Luther 1545
vnd das gold des Lands ist köstlich / vnd da findet man Bedellion vnd den eddelstein Onix.
Luther 1912
Und das Gold des Landes ist köstlich; und da findet man Bedellion und den Edelstein Onyx.
Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 02:12
1Mo 2:12 und das Gold desselbigen Landes ist gut; dort kommt auch das Bedolach vor und der Edelstein Schoham.
2Mo 28:20 die vierte Reihe ein Chrysolith, ein Schoham und ein Jaspis. In Gold sollen sie gefaßt sein bei ihrer Einsetzung.
2Mo 39:13 die vierte Reihe ein Chrysolit, ein Schoham und ein Jaspis, bei ihrer Einsetzung in Gold gefaßt.
Hiob 28:16 Um Gold von Ophir ist sie nicht zu haben, auch nicht um köstlichen Schohamstein und Saphir.
Hes 28:13 In Eden, im Garten Gottes, warst du; mit allerlei Edelsteinen, mit Sardis, Topas, Diamant, Chrysolith, Onyx, Jaspis, Saphir, Rubin, Smaragd warst du bedeckt, und aus Gold waren deine Einfassungen und Verzierungen an dir gearbeitet; am Tage deiner Erschaffung wurden sie bereitet.
Biblisches Hebräisch (Masoretischer Text)
וּזֲהַב הָאָ֣רֶץ הַהִ֔וא ט֖וֹב שָׁ֑ם הַבְּדֹ֖לַח וְאֶ֥בֶן הַשֹּֽׁהַם׃
ûzəhav hāʾāreṣ hahîʾ ṭôv; šām habbədolaḥ wəʾeven haššōham
Und das Gold jenes Landes ist gut; dort gibt es Bdellium und den Stein Schoham (Onyx).
Septuaginta (Altgriechisch)
τὸ δὲ χρυσίον τῆς γῆς ἐκείνης καλόν· ἐκεῖ ἐστι τὸ ἄνθραξ καὶ ὁ λίθος ὁ πράσινος.
to de chrysion tēs gēs ekeinēs kalon; ekei estin to anthrax kai ho lithos ho prasinos
Und das Gold jenes Landes ist gut; dort gibt es Anthrax (Bernstein? Karneol?) und den grünen Stein (evtl. Beryll/Smaragd).
Anmerkung: Die LXX weicht hier deutlich ab – „Anthrax“ statt „Bdellium“, „grüner Stein“ statt „Onyx“.
Vulgata (Latein)
Et aurum terrae illius optimum est; ibi invenitur bdellium et lapis onychinus.
Und das Gold jenes Landes ist ausgezeichnet; dort findet man Bdellium und Onyxstein.
Theologisch
• Die Erwähnung von „gutem Gold“ erinnert an die göttliche Bewertung der Schöpfung: „Und siehe, es war sehr gut“ (Gen 1,31).
• Der Text verweist auf einen Zustand vor dem Sündenfall, in dem materielle Schönheit und geistliche Ordnung eins sind.
• Bdellium (hebr. bedolaḥ) wird in Num 11,7 nochmals erwähnt in Verbindung mit dem Manna – möglicher Hinweis auf paradiesische Nahrung oder göttliche Versorgung.
• Onyx (šōham) erscheint im Hohepriestergewand (Ex 28,9–12): Verbindung von Paradies und Heiligtum.
Liturgisch
• Im kirchlichen Stundengebet oder bei Schöpfungshymnen finden sich implizite Bezüge zur Güte und Schönheit der Schöpfung.
• Die Edelsteine des Paradieses (vgl. Ez 28,13; Offb 21,19–21) haben liturgisch-symbolischen Charakter in Kirchenbauten und Altarschmuck.
Philosophisch
• Die Wertung des Goldes als „gut“ impliziert eine objektive Wertordnung, die sich aus dem Seinscharakter der Dinge ergibt (vgl. Augustinus: ordo amoris).
• Materielle Güter sind gut, solange sie in rechter Ordnung gebraucht werden – was den paradiesischen Urzustand auszeichnet.
• Eine platonische Lesart sieht im Onyx und Bdellium Reflexe ideeller Schönheit, die in der Welt erscheinen.
Moralisch
• Der Vers warnt indirekt vor der späteren Verkehrung von Gold zu Götzendienst (Ex 32: Goldenes Kalb).
• Im Paradies dient das Gold der Anschauung, nicht dem Besitz – es wird „gesehen“, nicht „genommen“.
• Moralisch ideal: kontemplativer statt konsumierender Umgang mit Reichtum.
Allegorisch (z.B. Origines, Augustinus)
Gold = Glaube oder Weisheit
Bdellium = himmlische Erkenntnis oder göttlicher Trost
Onyx = Tugend oder das „Herz aus Stein“, das Gott zu Fleisch wandelt (Ez 36,26)
• So gedeutet, ist das Paradies ein Ort geistlicher Gaben, nicht bloß natürlicher Schönheit.
Symbolisch
Gold: Reinheit, Königswürde, Unvergänglichkeit
Bdellium: Mythischer Stoff (auch mit Perlen, Harz, Manna verglichen), symbolisiert das Geheimnis göttlicher Nahrung
Onyx: Schwarz-weißer Stein – Dualität, Einheit der Gegensätze, priesterliches Amt
Metaphorisch
• Das „gute Gold“ kann als Metapher für geistliche Reichtümer gelten.
• „Dort ist…“ → metaphorische Topographie der Seele: das innere Paradies enthält Erkenntnisse und Tugenden.
Topos (literarisch-kulturelles Motiv)
• Der „Ort mit Gold und Edelsteinen“ ist ein klassischer Topos des Goldenen Zeitalters bzw. der Urzeit (vgl. Hesiod, Ovid).
• Ähnlich wie Eden, Atlantis oder das Schlaraffenland → paradiesisches Ursprungsland mit natürlichen Schätzen.
Literarisch-poetisch
• Die rhythmische Dreiteilung (Gold – Bdellium – Stein) wirkt wie eine tricolon crescendo.
• Der Vers lebt von klanglichen Harmonien (z. B. tov… bdolach… shoḥam).
• Poetische Verdichtung von Sichtbarkeit (šām = „dort“) und Sinnlichkeit (Edelsteine als visuell erfahrbare Werte).
Mittelalterliche Rezeption
• Hildegard von Bingen interpretiert Edelsteine heilkundlich und mystisch.
• Thomas von Aquin erkennt im „Gold des Landes“ eine Typologie der Tugenden in der Seele des Gerechten.
• Dante (z. B. Paradiso, Canto XXX): beschreibt himmlische Jerusalem mit Edelsteinen – Rückgriff auf Gen 2 und Offb 21.
• Mystiker (z. B. Meister Eckhart): Das Gold des Landes steht für den innersten „Funkens der Seele“.
Fazit
• Genesis 2,12 ist mehr als eine geographisch-mineralogische Notiz – es ist ein dichter Vers mit vielschichtiger Tiefenstruktur:
• Er verbindet Materialität und Transzendenz, Schöpfung und Eschatologie.
• Seine Begriffe stehen an der Schnittstelle zwischen sinnlicher Welt und geistlicher Bedeutung.
• Die mittelalterliche Exegese und Liturgie machten daraus einen Schlüsselvers für das Verständnis des Paradieses als Urbild der göttlichen Ordnung.