Genesis 01:28

Luther 1545
Vnd Gott segnet sie / vnd sprach zu jnen / Seid fruchtbar vnd mehret euch vnd füllet die Erden / vnd macht sie euch vnterthan. Vnd herrschet vber Fisch im Meer / vnd vber Vogel vnter dem Himel / vnd vber alles Thier das auff Erden kreucht.

Luther 1912
Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.

genesis 1genesis 1Luther, 2Mo 2,18

Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 1:28

1Mo 1:28 Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über alles Lebendige, was auf Erden kriecht!
Ps 69:34 Himmel und Erde sollen ihn rühmen, das Meer und alles, was sich darin regt!
Apg 17:26 Und er hat aus einem Blut das ganze Menschengeschlecht gemacht, daß es auf dem ganzen Erdboden wohne, und hat im voraus die Zeiten und die Grenzen ihres Wohnens bestimmt,

Biblisches Hebräisch (MT)

וַיְבָרֶךְ אֹתָם אֱלֹהִים, וַיֹּאמֶר לָהֶם אֱלֹהִים: פְּרוּ וּרְבוּ, וּמִלְאוּ אֶת-הָאָרֶץ וְכִבְשֻׁהָ; וּרְדוּ בִּדְגַת הַיָּם וּבְעוֹף הַשָּׁמַיִם, וּבְכָל-חַיָּה הָרֹמֶשֶׂת עַל-הָאָרֶץ.
Transliteration:
Vayevarekh otam Elohim vayomer lahem Elohim: P'ru ur'vu umil'u et-ha'aretz v'kivshuha; ur'du vidgat hayam uv'of hashamayim uvechol chaya haromeset al-ha'aretz.
Wortbedeutungen:
• פְּרוּ וּרְבוּ (p'ru ur'vu): Seid fruchtbar und vermehrt euch
• מִלְאוּ אֶת-הָאָרֶץ (mil'u et-ha'aretz): Füllt die Erde
• וְכִבְשֻׁהָ (v'kivshuha): Unterwerft sie (von כָּבַשׁ = bezwingen, unterwerfen)
• וּרְדוּ (ur'du): Herrscht / habt Herrschaft
• ר.ד.ה (radah): regieren, dominieren, aber auch behüten – ambivalent in der Auslegung

Biblisches Griechisch (Septuaginta)

Καὶ εὐλόγησεν αὐτοὺς ὁ Θεός λέγων· Αὐξάνεσθε καὶ πληθύνεσθε, καὶ πληρώσατε τὴν γῆν καὶ κατακυριεύσατε αὐτῆς· καὶ ἄρχετε τῶν ἰχθύων τῆς θαλάσσης καὶ τῶν πετεινῶν τοῦ οὐρανοῦ καὶ πάντων τῶν ζῴων τῶν κινούντων ἐπὶ τῆς γῆς.
Beachtenswert:
• κατακυριεύσατε (katakyrieusate): wtl. „überherrscht sie“ – verstärkte Form von „herrschen“
• ἄρχετε: wtl. „seid Herr über“, ähnlich wie „dominiert“, aber auch politisch zu lesen

Biblisches Latein (Vulgata)

Et benedixit illis Deus, et ait: Crescite et multiplicamini, et replete terram, et subicite eam, et dominamini piscibus maris, et volatilibus cæli, et universis animantibus, quae moventur super terram.
Wichtig:
• subicite eam: unterwerft sie (subicere = „unter etwas werfen“, „unterordnen“)
• dominamini: herrscht, dominiert – verwandt mit „dominus“ (Herr)

Theologische Deutung

Genesis 1,28 ist ein zentraler Text für das Verständnis von Schöpfung, Anthropologie und Ethik:
• Imago Dei: Der Mensch erhält den göttlichen Segen und Auftrag als Ebenbild Gottes (vgl. Gen 1,26). Die Herrschaft ist also eine repräsentative – nicht tyrannische – Herrschaft.
• Fruchtbarkeit und Fürsorge: Der Auftrag zur Fruchtbarkeit ist kein bloßer biologischer Befehl, sondern ein Teilhabeakt am schöpferischen Wirken Gottes.
• Verantwortete Herrschaft: Die „Unterwerfung“ (כָּבַשׁ / subicite) ist theologisch nie als Ausbeutung legitimiert. Die rabbinische Tradition betont die Mitverantwortung des Menschen für das Wohl der Schöpfung.
Spätere theologische Linien:
• Augustinus: sieht im Auftrag eine Ordnung der Natur, in der der Mensch die ratio über die Triebe stellt.
• Thomas von Aquin: interpretiert „dominium“ als rationales, sittlich begründetes Verhältnis zur Welt.

Homiletische Perspektive

• Berufung und Verantwortung: Der Text ist kein „Freifahrtschein zur Ausbeutung“, sondern Ausdruck einer Berufung zur Gestaltung.
• Gottes Segen als Grundlage: Nicht der Mensch nimmt sich Macht, sondern er empfängt gesegnete Verantwortung.
• Ökologische Predigtansätze: Der Text spricht zur heutigen Umweltethik: Die „Herrschaft“ muss in die Verantwortung eingebettet werden.
• „Gott segnet – und mit diesem Segen gibt er uns nicht Kontrolle, sondern einen Auftrag: zu pflegen, zu fördern, zu wahren. Die Welt ist nicht unser Besitz – sie ist uns anvertraut.“

Philosophische Deutung

Philosophisch sind zwei Hauptrichtungen erkennbar:
a) Anthropozentrik:
• Der Mensch als Maß aller Dinge: Genesis 1,28 wurde in der Neuzeit (Descartes, Bacon) als Legitimation der technischen Dominanz über die Natur gelesen.
• Kritik: Diese Lesart mündete in eine instrumentelle Vernunft (Horkheimer/Adorno).
b) Verantwortungsethik (Jonas):
• Hans Jonas: „Prinzip Verantwortung“ – der Mensch trägt eine nie dagewesene Macht und muss ethisch vorausdenken.
• Genesis 1,28 als Ursprungsethik einer ökologisch orientierten Kultur – nicht der Herrschaft um der Herrschaft willen, sondern der verantworteten Freiheit.

Psychologische Deutung

a) Fruchtbarkeit und Selbstverwirklichung:
• Der Ruf „seid fruchtbar“ ist auch psychologisch als Symbol für Kreativität, Lebensfülle, Entwicklung interpretierbar.
• Fruchtbarkeit ist nicht nur biologisch, sondern auch geistig, seelisch, schöpferisch zu lesen.
b) Herrschaft über das Innere:
• Das „Herrschen“ kann als Bild für die innere Ordnung gelesen werden (vgl. Stoische Philosophie):
• Herrschaft über Triebe, Ängste, chaotische Anteile – psychische Selbstregierung.
• Viktor Frankl: Sinnverwirklichung als höchste Aufgabe des Menschen.
c) Bindung und Wachstum:
• Aus Bindung (Segen) entsteht Wachstum (Fruchtbarkeit). Der Text zeigt: Identität entsteht durch Beziehung und Auftrag – nicht durch Egozentrik.

Fazit

• Genesis 1,28 ist ein Schlüsselvers für das jüdisch-christliche Menschenbild. Die ambivalenten Begriffe wie „herrschen“ und „unterwerfen“ verlangen stets theologische und ethische Auslegung. In allen Perspektiven – philologisch, theologisch, philosophisch, psychologisch – zeigt sich:
• Der Mensch ist zur Gestaltung der Welt berufen – aber nur im Rahmen einer göttlich gesegneten Verantwortung.

Genesis 01:27 | Genesis 01:29

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