Genesis 02:23

Luther 1545
Da sprach der Mensch / Das ist doch Bein von meinen Beinen / vnd Fleisch von meinem fleisch / Man wird sie Mennin heissen / darumb / das sie vom Manne genomen ist.

Luther 1912
Da sprach der Mensch: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin heißen, darum daß sie vom Manne genommen ist.

genesis 1genesis 2genesis 2/3

Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 2:23

1Mo 2:23 - Da sprach der Mensch: Das ist nun einmal Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch! Die soll Männin heißen; denn sie ist dem Mann entnommen!
1Mo 29:14 - Da sprach Laban zu ihm: Wohlan, du bist mein Gebein und mein Fleisch! Und er blieb bei ihm einen Monat lang.
Rich 9:2 - Redet doch vor den Ohren aller Bürger von Sichem: Was ist besser für euch, daß siebzig Männer, alle Kinder Jerub-Baals, über euch Herrschen, oder daß ein Mann über euch herrsche? Denket auch daran, daß ich euer Gebein und Fleisch bin!
2Sa 5:1 - Und alle Stämme Israels kamen zu David gen Hebron und sprachen: Siehe, wir sind dein Gebein und dein Fleisch.
2Sa 19:13 - Und zu Amasa sprecht: Bist du nicht mein Gebein und Fleisch? Gott tue mir dies und das, wenn du nicht Feldhauptmann sein wirst vor mir dein Leben lang an Joabs Statt!
Eph 5:30 - Denn wir sind Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinem Gebein.
1Mo 2:24 - Darum wird der Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, daß sie zu einem Fleische werden.
1Kor 11:8 - Denn der Mann kommt nicht vom Weibe, sondern das Weib vom Mann;
1Kor 11:8 - Denn der Mann kommt nicht vom Weibe, sondern das Weib vom Mann;
1Kor 11:9 - auch wurde der Mann nicht um des Weibes willen erschaffen, sondern das Weib um des Mannes willen.

Analyse

Genesis 2,23 ist ein Schlüsselmoment im Schöpfungsbericht: der Mensch erkennt das Gegenüber der Frau, die aus seinem eigenen Wesen genommen ist. Der Vers entfaltet anthropologische, theologische und literarische Tiefendimensionen, die sich in der hebräischen, griechischen und lateinischen Tradition unterschiedlich ausformen.

Biblisches Hebräisch

וַיֹּאמֶר הָאָדָם : זֹאת הַפַּעַם עֶצֶם מֵעֲצָמַי וּבָשָׂר מִבְּשָׂרִי ; לְזֹאת יִקָּרֵא אִשָּׁה , כִּי מֵאִישׁ לֻקֳחָה־זֹּאת
Vayyómer ha-’ādām: Zō’t happa‘am, ‘éṣem mē‘aṣāmáy, ûvāsār mibbesārí; lezō’t yiqqāré’ ’isháh, kî mé’îsh luqqacháh zō’t.
Da sprach der Mensch: Dies endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Diese soll Ischa genannt werden, denn vom Isch ist sie genommen.
• הַפַּעַם („diesmal“) hebt die lange Einsamkeit vor dem Erkennen des Gegenübers hervor.
• עֶצֶם („Knochen“, „Wesen“) und בָּשָׂר („Fleisch“) bezeichnen Identität in Substanz und Lebendigkeit.
• Das Wortspiel ish – ishah betont die komplementäre Wesensverwandtschaft.

Biblisches Griechisch (Septuaginta)

Καὶ εἶπεν ὁ Ἀδὰμ· Τοῦτο νῦν ὀστοῦν ἐκ τῶν ὀστῶν μου, καὶ σὰρξ ἐκ τῆς σαρκὸς μου· αὕτη κληθήσεται γυνή, ὅτι ἐκ τοῦ ἀνδρὸς αὐτῆς ἐλήμφθη αὕτη.
Kai eipen ho Adam: Touto nyn osteon ek tōn osteōn mou, kai sarx ek tēs sarkos mou; hautē klēthēsetai gynē, hoti ek tou andros autēs elēmphthē hautē.
Und Adam sprach: Dies jetzt ist ein Knochen von meinen Knochen und Fleisch von meinem Fleisch. Diese wird Frau genannt werden, weil sie vom Mann genommen wurde.
• γυνή – ἀνήρ ersetzt das hebräische ish – ishah, mit stärkerer Betonung auf Rollen- und Sozialstruktur.
• ἐλήμφθη („empfangen“, „genommen“) verweist auf eine Gabe, nicht auf Besitz oder Ableitung.

Biblisches Latein (Vulgata)

Dixit igitur Adam: Hoc nunc os ex ossibus meis, et caro de carne mea; haec vocabitur Virago, quoniam de viro sumpta est.
Da sprach Adam: Dies ist nun Bein von meinen Beinen und Fleisch von meinem Fleisch; diese soll Virago genannt werden, denn vom Vir wurde sie genommen.
• Das lateinische Wort Virago (eigentlich: „starke Frau“, oft auch „Mannweib“) verdeutlicht die enge Verbindung zum vir, dem Mann.
• Die Wahl dieses Wortes betont mehr die Gleichwertigkeit als nur die Geschlechtsdifferenz.

Anthropologische Dimension

Der Mensch erkennt in der Frau ein Gegenüber, das ihm an Wesen gleich ist. Die Betonung liegt nicht auf dem Unterschied, sondern auf der Gleichheit im Unterschied. Der Ausdruck „Knochen von meinem Knochen“ verweist auf eine gemeinsame ontologische Herkunft – nicht auf Abhängigkeit, sondern auf Relation.

Sprachspiel und Identität

Die hebräische Wortspielstruktur ish – ishah ist ein kreativer Ausdruck des Erkennens durch Benennen. Sprache schafft Beziehung und reflektiert gleichzeitige Differenz und Einheit. Der Mensch erkennt die Frau nicht als „andere“ (Fremde), sondern als „aus mir“ – was eine Theologie der personalen Gemeinschaft einleitet (vgl. Vers 24).

Theologische Bedeutung

• Die Frau wird nicht „erschaffen“ wie die Tiere, sondern „gebaut“ (Vers 22: וַיִּבֶן). Dies deutet auf eine architektonisch gedachte Komplementarität.
• Der Mensch sieht in ihr seine Gattung – ein Ebenbild, das Beziehung ermöglicht: Voraussetzung für Liebe, nicht für Herrschaft.
• Damit wird ein Beziehungsdreieck etabliert: Mensch – Mitmensch – Gott, wobei der andere Mensch Spiegel des Selbst vor Gott wird.

Bezug zu Dantes Divina Commedia

Dante rekurriert mehrfach auf Genesis 2, insbesondere im Paradiso (v.a. Canto XXVI), wo Adam im Himmel erscheint und über Sprache und Ursprung reflektiert:
> Paradiso XXVI, 139–142:
Poi ch’ebbe detto ciò, la santa pianta
ch’era sì diritta, e tanto feconda,
riprese: ‘El Primo Amor lo sommo bene…’

• In dieser Szene spricht Adam über die prima favella – die Ursprache. Dies ist ein impliziter Rückgriff auf Genesis 2,23, wo Sprache aus Erkenntnis und Beziehung erwächst.
• Im Purgatorio, Canto XXX, ist Beatrice die „neue Eva“: Als geistiges Gegenüber Dantes steht sie für das Bild der durch Erkenntnis verwandelten Liebe. Wie Eva aus dem Menschen hervorgeht, so erwächst in Dante die Erkenntnis der Wahrheit durch die Frau.

Patristische Rezeption

Die Kirchenväter lasen Genesis 2,23 meist typologisch:
Augustinus (De Genesi ad litteram)
• Betonung der unitas carnis: Die Frau als „Gehilfin“ ist nicht Subalterne, sondern Ausdruck der Liebe, die Einheit schafft.
• Der Unterschied zwischen Mann und Frau spiegelt Trinität und innertrinitarische Relationalität.
Ambrosius
• Sah in der Frau das Symbol der Kirche, die aus der Seite des neuen Adam (Christus am Kreuz) geboren wird – ein Rückgriff auf Genesis 2 in Verbindung mit Johannes 19,34.
Johannes Chrysostomos
• Betont, dass die Frau nicht aus dem Kopf (um zu herrschen) oder aus den Füßen (um beherrscht zu werden), sondern aus der Seite des Mannes genommen wurde – als Zeichen der Gleichstellung.

Schlussbemerkung

• Genesis 2,23 entfaltet die erste poetische Rede des Menschen: ein „Schöpfungspsalm“, in dem Identität, Sprache, Beziehung und Liebe ihren Ursprung finden. Die hebräische Sprachform bringt Nähe und Unmittelbarkeit zum Ausdruck, während die griechische und lateinische Tradition die funktionalen, sozialen und spirituellen Aspekte vertiefen.
• In der Divina Commedia wie in der patristischen Theologie bleibt dieser Vers ein Schlüssel zur Anthropologie, zur Symbolik der Frau und zur Sprache als Ausdruck wahrer Beziehung – zur Schöpfung und zu Gott.

Genesis 02:22 | Genesis 02:24

Dieser Beitrag wurde unter Genesis abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert