Genesis 01:19

Luther 1545 Da ward aus abend vnd morgen der vierde Tag.

Luther 1912 Da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag.

genesis 1genesis 1genesis 1

Biblisches Hebräisch

וַֽיְהִי־עֶ֥רֶב וַֽיְהִי־בֹ֖קֶר י֥וֹם רְבִיעִֽי׃
Vayehi-ʿerev vayehi-voqer yom rĕviʿī.
Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: Tag der Vierte.
• Die hebräische Syntax ist rhythmisch-repetitiv, ein poetischer Rahmen, der den göttlichen Schöpfungshandeln markiert.

Biblisches Griechisch (Septuaginta)

Καὶ ἐγένετο ἑσπέρα καὶ ἐγένετο πρωΐ, ἡμέρα τετάρτη.
Kai egeneto hespera kai egeneto prōi, hēmera tetartē.
Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: vierter Tag.
• Fast identisch zur hebräischen Vorlage. Das Verb ἐγένετο („es wurde“) steht im Aorist – ein punktuelles Geschehen in der Vergangenheit.

Biblisches Latein (Vulgata)

Et factum est vespere et mane, dies quartus.
Und es wurde Abend und Morgen: der vierte Tag.

Theologische Deutung

Göttliche Ordnung der Zeit: Der vierte Tag markiert die Schöpfung der Himmelskörper (Verse 14–18). Ihre Funktion ist es, „Zeiten, Tage und Jahre“ zu bestimmen. Der Vers 19 ist die Konklusion dieser Schöpfungsetappe – nicht die eigentliche Schöpfung, sondern der Abschluss durch Zeitformel.
Symbolische Sieben-Tage-Woche: Der vierte Tag ist zentral – wie ein Achsenpunkt der Woche. Es ist der Tag, an dem die Zeitbewahrung selbst erschaffen wird (Sonne, Mond, Sterne), was eine theologische Meta-Zeitstruktur begründet.
• Es gibt bereits Abend und Morgen, bevor Sonne und Mond erscheinen (siehe V. 5 und V. 8). Dies impliziert eine primäre göttliche Zeitstruktur jenseits physischer Körper: Zeit entsteht nicht erst durch Himmelskörper, sondern durch Gottes schöpferischen Willen.

Rezeptionsgeschichte

Kirchenväter (z. B. Augustinus):
Für Augustinus ist der Tagesrhythmus eine symbolische Ordnung, nicht wörtlich im physikalischen Sinn. Die Zeit ist durch das göttliche Verbum bestimmt, nicht durch Sonne oder Uhren.
Jüdische Exegese (Midrasch):
Betont oft die Trennung von Licht und Dunkelheit als moralische Kategorien: Gut und Böse, Heilig und Profan.
Mittelalter:
In der Scholastik (Thomas von Aquin): Der vierte Tag wird als Ordnungspunkt gesehen – eine kosmologische Ordnung, die mit Gottes Vernunft übereinstimmt (ordo rationis divinae).
Moderne Auslegungen:
Hinterfragen die „wörtliche“ Lesart und sehen darin ein mythopoetisches Gerüst, um Weltzeit, Sakralzeit und Gottesgegenwart zu verbinden.

Philosophische Deutung

Zeitkonzeption:
Aristotelisch: Zeit ist Bewegung nach Maß (z. B. durch die Sonne). Doch Genesis 1 widerspricht dem – Zeit existiert vor den Bewegungen der Himmelskörper.
Augustinisch: Zeit ist innerlich – im Bewusstsein; Gott aber ist außerhalb der Zeit. In diesem Sinne ist Genesis 1,19 ein Hinweis auf die Kontingenz der Zeit gegenüber dem göttlichen Willen.
Heidegger / Moderne Phänomenologie:
Der Wechsel von Abend und Morgen ist nicht bloß chronologisch, sondern symbolisiert Werden und Vergehen, Anfang und Grenze – eine „ekstatische“ Zeitstruktur.
Existenzphilosophie (z. B. Buber, Rosenzweig):
Das göttliche „Es ward“ ist ein sprechendes Gegenüber, das in den Rhythmus der Welt eintritt und sie dialogisch strukturiert. Die Zeit wird nicht abstrakt, sondern als Lebenszeit erfahren.

Genesis 01:18 | Genesis 01:20

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