Luther 1545
Vnd Gott machet die Thier auff Erden / ein jglichs nach seiner art / vnd das Vieh nach seiner art / vnd allerley Gewürm auff Erden / nach seiner art. Vnd Gott sah das es gut war.
Luther 1912
Und Gott machte die Tiere auf Erden, ein jegliches nach seiner Art, und das Vieh nach seiner Art, und allerlei Gewürm auf Erden nach seiner Art. Und Gott sah, daß es gut war.
Biblisches Hebräisch (Masoretischer Text)
וַיַּ֣עַשׂ אֱלֹהִ֗ים אֶת־חַיַּ֤ת הָאָרֶץ֙ לְמִינָ֔הּ וְאֶת־הַבְּהֵמָ֖ה לְמִינָ֑הּ וְאֵ֣ת כׇּל־רֶ֣מֶשׂ הָֽאֲדָמָ֗ה לְמִינֵ֔הוּ וַיַּ֥רְא אֱלֹהִ֖ים כִּי־טֽוֹב׃
Vayyaʿaś Elohim et-ḥayyat ha'arets leminah, ve'et-habehemah leminah, ve'et kol-remes ha'adamah leminêhu; vayar Elohim ki-tov.
Schlüsselbegriffe:
• חַיָּה (ḥayyāh): wildes Tier
• בְּהֵמָה (behemāh): Nutztier / Vieh
• רֶמֶשׂ (remes): kleines Kriechtier / Gewürm
• לְמִינָהּ / לְמִינֵהוּ (lemināh / leminêhu): „nach seiner/ihrer Art“
• כִּי־טוֹב (ki-tov): „dass es gut war“
Biblisches Griechisch (Septuaginta)
καὶ ἐποίησεν ὁ θεὸς τὰ θηρία τῆς γῆς κατὰ γένος, καὶ τὰ κτήνη κατὰ γένος, καὶ πάντα τὰ ἑρπετὰ τῆς γῆς κατὰ γένος αὐτῶν· καὶ εἶδεν ὁ θεὸς ὅτι καλόν.
Schlüsselbegriffe:
• θηρία: wilde Tiere
• κτήνη: Vieh / Haustiere
• ἑρπετά: Kriechtiere
• κατὰ γένος: nach Gattung / Art
• καλόν: gut, schön, passend
Biblisches Lateinisch (Vulgata)
Et fecit Deus bestias terrae secundum species suas, et iumenta, et omne reptile terrae in genere suo. Et vidit Deus quod esset bonum.
Schlüsselbegriffe:
• bestiae terrae: wilde Tiere der Erde
• iumenta: Zug- und Haustiere
• reptile terrae: Gewürm / Kriechtiere
• secundum species suas / in genere suo: nach ihrer Art
• bonum: gut
Theologische Deutung
1. Schöpfung als Ordnung
Die wiederholte Wendung „nach seiner Art“ betont die geordnete Struktur der Schöpfung. Gott schafft keine chaotische Welt, sondern eine differenzierte, gegliederte Natur, in der jede Kreatur ihren Platz hat.
2. Gutheit der Schöpfung
Das göttliche „Es war gut“ verweist auf die intrinsische Gutheit der Schöpfung. Nichts ist „böse“ geschaffen. Dies bildet die Grundlage für eine positive Theologie der Natur und Materie (gegen gnostische Tendenzen).
3. Anthropologische Implikation
Diese Etappe bereitet die Erschaffung des Menschen (Vers 26) vor. Der Mensch wird in eine bereits gute, differenzierte Welt gestellt – nicht als Zerstörer, sondern als Verwalter.
Rezeptionsgeschichte
1. Judentum
Midrasch-Literatur interpretiert „nach seiner Art“ auch moralisch: jede Kreatur soll in ihrer „Natur“ verbleiben. Dies diente zur Ableitung von Reinheitsgeboten.
2. Kirchenväter
• Augustinus sah in der Ordnung der Arten ein Bild der göttlichen Weisheit.
• Gregor von Nyssa las diese Stelle allegorisch: die Tiere als Bild für Leidenschaften, die gezähmt werden müssen.
3. Mittelalter
Thomas von Aquin: betonte die teleologische Ordnung – alles existiert „propter bonum commune“, im Hinblick auf ein höheres Ziel.
4. Neuzeit
• In der Naturtheologie (z.B. Paley) wurde die „nach ihrer Art“-Schöpfung als Argument für einen intelligenten Designer gelesen.
• Charles Darwin stellte genau diesen Gedanken in Frage: Arten seien nicht fix, sondern evolutionär verändert.
Predigtlehre (Homiletik)
1. Themenvorschläge
• „Gott liebt die Vielfalt“ – Betonung der Vielfalt und Würde jeder Kreatur.
• „Nach ihrer Art – und doch verbunden“ – Einheit in Differenz als Modell für Gemeinschaft und Kirche.
• „Gott sah, dass es gut war“ – Einladung zur Ehrfurcht vor der Schöpfung und zur ökologischen Verantwortung.
2. Kerygmatische Stoßrichtung
• Gegen den instrumentellen Umgang mit Tieren und Natur.
• Würdigung des Tieres als Mitgeschöpf (vgl. Ps 104,24).
• Verbindung zur eucharistischen Dankbarkeit für Gottes Werke.
Philosophische Deutung
1. Metaphysik der Differenz
• Die Formel „nach seiner Art“ betont die Essenz (λόγος, species, forma). Aristotelisch gedacht: Jedes Wesen hat eine immanente Natur.
• Im platonischen Sinne könnten die Arten auf ewige Urbilder (Ideen) verweisen.
2. Natur als Kosmos
• Die Natur ist nicht chaotisch, sondern ein Kosmos (gr. κόσμος = Ordnung, Schönheit).
• Stoische Lesart: Die Welt ist durch Logos durchwaltet; Gott wirkt in der Ordnung.
3. Ethik
• Wenn die Welt „gut“ geschaffen ist, dann hat der Mensch die Pflicht, sie in ihrer Gutheit zu bewahren.
• Grundlage für Umweltethik, Bioethik, Tierethik.