Luther 1545
Vnd der Mensch gab einem jglichen Vieh / vnd Vogel vnter dem Himel / vnd Thier auff dem felde / seinen namen / Aber fur den Menschen ward kein Gehülffe funden / die vmb jn were.
Luther 1912
Und der Mensch gab einem jeglichen Vieh und Vogel unter dem Himmel und Tier auf dem Felde seinen Namen; aber für den Menschen ward keine Gehilfin gefunden, die um ihn wäre.
Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 2:20
1Mo 2:20 - Da gab der Mensch einem jeglichen Vieh und Vogel und allen Tieren des Feldes Namen; aber für den Menschen fand sich keine Gehilfin, die ihm entsprochen hätte.
1Mo 2:18 - Und Gott der HERR sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die ihm entspricht!
Biblisches Hebräisch
וַיִּקְרָא הָאָדָם שֵׁמוֹת לְכָל־הַבְּהֵמָה וּלְעֹוף הַשָּׁמַיִם וּלְכֹל חַיַּת הַשָּׂדֶה וּלְאָדָם לֹא־מָצָא עֵזֶר כְּנֶגְדּוֹ׃
Va-yiqra ha-adam shemot le-khol ha-behemah u-le‘of ha-shamayim u-lekhol hayyat ha-sadeh; u-le’adam lo matza ‘ezer ke-negdo.
Und der Mensch gab Namen allem Vieh und den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes; aber für den Menschen fand sich keine Hilfe, die ihm entspräche.
• „וַיִּקְרָא“ – „er nannte“ → eine schöpferische Handlung: Benennung als Ausdruck von Erkenntnis und Autorität
• „שֵׁמוֹת“ – „Namen“ (Plural von shem)
• „לֹא־מָצָא עֵזֶר כְּנֶגְדּוֹ“ – „er fand keine Hilfe (Gehilfin), die ihm entsprach“
• ‘ezer – Hilfe, Beistand
• ke-negdo – „als Gegenüber“, im Sinne von „entsprechend, gleichwertig, ergänzend“
Biblisches Griechisch (Septuaginta)
Καὶ ἐκάλεσεν ὁ ἄνθρωπος ὀνόματα πᾶσι τοῖς κτήνεσιν καὶ πᾶσι τοῖς πετεινοῖς τοῦ οὐρανοῦ καὶ πᾶσι τοῖς θηρίοις τοῦ πεδίου· τῷ δὲ Ἀνθρώπῳ οὐχ εὑρέθη βοηθὸς κατ’ αὐτόν.
Kai ekalesen ho anthrōpos onomata pasi tois ktēnesin kai pasi tois peteinois tou ouranou kai pasi tois thēriois tou pediou; tō de anthrōpō ouch heurethē boēthos kat’ auton.
Und der Mensch gab allen Tieren Namen, dem Vieh und den Vögeln des Himmels und allen wilden Tieren des Feldes; aber für den Menschen fand sich kein Helfer, der ihm entsprach.
• boēthos kat’ auton – ein „Helfer entsprechend ihm“, was in der griechischen Philosophie oft mit dem Begriff des „symmetron“ (maß- und wesensgemäß) resoniert.
Biblisches Lateinisch (Vulgata)
Appellavitque Adam nominibus cuncta animantia, et universa volatilia caeli, et omnes bestias terrae: Adæ vero non inveniebatur adiutor similis eius.
Und Adam gab allen Tieren, allen Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes Namen; aber für Adam fand sich kein Helfer, der ihm ähnlich war.
• adiutor similis eius – ein „Helfer, ihm ähnlich“ → die Betonung auf Gleichwertigkeit, nicht Unterordnung
Anthropologische Dimension:
Der Vers zeigt den Menschen als benennendes Wesen (homo loquens), das Bedeutungen schafft. In der Namensgebung wird sowohl Herrschaft als auch Erkenntnis vollzogen (vgl. Gen 1,28). Doch zugleich zeigt sich seine existentielle Einsamkeit: Unter allen Kreaturen findet sich keine, die ihm in Wesen und Beziehung entspricht. Dies begründet die kommende Erschaffung der Frau (Gen 2,21–23).
Theologischer Aspekt:
Gott zeigt Adam, dass er ein Beziehungswesen ist. Die Suche nach dem „‘ezer ke-negdo“ enthüllt nicht nur ein Mangel, sondern eine Bestimmung zur Gemeinschaft, ein relationales Telos. Die Frau ist also keine spätere Korrektur, sondern Zielpunkt der anthropologischen Entwicklung.
Philosophisch-symbolisch:
Die Tiere stehen hier auch symbolisch für das „Andere“, das zwar von Adam benannt (verstanden) werden kann, aber nicht existenziell das Gegenüber bildet. Diese ontologische Einsamkeit des Menschen ist – wie bei Augustinus – nicht durch Welt oder Vernunft zu füllen, sondern durch personale Bezogenheit (cor inquietum est...).
Literarische Struktur:
Die Spannung zwischen der souveränen Handlung Adams (Namen geben) und seiner inneren Bedürftigkeit (kein „ezer“) erzeugt ein Moment der Erwartung, das erzählerisch auf die Erschaffung Evas hinführt. Dies ist ein Beispiel für biblische Narration, die nicht bloß theologisch, sondern auch poetisch funktioniert.
Bezug zur Divina Commedia von Dante Alighieri
a) Paradiso V, 19–24:
In der Rede des Justinianus über den freien Willen findet sich ein Rückgriff auf die adamitische Ordnung und Freiheit:
> „L'alta provedenza, che cotanto / volle creare, ogne intelletto aperse / ne' suoi effetti, sì che la sua corte / più larga fesse, e i suoi diletti spersi“
→ Die göttliche Vorsehung, die Adam schuf, öffnete auch seinen Geist. Doch ohne das Gegenüber bleibt der Mensch unvollständig. Der „ezer kenegdo“ ist auf höherer Ebene das Bild der Seele für Gott – wie Beatrice für Dante.
b) Beatrice als Gegenbild:
Beatrice erscheint im Purgatorio und Paradiso als personifizierte ‘ezer ke-negdo: nicht nur als Helferin, sondern als diejenige, die Dante zu seiner metaphysischen Erfüllung führt. Die Szene in Gen 2,20 erhält damit eine transzendente Spiegelung: wie Adam die Erfüllung seiner Bestimmung nur durch das Gegenüber erkennt, so kann auch Dante seine selva oscura nur überwinden durch die Führung Beatrices – einer Hilfe, die ihm „entspricht“, d. h. ihn zur Vollendung führt.
c) Allegorische Lesart:
In der mittelalterlichen Exegese wurde Gen 2,20–24 oft allegorisch auf Christus und die Kirche oder auf die Vernunft und die Weisheit (sapientia) bezogen. Dante spielt damit in der allegorischen Struktur seiner Commedia: die Vernunft (Vergil) reicht nicht aus; es bedarf der begegnenden Gnade – eines wahren „ezer“, das in Beatrice konkret wird.
Fazit
Genesis 2,20 beschreibt einen Wendepunkt in der Schöpfungsgeschichte: die Konfrontation des Menschen mit seiner Einsamkeit innerhalb der Schöpfung. Die verseigene Spannung zwischen Souveränität (Namen geben) und Bedürftigkeit (kein passendes Gegenüber) öffnet den Raum für das tiefste Verständnis des Menschseins: als auf Gemeinschaft, auf Ergänzung, auf Beziehung angelegtes Wesen. Dante greift diesen Topos auf, indem er das Motiv der heilenden, richtungsgebenden Hilfe in Beatrice verkörpert. Damit wird der adamitische Archetypus in ein eschatologisches Ziel transformiert: die Seele, die durch das rechte Gegenüber zum beatific vision geführt wird.