Genesis 01:30

Luther 1545
vnd aller Thiere auff Erden / vnd allen Vogeln vnter dem Himel / vnd allem Gewürm das das Leben hat auff Erden / das sie allerley grün Kraut essen / Vnd es geschach also

Luther 1912
und allem Getier auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das da lebt auf Erden, daß sie allerlei grünes Kraut essen. Und es geschah also.

genesis 1genesis 1Luther, 2Mo 2,18

Biblisches Hebräisch

וּלְכָל־חַיַּת הָאָרֶץ וּלְכָל־ע֣וֹף הַשָּׁמַיִם וּלְכֹ֣ל רוֹמֵ֣שׂ עַל־הָאָ֡רֶץ אֲשֶׁר־בּ֣וֹ נֶ֣פֶשׁ חַיָּה֒ אֶת־כָּל־יֶ֣רֶק עֵ֔שֶׂב לְאָכְלָ֖ה וַֽיְהִי־כֵֽן׃
Anmerkungen:
• נֶפֶשׁ חַיָּה – „lebendige Seele“ / „lebendiges Wesen“ → betont die Beseelung auch der Tiere.
• יֶרֶק עֵשֶׂב – „grünes Kraut“ → Ernährung in paradiesischer Ordnung.
• וַיְהִי־כֵן – „Und so geschah es“ → göttliche Wirksamkeit ohne Widerstand.

Biblisches Griechisch (Septuaginta)

καὶ παντὶ θηρίῳ τῆς γῆς καὶ παντὶ πετεινῷ τοῦ οὐρανοῦ καὶ παντὶ ἑρπετῷ ἑρπόντι ἐπὶ τῆς γῆς, ὃ ἔχει ἐν ἑαυτῷ ψυχὴν ζωῆς, πᾶν χλωρὸν φυτόν εἰς βρῶσιν· καὶ ἐγένετο οὕτως.
Anmerkungen:
• ψυχὴν ζωῆς (psyche zōēs) – „Seele des Lebens“ → nahe bei „נֶפֶשׁ חַיָּה“
• χλωρὸν φυτόν – „grüne Pflanze“ → klare Parallele zu יֶרֶק עֵשֶׂב
• ἐγένετο οὕτως – entspricht וַיְהִי־כֵן

Biblisches Lateinisch (Vulgata)

universis animantibus terrae omnique volucri caeli et universis quae moventur in terra et in quibus est anima vivens ut habeant ad vescendum et factum est ita.
Anmerkungen:
• anima vivens = „lebendige Seele“ – Vulgata folgt wörtlich der Septuaginta.
• ad vescendum – „zum Essen“ → Betonung des Zwecks der Gabe.
• et factum est ita – wörtlich: „und so wurde es gemacht“ – göttliche Umsetzung.

Theologische Deutung

Paradigmatische Punkte:
Vegetarische Schöpfungsordnung: Kein Fleischverzehr – ein Zustand des Friedens (vgl. Jes 11,6–9).
Schöpfung als Gabe: Gott sorgt für alle Lebewesen – göttliche Fürsorge erstreckt sich über das gesamte Leben.
Einheit des Lebens: Der Ausdruck נֶפֶשׁ חַיָּה für Tiere weist auf eine gemeinsame „Seelenhaftigkeit“ mit dem Menschen hin (vgl. Gen 2,7).
• Kein Unterschied in Würde, sondern nur in Rolle – theologisch gesehen eine proto-ökologische Anthropologie.

Homiletische Auslegung

Predigtimpulse:
• Gott sorgt für alle – nicht nur für den Menschen. Daraus ergibt sich Verantwortung für Tiere und Umwelt.
• Friede in der Schöpfung – Einladung, diesen ursprünglichen Frieden zu suchen, auch im Umgang mit Nahrung und Natur.
• "Und es geschah so" – Gott spricht und es geschieht. Vertrauen in die Wirksamkeit des göttlichen Wortes.
• Schöpfung als Haushalterschaft – Die Gaben der Natur sollen verantwortungsvoll verwaltet, nicht ausgebeutet werden.

Philosophische Deutung

Zentrale Themen:
Kosmische Ordnung (Stoa/Platonismus): Die Vernunft (logos) durchwirkt die Welt, jedes Wesen hat seinen Platz – Genesis 1 spiegelt eine kosmische Vernunftordnung wider.
Ethik des Lebens (Aristoteles): Die Seele als Lebensprinzip – alle Lebewesen haben Anteil an der beseelten Lebendigkeit (nicht nur Menschen).
Heideggerisch: Der Mensch ist nicht „Herr“ der Natur, sondern Mitbewohner im Sein – diese Stelle betont Mit-Sein in der Welt, nicht Herrschaft über sie.

Psychologische Deutung

Mögliche Zugänge:
Ursprungsvertrauen (Erikson): Die Idee, dass Nahrung und Fürsorge „gegeben“ sind, legt psychologisch die Basis für ein positives Weltverhältnis.
Projektion auf Natur: Der Text spiegelt ein Idealbild von Harmonie und Bedürfnisbefriedigung – Ausdruck einer psychischen Utopie von Geborgenheit.
Vegetative Ebene der Psyche: Im Sinne C. G. Jungs symbolisiert das grüne Kraut auch eine unbewusste Vitalität – die Natur wird zur Nahrung auch für die innerpsychischen Grundlagen.

Politische Deutung

Politische Implikationen:
Ökologische Ethik: Die Gleichbehandlung von Mensch und Tier in Bezug auf Ernährung fordert eine ethisch-ökologische Politik.
Kritik an Ausbeutung: Die Vorstellung, dass alle Wesen von derselben Quelle leben, widerspricht kolonialistischen, kapitalistischen Raubstrukturen.
Tierrechte: Wenn Tiere ebenfalls „Seele“ haben und von Gott mit Nahrung versorgt werden, stellt sich die Frage nach einem gerechten Umgang mit Tieren.
Landwirtschaftspolitik: Die Betonung auf pflanzlicher Nahrung ruft nach einer nachhaltigen und gerechten Verteilung von Ressourcen.

Genesis 01:29 | Genesis 01:31

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