Genesis 01:15

Luther 1545 vnd seien Liechter an der Feste des Himels / das sie scheinen auff Erden / Vnd es geschach also.

Luther 1912 und seien Lichter an der Feste des Himmels, daß sie scheinen auf Erden. Und es geschah also.

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Grundtext und Übersetzungen

Hebräisch: Sprachlich-exegetische Analyse

וְהָיוּ לִמְאֹרוֹת בִּרְקִיעַ הַשָּׁמַיִם לְהָאִיר עַל־הָאָרֶץ וַיְהִי־כֵן
a. Struktur und Syntax
וְהָיוּ לִמְאֹרוֹת – „Und sie sollen Lichter sein“:
– וְהָיוּ: Qal-Imperfekt Plural von היה („sein“) mit Waw-consecutivum – hier als Voluntativum gedeutet („sie sollen sein“).
– לִמְאֹרוֹת: Plural von מָאוֹר („Leuchte, Lichtkörper“), lamed als finaler Zweckindikator („um zu sein als Lichter“).
בִּרְקִיעַ הַשָּׁמַיִם – „im Himmelsgewölbe“:
– רָקִיעַ: aus der Wurzel רקע („ausdehnen, ausbreiten“) – Bild eines ausgebreiteten Himmelszeltes.
– הַשָּׁמַיִם: Pluralform („Himmel“) – klassischer Begriff für das Firmament.
לְהָאִיר עַל־הָאָרֶץ – „um auf die Erde zu leuchten“:
– לְהָאִיר: Hif'il-Infinitiv von אור („leuchten“), kausativ: „leuchten lassen“.
– עַל־הָאָרֶץ: „über der Erde“, Zielrichtung des Lichts.
וַיְהִי־כֵן – „und so geschah es“:
– Formelhafter Ausdruck im Schöpfungsbericht, Perfektum (waw-consecutivum) zur Bekräftigung der Wirksamkeit des göttlichen Wortes.
b. Theologische Bedeutung
• Das Licht ist nicht Selbstzweck, sondern dient dem Leben auf der Erde.
• Die Lichter werden nicht vergöttlicht – gegen altorientalische Sonnenkulte.

Griechisch (Septuaginta): Sprachlich-exegetische Analyse

καὶ ἔστωσαν εἰς φωστῆρας ἐν τῷ στερεώματι τοῦ οὐρανοῦ τοῦ φαίνειν ἐπὶ τῆς γῆς· καὶ ἐγένετο οὕτως.
a. Syntax und Lexik
• ἔστωσαν: Präsens Imperativ 3. Pl. von εἰμί („sein“) – modaler Imperativ: „sie sollen sein“.
• εἰς φωστῆρας: „zu Lichtträgern“, φωστήρ (von φῶς) = Lichtspender.
• στερέωμα: Übersetzung von רָקִיעַ, von στερεόω („verfestigen“) – suggeriert etwas Festes/Hartes.
• τοῦ φαίνειν ἐπὶ τῆς γῆς
• τοῦ φαίνειν: Genitivus finalis – Infinitiv von φαίνω („scheinen“) – „um zu leuchten“.
• ἐπὶ τῆς γῆς: klassische Ausdrucksweise für „über der Erde“.
• καὶ ἐγένετο οὕτως
• ἐγένετο: Aorist Medium – „es wurde“ / „es geschah“.
• οὕτως: „so“ – wörtliche Entsprechung zu וַיְהִי־כֵן.
b. Besonderheiten
• LXX betont das Leuchten als Funktion („φωστήρ“) statt bloß „Leuchte“.
• Bewahrt die apophatische Tendenz des hebräischen Textes: keine Götter, sondern funktionale Objekte.

Lateinisch (Vulgata): Sprachlich-exegetische Analyse

et fiant in firmamento caeli ut luceant super terram. et factum est ita.
Syntax und Lexik
• fiant: Konjunktiv Präsens 3. Pl. von fio – „sie sollen werden“, deontisch.
• in firmamento caeli: „im Himmelsgewölbe“, firmamentum entspricht LXX στερέωμα.
• ut luceant: Finalsatz – „damit sie leuchten“, luceo = „Licht geben“, Indikativ Präsens.
• super terram: „über der Erde“, klassische römische Präpositionalkonstruktion.
• et factum est ita
• Wörtliche Übersetzung von וַיְהִי־כֵן / καὶ ἐγένετο οὕτως:
• „und es wurde so / es geschah so“.
b. Stilistische und theologische Aspekte
• Die Vulgata folgt der Septuaginta eng, bleibt jedoch im syntaktischen Ausdruck knapper.
• „Fiant“ bewahrt die performative Kraft des göttlichen Sprechens – Schöpfung durch Wort.

Zusammenfassung und Vergleich

• Verbform | וְהָיוּ (Imperfekt mit Voluntativ-Funktion) | ἔστωσαν (Imperativ Präsens 3. Pl.) | fiant (Konjunktiv Präsens)
• Lichtbegriff | מְאוֹר (Leuchte) | φωστήρ (Lichtträger) | luceant (leuchten)
• Ort der Lichter | בִּרְקִיעַ הַשָּׁמַיִם (Himmelsgewölbe) | ἐν τῷ στερεώματι τοῦ οὐρανοῦ | in firmamento caeli
• Zielrichtung | לְהָאִיר עַל־הָאָרֶץ | τοῦ φαίνειν ἐπὶ τῆς γῆς | ut luceant super terram
• Vollzugsformel | וַיְהִי־כֵן | καὶ ἐγένετο οὕτως | et factum est ita
Wenn du möchtest, kann ich auch eine weitergehende theologisch-symbolische oder literarische Auslegung beifügen (z. B. im Kontext der antiken Kosmologien oder patristischen Exegese).

Theologische Deutung

a. Kosmologische Ordnung und göttliche Intentionalität
Genesis 1:15 betont, dass die Himmelskörper nicht selbst göttlich sind (wie im altorientalischen Raum häufig geglaubt), sondern geschaffene Dinge mit einer Funktion: Sie dienen dem Licht auf Erden. Die Leuchtkörper sind nicht Gegenstand von Anbetung, sondern Werkzeuge im Dienst Gottes – eine radikale Entmythologisierung.
b. Licht als Ausdruck des göttlichen Segens
Das Licht (vgl. 1,3) ist bereits vor den Gestirnen erschaffen – die Sonne ist nicht Quelle des Lichts schlechthin, sondern Medium. Diese Trennung hebt die Transzendenz Gottes hervor: Licht kommt primär von Gott, nicht von der Sonne. In 1,15 wird diese Realität durch eine funktionale Zuordnung weitergeführt.
c. Anthropozentrische Teleologie
Die Lichter sind „damit sie die Erde erleuchten“ – der Mensch als Rezipient der kosmischen Ordnung ist mitgedacht, auch wenn der Mensch erst am sechsten Tag erschaffen wird. Die Erde wird im Lichte der Lichter zur bewohnbaren Welt.

Rezeptionsgeschichtliche Perspektive

a. Jüdische Auslegung
In der rabbinischen Literatur (z. B. Midrasch Bereschit Rabba) wurde oft betont, dass die Sonne nicht der Ursprung des Lichts ist. Genesis 1,15 wurde als Bestätigung einer göttlich gesetzten Ordnung interpretiert, in der jedes Geschöpf seinen zugewiesenen Platz und Zweck hat.
b. Patristik
Kirchenväter wie Augustinus und Origenes sahen in den „Lichtern“ auch symbolische Bedeutungen. Augustinus deutet die Lichter allegorisch: Sie stehen etwa für die „großen Lehrer“ (Sonne) und „geringeren Lehrer“ (Mond) der Kirche.
c. Mittelalterliche Scholastik
Im Mittelalter wurde Genesis 1,15 in Verbindung mit astrologischer Debatte gelesen: Die Gestirne sind nicht Ursache des Schicksals, sondern Instrumente göttlicher Ordnung. Thomas von Aquin betont in der Summa Theologiae die funktionale Natur der Schöpfung als Widerschein der göttlichen Vernunft.
d. Neuzeitliche Rezeption
In der Aufklärung wurde dieser Vers häufig in Diskussionen über Naturgesetze zitiert: Die Lichter erscheinen als regulierbare, erforschbare Himmelskörper – ein Übergang von mythologischer zu rationaler Kosmologie.

Systematisch-philosophische Deutung

a. Ontologie und Ordnung
Der Vers stellt eine Weltordnung dar, in der Dinge nicht nur sind, sondern Zweck haben. Dies verweist auf eine teleologische Ontologie (wie bei Aristoteles), in der das Sein immer auch durch das Wozu bestimmt ist. Die Lichter sind, um zu leuchten – ihr Wesen ist durch ihre Funktion bestimmt.
b. Gottesbild: Transzendenz und Immanenz
Gott erschafft Lichter, die seine Schöpfung durchdringen – Gott bleibt transzendent, wirkt aber immanent durch seine Ordnung. Das erinnert an Plotins Emanationsdenken, aber bleibt in Genesis strikt personal-monotheistisch.
c. Anthropologische Implikation
Die Welt ist für den Menschen eingerichtet – dies legt einen strukturellen Anthropozentrismus nahe, der später in der christlichen Theologie (besonders in der Imago Dei-Lehre) zentral wird. Die Lichter dienen nicht sich selbst, sondern der Erde – implizit dem Leben, insbesondere dem Menschen.
d. Zeit und Ordnung
In Genesis 1,14 ging es um Zeitmessung – nun um Licht. Die systematisch-philosophische Implikation ist: Zeit und Licht sind geordnet und von Gott abhängig. Im Gegensatz zu späteren physikalischen Modellen (z. B. Newton), in denen Zeit eine absolute Kategorie ist, wird hier die Zeit durch geschaffene Dinge strukturiert – eine relationale Auffassung.

Fazit

Genesis 1,15 zeigt, wie die Welt durch Gottes Wort zu einer geordneten, bewohnbaren und für den Menschen bestimmten Schöpfung wird. Theologisch betont der Vers die Entmythologisierung der Natur, rezeptionsgeschichtlich wirkt er als Quelle allegorischer wie naturphilosophischer Reflexion, und philosophisch offenbart er ein teleologisches Weltbild, das zwischen göttlicher Transzendenz und immanenter Ordnung vermittelt.

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