Genesis 01:24

Luther 1545
VND Gott sprach / Die Erde bringe erfür lebendige Thier / ein jglichs nach seiner art / Vieh / Gewürm vnd Thier auff Erden / ein jglichs nach seiner art / Vnd es geschach also.

Luther 1912
Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendige Tiere, ein jegliches nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere auf Erden, ein jegliches nach seiner Art. Und es geschah also.

genesis 1genesis 1Luther, 2Mo 2,18

Biblisches Hebräisch (Masoretischer Text)

וַיֹּאמֶר אֱלֹהִים, תּוֹצֵא הָאָרֶץ נֶפֶשׁ חַיָּה לְמִינָהּ—בְּהֵמָה וָרֶמֶשׂ וְחַיַּת-אֶרֶץ לְמִינָהּ; וַיְהִי-כֵן.
Analyse:
• וַיֹּאמֶר אֱלֹהִים (vayyómer Elohím): "Und Gott sprach" – klassisches performatives Schöpfungswort.
• תּוֹצֵא הָאָרֶץ (totzé ha'áretz): "Die Erde bringe hervor" – die Erde wird aktiv als Medium göttlicher Schöpfung.
• נֶפֶשׁ חַיָּה (néfesch chayyáh): "lebendige Seele/Wesen" – betont die Beseeltheit des Lebendigen.
• לְמִינָהּ (lemináh): "nach ihrer Art" – betont die Ordnung und Diversität der Schöpfung.
• Dreifache Klassifikation:
• בְּהֵמָה (behemáh): Nutztiere/Vieh
• וָרֶמֶשׂ (varemés): Kriechtiere/Kleingetier
• וְחַיַּת-אֶרֶץ (vᵉchayyat-éretz): wilde Tiere

Biblisches Griechisch (Septuaginta)

καὶ εἶπεν ὁ Θεός· ἐξαγαγέτω ἡ γῆ ψυχὴν ζῶσαν κατὰ γένος, τετράποδα καὶ ἑρπετὰ καὶ θηρία τῆς γῆς κατὰ γένος· καὶ ἐγένετο οὕτως.
Begriffe:
• ψυχὴν ζῶσαν (psychēn zōsan): „lebendige Seele“ – griech. Entsprechung zu נֶפֶשׁ חַיָּה.
• κατὰ γένος (kata génos): "nach Art/Gattung" – Begriff mit philosophischer Tiefe (s. Platon/Aristoteles).
• θηρία (thēría): wilde Tiere, ein Begriff später für wilde Leidenschaften im Menschen verwendet.

Biblisches Lateinisch (Vulgata)

Dixit quoque Deus: Producat terra animam viventem in genere suo, iumenta et reptilia et bestias terrae secundum species suas. Et factum est ita.
Anmerkungen:
anima vivens: "lebendige Seele" – entspricht ψυχὴ ζῶσα und נֶפֶשׁ חַיָּה.
in genere suo / secundum species suas: frühe Vorlage für die aristotelische/biologische Taxonomie.
iumenta: Zugtiere/Nutztiere
reptilia: Kriechtiere
bestiae: wilde Tiere – im Mittelalter oft allegorisch negativ konnotiert.

Parallelstellen zu Genesis (1Mose 1:24)

1Mo 1:24 Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendige Wesen nach ihrer Art, Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes nach ihrer Art! Und es geschah also.
1Mo 6:20 aller Art Vögel und aller Art Vieh und von allem, was auf Erden kriecht, sollen je zwei von jeder Art zu dir kommen, damit sie am Leben bleiben.
1Mo 7:14 sie und alle Arten der Tiere und des Viehs und allerlei Kriechendes, was auf Erden kriecht, von jeglicher Art, auch aller Art Geflügel, Vögel und Federvieh;
1Mo 8:19 Alle Tiere, alles, was kriecht und fliegt, alles, was sich auf Erden regt, nach seinen Gattungen, das verließ die Arche.
Hiob 38:39 Jagst du der Löwin ihre Beute und stillst die Begierde der jungen Löwen,
Hiob 38:40 wenn sie in ihren Höhlen kauern, im Dickicht auf der Lauer liegen?
Hiob 39:1 Kennst du die Zeit, da die Steinböcke gebären, oder hast du beobachtet, wann die Hindinnen werfen?
Hiob 39:5 Wer hat den Wildesel frei laufen lassen, und wer hat die Bande des Wildlings aufgelöst,
Hiob 39:9 Wird der Büffel willig sein, dir zu dienen? Bleibt er an deiner Krippe über Nacht?
Hiob 39:19 Hast du dem Roß Stärke verliehen und seinen Hals mit der flatternden Mähne umhüllt?
Hiob 40:15 Siehe doch das Flußpferd, das ich gemacht habe wie dich: Gras frißt es wie ein Ochs!
Ps 50:9 Ich will keinen Farren aus deinem Hause nehmen, noch Böcke aus deinen Ställen!
Ps 50:10 Denn mein sind alle Tiere des Waldes, das Vieh auf den Bergen zu Tausenden.
Ps 104:18 Die hohen Berge sind für die Steinböcke, die Felsenklüfte sind der Klippdachsen Zuflucht.
Ps 104:23 der Mensch aber geht aus an sein Tagewerk, an seine Arbeit bis zum Abend.
Ps 148:10 wilde Tiere und alles Vieh, alles, was kriecht und fliegt;

Theologische Deutung

Schöpferische Ordnung: Gott erschafft nicht willkürlich, sondern "nach ihrer Art" – Hinweis auf eine geordnete, strukturierte Welt.
Mit-Schöpfertum der Erde: Die Erde wird zur aktiven Teilnehmerin am Schöpfungsakt – theologisch relevant für eine Sakramentalität der Schöpfung.
Anthropozentrische Vorbereitung: Die Erschaffung der Tiere ist die unmittelbare Vorbereitung der Krönung der Schöpfung: des Menschen (Vers 26).
Göttliche Transzendenz und Immanenz: Gott wirkt durch sein Wort, bleibt dabei aber von der Materie getrennt – zentral im jüdischen und christlichen Gottesbild.

Rezeptionsgeschichte

Judentum: Midraschim betonen die Weisheit in der Ordnung der Artenvielfalt und interpretieren Tiere oft symbolisch (z. B. Leviathan als Chaosmacht).
Christentum: Kirchenväter wie Augustinus oder Ambrosius lasen den Vers allegorisch: Tiere = Sinnbilder für Triebe, Seelenkräfte, Dämonen.
Mittelalterliche Zoologie: Der Vers wird Grundlage für Bestiarien – moralisch-allegorische Tierkunde.
Reformation: Luther betont die Güte Gottes in der Schöpfung auch der "niederen" Kreaturen; Calvin hebt die göttliche Ordnung hervor.

Philosophische Deutung

Aristotelisch: "Nach ihrer Art" = frühes Konzept von Spezies/Gattungen (γένος, εἶδος); Ordnung als Ausdruck der logischen Struktur der Natur.
Platonisch: Tiere als Abbilder idealer Formen; die Erde bringt sie hervor, aber sie verweisen auf transzendente Ideen.
Spinoza: Tiere sind Teil des göttlichen Natura naturans; kein qualitativer Unterschied zum Menschen (Monismus).
Heidegger: Der Mensch „existiert“, das Tier ist lediglich „weltarm“ – in Genesis wird der Tierwelt jedoch eine positive Eigenbedeutung zugeschrieben.

Psychologische Deutung

Heidegger: Tiere als Spiegel der menschlichen Triebe: In der Tiefenpsychologie (Freud/Jung) stehen Tiere oft für unbewusste Anteile des Menschen.
"nach ihrer Art" könnte psychologisch für die Vielfalt innerseelischer Kräfte stehen – Ordnung der Psyche.
Erde bringt hervor: Das Unbewusste (Erde) bringt Lebenskräfte (Tierseelen) hervor – Entwicklung der Psyche als schöpferischer Prozess.

Naturwissenschaftliche Deutung

Evolutionstheorie: Der Text spricht von Artenvielfalt und Differenzierung, was sich mit modernen Konzepten wie „adaptive radiation“ berühren lässt – allerdings ohne evolutionäre Mechanismen.
"Die Erde bringe hervor": Ansatzpunkt für theistische Evolution – Gott wirkt durch natürliche Prozesse.
Taxonomie: Die dreifache Einteilung (Nutztier, Wildtier, Kriechtier) ist archaisch, aber die Idee einer Gliederung des Tierreichs ist grundlegend.
Lebendige Seele: Spannend im Kontext moderner Diskussionen über Tierbewusstsein und tierisches Leiden.

Genesis 01:23 | Genesis 01:25

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