Genesis 01:18

Luther 1545 vnd den Tag vnd die Nacht regierten / vnd scheideten Liecht vnd Finsternis. Vnd Gott sahe das es gut war.

Luther 1912 und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis. Und Gott sah, daß es gut war.

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Biblisches Hebräisch (Masoretischer Text)

וּלְמֹשֶׁלֶת בַּיּוֹם וּבַלַּיְלָה וּלְהַבְדִּיל בֵּין הָאוֹר וּבֵין הַחֹשֶׁךְ וַיַּרְא אֱלֹהִים כִּי־טוֹב׃
Sprachlich-exegetische Analyse:
וּלְמֹשֶׁלֶת (u-ləmošelet)
– Infinitivkonstruktion mit Präposition „לְ“ (Zweckangabe), abgeleitet vom Verb משׁל („herrschen, regieren“) in Pi'el-Form. Feminine Form im Einklang mit den Himmelskörpern (Gen 1,16: מְאֹרֹת).
בַּיּוֹם וּבַלַּיְלָה
– Präpositionalphrasen: „am Tag und in der Nacht“. Bestimmte Zeitangaben mit Artikel.
וּלְהַבְדִּיל (u-ləhavdil)
– Infinitiv konstruktus von בדל (Hi'il-Stamm: „scheiden, trennen“), wieder mit Präposition „לְ“ (zweckgerichtet).
בֵּין הָאוֹר וּבֵין הַחֹשֶׁךְ
– Struktur mit „בֵּין … וּבֵין“ („zwischen … und …“), klassisch biblische Ausdrucksweise der Trennung.
וַיַּרְא אֱלֹהִים כִּי־טוֹב
– Klassische Wertung Gottes: „Und Gott sah, dass es gut war.“
– כִּי־טוֹב: „dass es gut \[war]“ – elliptische Konstruktion, Prädikat im Hebräischen oft ausgelassen.
Exegetische Anmerkung:
Der Vers betont die funktionale Rolle der Himmelskörper: Sie regieren (משׁל) und scheiden (בדל), was im Schöpfungsbericht eine Ordnung schafft – zentraler Gedanke der Priesterschrift. Die Doppelrolle (Herrschen und Trennen) unterstreicht ihre theonome Einsetzung.

Biblisches Griechisch (Septuaginta)

καὶ τοῦ ἄρχειν ἐπὶ τῆς ἡμέρας καὶ τῆς νυκτὸς καὶ τοῦ διαχωρίζειν ἀνὰ μέσον τοῦ φωτὸς καὶ τοῦ σκότους· καὶ εἶδεν ὁ Θεὸς ὅτι καλόν.
Sprachlich-exegetische Analyse:
τοῦ ἄρχειν
– Infinitiv im Genitiv mit Artikel: Ausdruck des Zwecks (klassisch mit „τοῦ“ + Infinitiv).
– ἄρχειν („herrschen“) = starker politischer Begriff, hier auf die Himmelskörper übertragen.
ἐπὶ τῆς ἡμέρας καὶ τῆς νυκτὸς
– „über den Tag und die Nacht“: „ἐπὶ“ + Genitiv betont Zuständigkeit oder Herrschaftsbereich.
καὶ τοῦ διαχωρίζειν
– Weiterer Infinitiv im Genitiv, hier „trennen, unterscheiden“; griechisch διαχωρίζειν ist stärker trennend als das hebräische בדל.
ἀνὰ μέσον τοῦ φωτὸς καὶ τοῦ σκότους
– idiomatische Phrase „ἀνὰ μέσον“ („zwischen“) mit Genitiven: „zwischen Licht und Finsternis“.
καὶ εἶδεν ὁ Θεὸς ὅτι καλόν
– klassischer Abschluss: „und Gott sah, dass \[es] gut \[war]“, mit elliptischem „ἐστίν“ (ist).
Exegetische Anmerkung:
Die LXX folgt nahe dem hebräischen Original, verwendet aber typisch griechische syntaktische Mittel: Genitiv-Infinitiv-Konstruktionen und die gehobene philosophisch-moralische Konnotation von καλόν („schön/gut“). Dies fördert eine hellenistische Lesart des Schöpfungshandelns als „kosmische Ordnung“.

Biblisches Lateinisch (Vulgata)

et ut praeessent diei ac nocti, et dividerent lucem ac tenebras. Et vidit Deus quod esset bonum.
Sprachlich-exegetische Analyse:
ut praeessent
– Finalsatz mit „ut“ + Konjunktiv Imperfekt: „damit sie vorständen/herrschen“.
– praeesse + Dativ: „vorstehen, leiten“, betont Leitungsfunktion ohne tyrannisches Element.
diei ac nocti
– Dativ: „dem Tag und der Nacht“.
et dividerent lucem ac tenebras
– Konjunktiv Imperfekt: „damit sie trennten“.
– dividere entspricht בדל (trennen). Lucem/tenebras: Akkusativobjekte.
vidit Deus quod esset bonum
– quod esset bonum: abhängiger Konjunktiv in indirekter Rede – „dass es gut sei“; stilistisch eleganter als direkte Feststellung.
Exegetische Anmerkung:
Hier ist die Betonung stärker auf Zielgerichtetheit und Funktion: praeesse und dividere sind Funktionen von Autorität und Ordnung. Die Verwendung des Konjunktivs in esset bonum bringt eine gewisse Reflexion oder distanzierte Beurteilung ins Spiel – typisch für die lateinische Sprachlogik.

Fazit (Vergleichende Beobachtungen):

Element Hebräisch Griechisch (LXX) Latein (Vulgata)
Herrschaft משׁל (Inf. לְמֹשֶׁלֶת) ἄρχειν (τοῦ ἄρχειν) praeessent (ut + Konj.)
Trennung הבדיל (לְהַבְדִּיל) διαχωρίζειν dividerent
Licht / Finsternis אוֹר / חֹשֶׁךְ φῶς / σκότος lux / tenebrae
Beurteilung כִּי־טוֹב ὅτι καλόν quod esset bonum
Grammatikstil Parataxisch, infinitivisch Genitiv-Infinitivstruktur Final- und Konsekutivsätze

Theologische Deutung

Diese Stelle bildet den Abschluss des vierten Schöpfungstags. In Vers 14–18 werden die „Lichter“ an der Himmelsfeste geschaffen – Sonne, Mond und Sterne –, wobei Vers 18 deren Zweck zusammenfasst: Herrschaft und Scheidung.
a) Schöpfungsordnung und kosmische Hierarchie
• Die Himmelskörper „herrschen“ über Tag und Nacht – eine Delegation von Autorität innerhalb der Schöpfung. Diese Herrschaft ist funktional, nicht ontologisch: Sie strukturiert die Zeit.
• Die Unterscheidung von Licht und Finsternis ist Teil der göttlichen Ordnung und knüpft an Gen 1,4 an, wo Gott bereits zwischen Licht und Finsternis schied – hier nun durch geschaffene Mittel.
b) Abwehr heidnischer Kosmologien
• In vielen altorientalischen Religionen sind Sonne, Mond und Sterne göttlich oder werden göttlich verehrt. Genesis betont dagegen:
• Die Gestirne sind geschaffene Wesen.
• Ihre Funktion ist dienend, nicht göttlich – sie „herrschen“ nur als Beauftragte Gottes.
• Sie erhalten keinen Eigennamen („das große Licht“, „das kleinere Licht“), vermutlich um jede Vergöttlichung zu vermeiden.
c) "Und Gott sah, dass es gut war"
• Das Urteil Gottes bezieht sich nicht nur auf die Schönheit, sondern vor allem auf die Tauglichkeit innerhalb der Ordnung: Alles ist zweckgerichtet und trägt zum Gelingen der Schöpfung bei.

Rezeptionsgeschichtliche Perspektiven

a) Jüdische Tradition
• Philo von Alexandrien (1. Jh. n. Chr.): Deutet die „Herrschaft“ der Lichter allegorisch als Herrschaft der Vernunft über das sinnliche Leben; Licht steht für Logos und göttliche Weisheit.
• Midrasch (z. B. Bereschit Rabba): Diskussionen über das „kleinere Licht“ (Mond) und dessen ursprüngliche Gleichwertigkeit mit der Sonne – verbunden mit moralischen Fragen nach Demut und Eifersucht.
b) Christliche Exegese
• Origenes (3. Jh.): Sah in den Himmelskörpern Vorbilder geistiger Realitäten. Die „Scheidung“ von Licht und Finsternis wurde auch moralisch gelesen – Licht = Erkenntnis/Heil, Finsternis = Unwissenheit/Sünde.
• Augustinus (De Genesi ad litteram): War bemüht, sowohl die wörtliche als auch die geistige Bedeutung zu verstehen; Licht/Finsternis als geistige Prinzipien, aber auch reale Zeitmarker.
• Thomas von Aquin: Nutzt die Unterscheidung und „Herrschaft“ zur Begründung einer kosmologischen Ordnung – Gestirne als Teil der göttlichen Providenz (Summa Theologiae I, q. 70).
c) Reformatorische und aufklärerische Rezeption
• Luther sieht die Lichter als Beleg für Gottes Fürsorge und Regelhaftigkeit; keine Astrologie, sondern ein geregelter Kosmos.
• Aufklärung: Beginnende Entmythologisierung – Sonne und Mond als physikalische Objekte, aber noch mit moralischer Bedeutung aufgeladen (Kant z. B. sah in der geordneten Natur einen Spiegel der Vernunftordnung).

Systematisch-philosophische Deutung

a) Metaphysik der Ordnung
• Die Scheidung von Licht und Finsternis verweist auf die Grundstruktur von Differenz als Schöpfungsprinzip: Ordnung entsteht durch Trennung.
• Die „Herrschaft“ ist kein willkürlicher Akt, sondern eine Ausdrucksform göttlicher Rationalität – analog zur aristotelischen „formalen Ursache“.
b) Zeit und Kosmos
• Die Lichter dienen „zur Bestimmung von Zeiten, Tagen und Jahren“ (Vers 14) – also als kosmische Chronometer.
• Philosophisch: Beginn einer objektiven Zeitmessung → Zeitstruktur wird durch Himmelskörper externalisiert.
• Heidegger sah in der antiken Kosmologie den Ursprung des westlichen Zeitverständnisses: Die Zeit als „Gestirnszeit“, nicht als subjektives Erlebnis.
c) Theologisch-kosmologische Anthropologie
• Die „Herrschaft“ der Lichter über Tag und Nacht reflektiert die Idee, dass der Mensch selbst innerhalb eines geordneten, rhythmischen Kosmos lebt – nicht im Chaos.
• Diese Ordnung ermöglicht Erkenntnis, Ethik und Kultus (z. B. Festzeiten, Sabbat → Gen 1,14).
d) Phänomenologische Perspektive (z. B. Husserl, Marion)
• Licht als phänomenologischer Leitbegriff: Offenbarung, Erscheinung, Sichtbarkeit.
• Die Schöpfung des Lichts (bzw. seine Verwaltung durch Lichter) markiert den Beginn einer Welt des Erscheinens, in der Dinge sich zeigen – „Offenbarwerden“ als Grundzug des Seins.

Fazit

Genesis 1,18 steht im Zentrum der biblischen Kosmologie: Er beschreibt ein Universum, das durch Gottes Wort in geordnete Bahnen gelenkt wird – ein Gegenbild zu chaotischen, mythischen Weltbildern. Die theologische Aussage entfaltet sich in einer funktionalen, nicht idolatrischen Weltsicht; die rezeptionsgeschichtlichen Lesarten deuten dies als Allegorie geistiger Prozesse; und die systematisch-philosophischen Deutungen heben hervor, wie sehr hier Rationalität, Zeitlichkeit und kosmische Ordnung aufeinander bezogen sind.

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