Genesis 01:13

Luther 1545 Da ward aus abend vnd morgen der dritte Tag.

Luther 1912 Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag.

genesis 1genesis 1genesis 1

Biblisches Hebräisch: Gen 1,13

וַֽיְהִ֖י עֶ֥רֶב וַֽיְהִ֖י בֹ֑קֶר י֥וֹם שְׁלִישִֽׁי׃
Vajehî ʿérev vajehî bóqer jôm šəlîšî.
Sprachliche Analyse:
וַיְהִי (vajehî):
• Imperfekt mit Waw-consecutiv von הָיָה („sein“) – bedeutet hier: „es wurde / es war“ → beschreibt eine folgende Handlung, die sich als Resultat der göttlichen Schöpfung einstellt.
עֶרֶב (ʿérev):
• „Abend“ – betont im hebräischen Denken die Dunkelheit als ersten Teil des Tages, was das jüdische Tagesverständnis prägt (Abend → Morgen).
בֹּקֶר (bóqer):
• „Morgen“ – Zeichen des Lichts, des Anfangs, steht im Kontrast zum Abend.
יוֹם שְׁלִישִי (jôm šəlîšî):
• „dritter Tag“ – Ordinalzahl mit dem definitiven Artikel „der dritte Tag“ ergibt sich syntaktisch durch den Kontext.
שְׁלִישִי kommt von שָׁלוֹשׁ („drei“) → maskuline Ordinalform.
Exegetische Beobachtungen:
Das Formular „es ward Abend und es ward Morgen“ erscheint als strukturierendes Schema in Gen 1 – jeder Schöpfungstag endet damit.
• Der Tagesrhythmus beginnt mit dem Abend: Abend → Morgen = ein Tag → zentrales Konzept im Judentum.
• Die perfekte Wiederholung dieser Formel zeigt Gottes geordnete, rhythmische Schöpfung. Das ist mehr als chronologisch, es ist theologisch – Gott schafft Zeit und Rhythmus.

Biblisches Griechisch (Septuaginta): Gen 1,13

καὶ ἐγένετο ἑσπέρα, καὶ ἐγένετο πρωΐ, ἡμέρα τρίτη.
Sprachliche Analyse:
καὶ ἐγένετο (kai egeneto):
• Aorist von γίγνομαι – „es geschah / es wurde“. Wiederholung betont Zeitverlauf.
ἑσπέρα (hespéra):
• „Abend“ – klassisch-griechisch für Tagesende, Bedeutung bleibt erhalten.
πρωΐ (prōï):
• „früh am Morgen“ – Adverb. Betonung liegt mehr auf der frühen Zeit des Tagesbeginns.
ἡμέρα τρίτη (hēmera tritē):
• „dritter Tag“ – Nominalsatz ohne Kopula, typisch biblisch.
τρίτη als feminine Ordinalzahl (wegen ἡμέρα fem.).
Exegetische Beobachtungen:
Die griechische Version bleibt nah am Hebräischen, verwendet aber klassische griechische Termini.
• Der Stil ist erzählerisch, aber etwas literarischer als das knappe Hebräisch.
• Die Tagesformel bleibt auch hier erhalten: zeigt die rhythmische Ordnung der Schöpfung.
• Aorist betont punktuelle Handlung: Gott setzt Zeitabschnitte.

Biblisches Lateinisch (Vulgata): Gen 1,13

Factum est vespere et mane, dies tertius.
Sprachliche Analyse:
Factum est:
• Perfekt Passiv von facere – „es ist gemacht worden / es geschah“. Formulierung im klassischen Latein, entspricht hebräischem vajehî.
vespere et mane:
• Ablativ des Zeitpunktes: „am Abend und am Morgen“.
• Reihenfolge übernimmt die hebräische Struktur (Abend vor Morgen).
dies tertius:
• „der dritte Tag“ – Nominalsatz. dies = maskulin, tertius Ordinalzahl im maskulinen Nominativ Singular.
Exegetische Beobachtungen:
Im Gegensatz zum Griechischen klingt die lateinische Version nüchterner.
• Die passive Form „factum est“ hat eine theologische Tiefe: Alles geschieht durch Gottes Tun, ohne menschliches Zutun.
• Auch hier bleibt die Reihenfolge von „Abend und Morgen“ bestehen – antikes Weltbild mit jüdischer Prägung.

Vergleichende Schlussbeobachtungen

Ausdruck für „es ward“
• Hebräisch | וַיְהִי (vajehî) | Abend → Morgen | Zeit entsteht aus göttlichem Rhythmus
• Griechisch | ἐγένετο (egeneto) | Abend → Morgen | Zeit als punktuelles Geschehen
• Lateinisch | factum est | Abend → Morgen | Zeit als gemachtes, fertiges Ereignis

Wörtlicher und literarischer Kontext

a) Strukturformel
Die Wendung „Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag“ („וַיְהִי־עֶרֶב וַיְהִי־בֹקֶר יוֹם שְׁלִישִׁי“) ist eine liturgisch-rhythmische Formel, die jeden Schöpfungstag abschließt (vgl. Gen 1,5.8.13.19.23.31).
b) Chronologische Paradoxie
Es fällt auf, dass Tage bereits gezählt werden, bevor Sonne, Mond und Sterne – also die physikalischen Taktgeber der Zeit – am vierten Tag erschaffen werden (Gen 1,14–19). Dies weist darauf hin, dass „Abend und Morgen“ hier nicht primär astronomisch verstanden werden müssen, sondern eine symbolische Ordnung markieren.

Theologische Deutung

a) Zeit als göttliche Schöpfung
Der Ausdruck betont, dass nicht nur die Dinge (Raum) erschaffen wurden, sondern auch die Zeit selbst: Der Ablauf von „Abend und Morgen“ ist eine göttliche Institution. Zeit ist kein neutrales Medium, sondern Teil der Schöpfungsordnung.
• Theologisch zentral: Die Zeit erhält durch Gott eine teleologische Struktur – sie ist nicht zyklisch-heideggisch oder mythisch, sondern zielgerichtet, gerichtet auf den Sabbat (Tag 7), also auf Ruhe und Vollendung.
b) Ordnung aus Chaos
In der altorientalischen Welt steht das Meer oder die Nacht oft für Chaos. Die Formulierung „Abend und Morgen“ markiert die Überwindung des Chaos durch die Etablierung von kosmischer Ordnung.
• Abend = Beginn der Nacht, Unsicherheit, Übergang
• Morgen = Licht, Klarheit, Schöpfungsvollzug
• Die Schöpfungstage sind daher kosmologisch strukturierende Einheiten, nicht bloß zeitlich nacheinander gesetzte Abschnitte.

Systematisch-philosophische Deutung

a) Zeit und Seinsstruktur
Aus der Sicht der Philosophie (z. B. Augustinus, Hegel, Heidegger) kann „Abend und Morgen“ als Ausdruck einer fundamentalen Zeitlichkeit des Seins verstanden werden:
• Augustinus fragt in den „Confessiones“ (Buch XI): Was ist Zeit? Die biblische Darstellung suggeriert, dass die Zeit erst durch Gott entsteht. Für Augustinus ist Zeit ein inneres Phänomen des Geistes, das sich auf Erinnerung, Aufmerksamkeit und Erwartung gründet.
• Heidegger (in Sein und Zeit) sieht Zeitlichkeit als ontologische Grundverfassung des Daseins. In biblischer Perspektive könnte man sagen: Der Mensch lebt in einer von Gott gesetzten geschichtlichen Zeit, die nicht beliebig, sondern heilsgeschichtlich orientiert ist.
b) Teleologie und Sinnstruktur
Im Gegensatz zu einem zyklischen Weltbild (z. B. in vielen antiken Mythen) zeichnet Genesis 1 ein linear-teleologisches Weltbild: Es gibt einen Anfang, eine geordnete Entwicklung – und ein Ziel: den Sabbat (Gen 2,1–3). Zeit ist daher nicht nur „ablaufend“, sondern bedeutungshaft und heilsgeschichtlich gerichtet.

Spezifik des dritten Tages

a) Doppelte Schöpfung
Am dritten Tag finden zwei Schöpfungsakte statt:
1. Das Trockene wird vom Wasser getrennt → Erschaffung der Erde als Lebensraum (Gen 1,9–10)
2. Es sprießt Gras, Kraut, Fruchtbäume → Vegetative Lebensfülle (Gen 1,11–12)
→ Der dritte Tag ist daher theologisch ein Fruchtbarkeitstag und symbolisiert Leben.
• In der jüdischen Tradition gilt der dritte Tag daher oft als besonders günstig (vgl. Hochzeit zu Kana in Joh 2,1 – „am dritten Tag“).

Hermeneutischer Schluss

Die Aussage „Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag“ ist nicht nur eine Zeitangabe, sondern eine verdichtete theologisch-philosophische Aussage:
• Gott strukturiert die Zeit
• Er bringt Ordnung in das Chaos
• Er setzt eine Richtung (Teleologie)
• Er schafft nicht nur Materie, sondern Geschichte

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