Genesis 01:22

Luther 1545
Vnd Gott segnet sie / vnd sprach / Seid fruchtbar vnd mehret euch vnd erfüllet das Wasser im Meer / Vnd das Geuogel mehre sich auff Erden..

Luther 1912
Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehrt euch und erfüllt das Wasser im Meer; und das Gefieder mehre sich auf Erden.

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Biblisches Hebräisch

וַיְבָרֶךְ אֹתָם אֱלֹהִים לֵאמֹר פְּרוּ וּרְבוּ וּמִלְאוּ אֶת־הַמַּיִם בַּיַּמִּים וְהָעוֹף יִרֶב בָּאָרֶץ׃
Wajevarekh ’otam ’Elohim, le’emor: Peru urevu umil’u et-hammayim bayyamim, weha‘of jirev ba’arets.
• Wajevarekh (וַיְבָרֶךְ) – „und er segnete“: Pi‘el-Verbform, intensive Handlung.
• Peru urevu (פְּרוּ וּרְבוּ) – „seid fruchtbar und mehrt euch“: Imperative von פרה („fruchtbar sein“) und רבה („sich vermehren“).
• Mil’u (וּמִלְאוּ) – „füllt“ (ebenso Imperativ).
• Ha‘of jirev (הָעוֹף יִרֶב) – „das Geflügel mehre sich“ (Imperfekt jirev = „es wird sich mehren“, hier als jussivisch gelesen).

Biblisches Griechisch (Septuaginta)

καὶ εὐλόγησεν αὐτὰ ὁ θεὸς λέγων· αὐξάνεσθε καὶ πληθύνεσθε, καὶ πληρώσατε τὰ ὕδατα ἐν ταῖς θαλάσσαις, καὶ τὰ πετεινὰ πληθυνέτω ἐπὶ τῆς γῆς.
• αὐξάνεσθε καὶ πληθύνεσθε – „wachst und mehrt euch“ (Erweiterung zu „seid fruchtbar“).
• πληρώσατε – „füllt“ (Aorist Imperativ).
• πληθυνέτω – „es mehre sich“ (3. Person Singular Imperativ).
Beobachtung:
Die LXX verdeutlicht durch den Gebrauch zweier verschiedener Begriffe für Wachstum (αὐξάνω) und Vervielfältigung (πληθύνω) eine feinere Nuancierung als das Hebräische.

Biblisches Lateinisch (Vulgata)

benedixitque illis Deus dicens: crescite et multiplicamini, et replete aquas maris: avesque multiplicentur super terram.
• crescite et multiplicamini – „wachst und vermehrt euch“ (Imperative).
• replete – „füllt“.
• multiplicentur – „sie sollen sich mehren“ (Konjunktiv, jussivisch).

Theologische Deutung

1. Segen als schöpferischer Akt
• Der erste explizite Segen Gottes gilt den Tieren – noch vor dem Menschen (der in Vers 28 gesegnet wird).
• Der Segen ist performativ: Gott spricht nicht nur ein gutes Wort, sondern bewirkt Wachstum und Fruchtbarkeit.
2. Schöpfungsordnung
• Die Segensformel steht am Ende des fünften Schöpfungstags, als die Wasser- und Lufthabitate bevölkert wurden.
• Der Mensch teilt mit den Tieren den Auftrag zur Vermehrung – dies begründet die organische Einbindung des Menschen in die belebte Welt (Anthropologie der Gemeinsamkeit).
3. Fruchtbarkeit als göttliches Prinzip
• Fruchtbarkeit ist kein menschlicher Verdienst, sondern göttlich verliehen – dies prägt das biblische Denken bis in die patriarchale Geschichte hinein (Sarah, Rebekka, Rahel).

Philosophische Deutung

1. Teleologie der Natur
• In antiker Philosophie (Aristoteles, stoische Tradition) gilt die Fruchtbarkeit als Ausdruck der natürlichen Telos – eine Ordnung, in der das Sein zur Entfaltung strebt.
• Genesis 1,22 spiegelt eine ähnliche Ordnung: Schöpfung ist zielgerichtet auf Leben und Fülle hin.
2. Lebensprinzip und Generativität
• Die generative Kraft (Fortpflanzung) ist elementarer Ausdruck des Lebens selbst – vergleichbar mit Plotins „Überströmen des Einen“.
• Der göttliche Segen ist somit nicht nur Befehl, sondern kosmische Energie, die Leben schafft und erhält.

Rezeptionsgeschichte

1. Jüdische Auslegung
• Im Midrasch wird betont, dass dieser Segen nicht nur für die Urzeit, sondern dauerhaft für die Welt gilt.
• Rabbiner sehen hier ein universelles Gesetz: Gottes Segen ist nicht exklusiv dem Menschen vorbehalten.
2. Frühchristliche Exegese
• Kirchenväter wie Augustinus deuten den Segen typologisch:
• Die Vermehrung der Tiere vor der des Menschen verweist auf die Ordnung der Gnade, die zuerst das Natürliche und dann das Geistige segnet.
• Die Fruchtbarkeit als Hinweis auf die Frucht des Geistes (Gal 5,22) wird spiritualisiert.
3. Mystische Deutungen
• In der mittelalterlichen Mystik wurde Fruchtbarkeit oft symbolisch gedeutet:
• Die Wasserfülle als Sinnbild für Gottes Überfluss,
• das „Mehren des Gefieders“ als geistiges Aufsteigen (vgl. Dante: Paradiso 1, wo die Seele „auffliegt“ wie ein Vogel).

Moderne theologische Reflexion

In ökologischer Theologie wird dieser Vers neu gelesen als Hinweis auf:
• Mitgeschöpflichkeit,
• Eigenwert der Tiere (nicht nur als Nahrung oder Besitz),
• sowie auf die Verantwortung für Biodiversität.

Zusammenfassung

• Hebräisch | Betonung des performativen Segens; Imperative an Tiere
• Griechisch | Nuancierter Doppelbefehl (Wachstum + Vermehrung)
• Lateinisch | Beibehaltung der Struktur mit stilistischer Klarheit
• Theologie | Kosmischer Segen, anthropologische Einbindung, göttliche Fülle
• Philosophie | Teleologie, Lebensfülle, Fruchtbarkeit als Ausdruck des Seins
• Rezeption | Jüdische Dauerordnung, Vätertypologie, mystische Symbolik, ökologische Relektüre

Genesis 01:21 | Genesis 01:23

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