Luther 1545
VND Gott sprach / Lasst vns Menschen machen / ein Bild / das vns gleich sey / Die da herrschen vber die Fisch im Meer / vnd vber die Vogel vnter dem Himel / vnd vber das Vieh / vnd vber die gantzen Erde / vnd vber alles Gewürm das auff Erden kreucht.
Luther 1912
Und Gott sprach: Laßt uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.
Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 1:26
1Mo 1:26 Und Gott sprach: Wir wollen Menschen machen nach unserm Bild uns ähnlich; die sollen herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über das Vieh auf der ganzen Erde, auch über alles, was auf Erden kriecht!
1Mo 3:22 Und Gott der HERR sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner, insofern er weiß, was gut und böse ist; nun soll er nicht auch noch seine Hand ausstrecken und vom Baume des Lebens nehmen und essen und ewiglich leben!
1Mo 11:7 Wohlan, laßt uns hinabfahren und daselbst ihre Sprache verwirren, daß keiner des andern Sprache verstehe!
Hiob 35:10 Aber man denkt nicht: Wo ist Gott, mein Schöpfer, der Loblieder gibt in der Nacht,
Ps 100:3 Erkennet, daß der HERR Gott ist; er hat uns gemacht, nicht wir uns selbst, zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide.
Ps 149:2 Israel freue sich seines Schöpfers, die Kinder Zions sollen jubeln über ihren König!
Jes 64:8 Nun aber bist du, HERR, unser Vater; wir sind der Ton, und du bist unser Töpfer, wir sind allzumal deiner Hände Werk.
Joh 5:17 Jesus aber antwortete ihnen: Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke auch.
Joh 14:23 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort befolgen, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.
1Joh 5:7 Und der Geist ist es, der bezeugt, weil der Geist die Wahrheit ist.
Ps 8:6 Du lässest ihn herrschen über die Werke deiner Hände; alles hast du unter seine Füße gelegt:
Biblisches Hebräisch (Masoretischer Text)
וַיֹּאמֶר אֱלֹהִים ׀ נַעֲשֶׂה אָדָם בְּצַלְמֵנוּ כִּדְמוּתֵנוּ וְיִרְדּוּ בִדְגַת הַיָּם וּבְעוֹף הַשָּׁמַיִם וּבַבְּהֵמָה וּבְכָל־הָאָרֶץ וּבְכָל־הָרֶמֶשׂ הָרֹמֵשׂ עַל־הָאָרֶץ׃
• naʿăśeh ʾādām – „Lasset uns Menschen machen“ (Pluralform, interpretativ wichtig)
• bəṣalmenū kiḏmūtenū – „in unserem Bild, nach unserer Ähnlichkeit“
• wəyirdū – „und sie sollen herrschen“ (Qal Imperfekt von רָדָה)
• rōmēś ʿal-hāʾāreṣ – „das sich auf der Erde kriechende“
Septuaginta (Altgriechisch)
Καὶ εἶπεν ὁ Θεός· Ποιήσωμεν ἄνθρωπον κατ’ εἰκόνα ἡμετέραν καὶ καθ’ ὁμοίωσιν· καὶ ἀρχέτωσαν τῶν ἰχθύων τῆς θαλάσσης καὶ τῶν πετεινῶν τοῦ οὐρανοῦ καὶ τῶν κτηνῶν καὶ πάσης τῆς γῆς καὶ παντὸς ἑρπετοῦ τοῦ ἑρπόντος ἐπὶ τῆς γῆς.
• ποιήσωμεν – Konjunktiv Aorist von ποιέω („lasst uns machen“), auch hier ein Plural
• κατ’ εἰκόνα / καθ’ ὁμοίωσιν – „nach Bild / nach Ähnlichkeit“
• ἀρχέτωσαν – „sie sollen herrschen“ (3. Pl. Präs. Imperativ Akt. von ἄρχω)
Vulgata (Latein)
Et ait Deus: Faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram, et praesit piscibus maris, et volatilibus caeli, et bestiis, universaeque terrae, omnique reptili quod movetur super terram.
• faciamus – „lasst uns machen“ (1. Pl. Konjunktiv Futur)
• ad imaginem et similitudinem nostram – „nach unserem Bild und Gleichnis“
• praesit – „er möge herrschen“, Konjunktiv Präsens
Theologische Deutung
1. Trinitarische Implikation
Die Pluralform „Lasset uns“ wurde in der christlichen Theologie oft als Hinweis auf die Trinität gelesen (z. B. Augustinus, De Trinitate). Rabbinische Exegese erklärt dies hingegen als „Plural der Majestät“ oder als Hinweis auf den himmlischen Hof (vgl. Jes 6).
2. Imago Dei – „Bild Gottes“
• Imago (Bild) und similitudo (Ähnlichkeit) unterscheiden sich leicht:
• Imago – Konstitutionelle Ähnlichkeit: Vernunft, Sprache, Geist
• Similitudo – Dynamische Nachahmung: Tugend, Heiligkeit, Gerechtigkeit
• In der Theologie bedeutet das: Der Mensch ist nicht Gott, aber er ist berufen zur Gottesähnlichkeit und beauftragt zur Stellvertretung auf Erden.
3. Dominion/Herrschaft
• „Herrschen“ (radah) ist kein tyrannischer Begriff im Ursprung, sondern ein pflegendes, verantwortliches Hüten – analog zur Hirtensorge.
• Im Lichte von Genesis 2 ist die Herrschaft eingebunden in Beziehung, Verantwortung und Dienst.
Rezeptionsgeschichte
1. Judentum
• Die rabbinische Tradition diskutiert die Würde des Menschen als Adam, aus adamah (Erde) geformt, aber mit dem ruach (Geist) Gottes belebt.
• Manche Midraschim betonen, dass Engel gegen die Erschaffung des Menschen protestierten – wegen seiner späteren Sündhaftigkeit.
2. Kirchenväter
• Irenäus von Lyon: Der Mensch als Repräsentant des sichtbaren und unsichtbaren Kosmos.
• Origenes: Betonung des innerlichen Bildes Gottes – im Verstand.
• Augustinus: Trinitarisches Abbild im menschlichen Geist – Gedächtnis, Intellekt, Wille.
3. Reformation
• Luther betonte die ursprüngliche Gerechtigkeit des Menschen im „Bild Gottes“, die durch die Sünde verloren ging.
• Calvin sah die imago Dei stärker in ethisch-praktischer Hinsicht (Gottesfurcht, Gerechtigkeit, Liebe).
4. Moderne Theologie
• Karl Barth: Imago Dei ist Beziehungsstruktur – „Der Mensch als Gegenüber Gottes“.
• Jürgen Moltmann: Betonung der eschatologischen Vervollkommnung des Bildes.
Homiletische Perspektive
Der Vers bietet einen idealen Einstieg in Predigten über:
• Menschenwürde („Jeder Mensch ist Ebenbild Gottes“)
• Schöpfungsverantwortung (keine Ausbeutung, sondern Sorge)
• Berufung zur Ähnlichkeit mit Christus als wahres Bild Gottes (vgl. Kol 1,15)
• Verbindung mit Matthäus 5–7 (Bergpredigt): Die gottähnliche Lebensweise zeigt sich in Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Friedensstiftung.
Philosophische Deutung
1. Anthropologie
• Der Mensch als animal rationale (Aristoteles) wird hier ergänzt durch eine theomorphe (gottähnliche) Qualität.
• Der Begriff Bild Gottes ist eine metaphysische Aussage über den Menschen: nicht bloß Naturwesen, sondern geistige Person.
2. Ethik
• Personalismus (z. B. Emmanuel Mounier, Martin Buber): Würde und dialogische Struktur des Menschen beruhen auf der imago Dei.
• Verantwortungsethik: Der Auftrag zur Herrschaft ist kein Besitzrecht, sondern ein ethischer Appell.
3. Moderne Anthropologie
• Hannah Arendt: Der Mensch ist fähig zu Neuem (natality) – göttliches Moment im Handeln.
• Hans Jonas: Verantwortung für Leben als Teil des Menschseins – im Bild Gottes begründet.