willen und dem göttlichen Willen.
• Dante reflektiert auch in seiner Darstellung der Minne (Vita Nova, Commedia) eine sakramentale Sichtweise der Liebe, die stark auf Genesis 2,24 zurückgeht: Die irdische Liebe (etwa zu Beatrice) soll zur Einheit mit dem göttlichen Ursprung führen.
Patristische Rezeption
a) Augustinus (De Genesi ad litteram, De bono coniugali):
• Deutet „ein Fleisch“ als Zeichen nicht nur der sexuellen, sondern der fruchtbaren und geistigen Gemeinschaft.
• Betont, dass die Ehe aus Genesis 2,24 nicht durch die Sünde eingeführt wurde, sondern Teil der ursprünglichen Gnade ist (status naturae integrae).
b) Irenäus von Lyon:
Sieht in der Verbindung von Mann und Frau eine Typologie für Christus und die Kirche (→ vorweggenommene Brautmystik).
c) Johannes Chrysostomos:
Kommentiert die Stelle in seinen Homilien zur Ehe mit Betonung auf gegenseitiger Verantwortung und der Rolle des Mannes als liebevoller Haupt der Familie (vgl. Eph 5,31).
d) Origenes:
Spirituelle Allegorese: Die „eine Fleischwerdung“ ist das Symbol der Seele, die sich mit der Weisheit bzw. dem Logos eint.
Fazit
Genesis 2,24 ist mehr als ein anthropologischer Vers über die Ehe – er ist ein Schlüsseltext zur Theologie der Einheit, der Beziehung und der göttlichen Ordnung. In der hebräischen Wurzel dāvaq wird das biblische Ideal von Bund und Treue sichtbar. Die patristische und mittelalterliche Rezeption, von Augustinus bis zu Dantes Theologie der Liebe, greift diesen Vers als Fundament der Schöpfungsordnung, der sakramentalen Wirklichkeit und der eschatologischen Vereinigung mit Gott auf.