Luther 1545 Vnd die Erde lies auffgehen / Gras vnd Kraut / das sich besamet / ein jglichs nach seiner art / vnd Bewme die da Frucht trugen / vnd jren eigen Samen bey sich selbs hatten / ein jglicher nach seiner art. Vnd Gott sahe das es gut war.
Luther 1912 Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das sich besamte, ein jegliches nach seiner Art, und Bäume, die da Frucht trugen und ihren eigenen Samen bei sich selbst hatten, ein jeglicher nach seiner Art. Und Gott sah, daß es gut war.
Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 1:12
1Mo 1:12 Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das sich besamte, ein jegliches nach seiner Art, und Bäume, die da Frucht trugen und ihren eigenen Samen bei sich selbst hatten, ein jeglicher nach seiner Art. Und Gott sah, daß es gut war.
Jes 61:11 Denn gleichwie das Gewächs aus der Erde wächst und Same im Garten aufgeht, also wird Gerechtigkeit und Lob vor allen Heiden aufgehen aus dem Herrn HERRN.
Mk 4:28 Denn die Erde bringt von selbst zum ersten das Gras, darnach die Ähren, darnach den vollen Weizen in den Ähren.
Jes 55:10 Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahinkommt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und wachsend, daß sie gibt Samen, zu säen, und Brot, zu essen,
Jes 55:11 also soll das Wort, so aus meinem Munde geht, auch sein. Es soll nicht wieder zu mir leer kommen, sondern tun, was mir gefällt, und soll ihm gelingen, dazu ich's sende.
Matt 13:24 Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte.
Lk 6:44 Ein jeglicher Baum wird an seiner eigenen Frucht erkannt. Denn man liest nicht Feigen von den Dornen, auch liest man nicht Trauben von den Hecken.
2Kor 9:10 Der aber Samen reicht dem Säemann, der wird auch das Brot reichen zur Speise und wird vermehren euren Samen und wachsen lassen das Gewächs eurer Gerechtigkeit,
Gal 6:7 Irrt euch nicht! Gott läßt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten.
Biblisches Hebräisch: Sprachlich-exegetische Analyse
וַתּוֹצֵ֤א הָאָרֶץ֙ דֶּ֔שֶׁא עֵ֚שֶׂב מַזְרִ֣יעַ זֶ֔רַע לְמִינֵ֖הוּ וְעֵ֣ץ עֹֽשֶׂה־פְרִ֞י אֲשֶׁר־זַרְעוֹ־ב֣וֹ לְמִינֵ֑הוּ וַיַּ֥רְא אֱלֹהִ֖ים כִּי־טֽוֹב׃
Grammatik & Syntax:
• וַתּוֹצֵא הָאָרֶץ: „Und die Erde brachte hervor“
– וַתּוֹצֵא ist ein Wayyiqtol, typisch für erzählende Prosa; הָאָרֶץ als Subjekt folgt. Das Verb stammt von יָצָא („hervorbringen, hinausgehen“), hier in der Hiphil-Form = kausativ: „hervorbringen“.
• דֶּ֔שֶׁא עֵ֚שֶׂב מַזְרִ֣יעַ זֶ֔רַע:
– דֶּשֶׁא („Gras, junges Grün“)
– עֵשֶׂב („Kraut, Gewächs“) + מַזְרִיעַ זֶרַע = „das Samen sät“
→ Partizip מַזְרִיעַ (Hiphil, mask. sg.): „das Samen hervorbringt“
• לְמִינֵ֖הוּ: „nach seiner Art“
– Wichtige Formel für göttliche Ordnung und Biodiversität; מִין = „Art, Gattung“, לְמִינֵהוּ = „je nach seiner Art“
• וְעֵ֣ץ עֹֽשֶׂה־פְרִ֞י: „und Bäume, die Frucht hervorbringen“
– עֹשֶׂה ist ein mask. sg. Partizip von עָשָׂה („machen, tun“)
– עֵץ ist kollektivisch verwendbar („Baum/Bäume“)
• אֲשֶׁר־זַרְעוֹ־ב֣וֹ לְמִינֵ֑הוּ: „dessen Same in ihm ist, je nach seiner Art“
– betont die innere Selbstreproduktion jeder Pflanze/Baumart
• וַיַּ֥רְא אֱלֹהִ֖ים כִּי־טֽוֹב: „Und Gott sah, dass es gut war“
– Standardformel zur göttlichen Billigung und kosmischen Ordnung
Stilistisch-theologische Beobachtungen:
Parallelismus membrorum: die Konstruktion „עֵשֶׂב מַזְרִיעַ זֶרַע“ und „עֵץ עֹשֶׂה־פְרִי אֲשֶׁר־זַרְעוֹ־בּוֹ“ zeigt einen poetisch-typischen Aufbau.
• Repetition von לְמִינֵהוּ betont göttliche Ordnung, Artenvielfalt und Kontinuität des Lebens.
• בּוֹ („in ihm“) hebt hervor, dass Fruchtbarkeit intrinsisch angelegt ist – ein autopoietisches Prinzip.
Biblisches Griechisch (Septuaginta): Sprachlich-exegetische Analyse
καὶ ἐξήνεγκεν ἡ γῆ χόρτον χλοὴν σπεῖρον σπέρμα κατὰ γένος, καὶ ξύλον καρποφόρον ὁ τοῦ σπέρματος αὐτοῦ ἐν αὐτῷ καθ᾽ γένος· καὶ εἶδεν ὁ θεὸς ὅτι καλόν.
Grammatik & Syntax:
• ἐξήνεγκεν: Aorist von ἐκφέρω („hervorbringen“) – narrativer Stil.
• χόρτον χλοὴν σπεῖρον σπέρμα:
– χόρτον („Gras“)
– χλοὴν („grünes Gewächs“, oft als young green shoot)
– σπεῖρον σπέρμα („der Samen sät“) → Partizip Präsens aktiv von σπείρω
• κατὰ γένος: „nach Gattung“ – direkte Entsprechung zu לְמִינֵהוּ
• ξύλον καρποφόρον: „Fruchttragender Baum“
– καρποφόρον ist adjektivisch von καρπός („Frucht“) + φέρω („tragen“)
• ὁ τοῦ σπέρματος αὐτοῦ ἐν αὐτῷ: „dessen Same in ihm selbst ist“
– τοῦ σπέρματος αὐτοῦ = Genitivus possessivus
– ἐν αὐτῷ reflektiert die hebräische Wendung בּוֹ
• καὶ εἶδεν ὁ θεὸς ὅτι καλόν: „Und Gott sah, dass es gut war“
Stilistisch-theologische Beobachtungen:
Die LXX behält die hebräische Struktur weitgehend bei, übersetzt jedoch idiomatischer ins Griechische.
• Der Begriff γένος (Gattung, Art) bringt eine philosophisch-naturwissenschaftliche Präzision ein (vgl. Aristoteles).
• Der Gebrauch des aoristischen Erzählmodus unterstreicht die abgeschlossene schöpferische Handlung.
Biblisches Latein (Vulgata): Sprachlich-exegetische Analyse
Et protulit terra herbam virentem et facientem semen iuxta genus suum, lignumque faciens fructum, et habens unumquodque sementem secundum speciem suam. Et vidit Deus quod esset bonum.
Grammatik & Syntax:
• pro·tulit (Perfekt von proferre): „brachte hervor“
• herbam virentem:
– herbam = „Kraut, Gras“
– virentem (Partizip von vireo, „grünend“) → poetischer Einschub
• facientem semen: „das Samen erzeugt“ – Partizip Präsens von facere
• iuxta genus suum: „gemäß seiner Gattung“
– iuxta = „gemäß, entsprechend“
– genus = „Art, Geschlecht, Gattung“
• lignumque faciens fructum: „und Bäume, die Frucht bringen“
• habens unumquodque sementem secundum speciem suam:
– habens...sementem = „jeweils Samen habend“
– secundum speciem suam = „nach seiner Art/Species“
• vidit Deus quod esset bonum: Konjunktiv Perfekt in indirekter Rede („dass es gut sei“) → zeigt strukturelle Distanz
Stilistisch-theologische Beobachtungen:
Die Vulgata strukturiert klarer als das Hebräische: oft syntaktisch glatter, was typisch für die lateinische Prosa ist.
• Genus und species übernehmen terminologisch Konzepte, die in der mittelalterlichen Scholastik theologisch und philosophisch weiterentwickelt wurden.
• Die Wendung quod esset bonum klingt wie ein später Reflex auf den klassischen Stil Ciceros.
Zusammenfassung: Theologische Kernmotive & Sprachvergleich
Verb: „hervorbringen“ | וַתּוֹצֵא (Hiphil von יָצָא) | ἐξήνεγκεν (Aorist von ἐκφέρω) | protulit (Perfekt von proferre) |
„nach seiner Art“ | לְמִינֵהוּ | κατὰ γένος | iuxta genus / secundum speciem |
Samen-Fokus | זֶרַע (Samen) | σπέρμ | semen / sementem |
„Es war gut“ | כִּי־טוֹב | ὅτι καλόν | quod esset bonum |
Theologisches Motiv | Autopoiesis, göttliche Ordnung | Gattungsvielfalt als Kosmosprinzip | Scholastisch definierte Ordnung |
Theologische Deutung
Die Stelle Genesis 1,12 ist ein zentraler Bestandteil der biblischen Schöpfungserzählung und bietet einen reichen Zugang zu theologischen und systematisch-philosophischen Deutungen. Sie verbindet kosmologische Ordnung mit teleologischer Ausrichtung und anthropologischer Implikation. Im Folgenden gliedere ich die Analyse in zwei Hauptteile:
Gottes schöpferisches Wort als wirkmächtiger Akt
Die Formulierung „Und die Erde ließ aufgehen …“ verweist auf die Wirkung von Gottes vorausgegangenem Schöpfungsbefehl in V. 11 („Es lasse die Erde aufgehen …“). Die Natur ist nicht autonom, sondern empfängt ihre Fruchtbarkeit durch Gottes Wort – ein zentrales Motiv der biblischen Theologie:
> Creatio per verbum (Schöpfung durch das Wort).
> Diese schöpferische Kraft ist in der biblischen Tradition auch eng mit der Weisheit (vgl. Sprüche 8) und dem Logos (vgl. Joh 1,1) verknüpft.
Ordnungsstruktur: „Ein jegliches nach seiner Art“
Der Satz „ein jegliches nach seiner Art“ drückt eine klar strukturierte Ordnung aus – ein wesentliches Merkmal des jüdisch-christlichen Schöpfungsverständnisses.
• Die Artenvielfalt ist nicht chaotisch, sondern von Gott intendiert und in stabilen Kategorien geordnet. Dies steht im Gegensatz zu zyklischen, amorphen Weltentstehungsmythen des Alten Orients.
→ Theologisch wird hier ein Weltbild der geordneten Vielheit begründet, das auf einen intentionalen Schöpfer verweist.
Fruchtbarkeit als Segen
Die Fähigkeit der Pflanzen, sich „nach ihrer Art“ zu vermehren, verweist auf das biblische Konzept des Segens. Die Welt ist nicht nur geschaffen, sondern auf Wachstum und Weitergabe des Lebens hin entworfen.
→ Die Verbindung von Leben, Ordnung und Segen wird hier paradigmatisch sichtbar.
„Und Gott sah, dass es gut war“
Diese Bewertung impliziert eine ethische und ontologische Grundstruktur der Welt:
• Das Sein ist gut, weil es von Gott stammt.
• Der Begriff „gut“ (ṭôb) bezeichnet nicht bloß funktionale Tauglichkeit, sondern auch ästhetische und sittliche Qualität.
→ Die Welt besitzt einen inneren Wert, unabhängig vom Menschen.
Systematisch-philosophische Deutung
1. Teleologie und innere Zielgerichtetheit
Die Reproduktion „nach ihrer Art“ verweist auf eine innere Zielstruktur der Dinge, was mit dem aristotelischen Konzept von entelechie (Zielgerichtetheit) verwandt ist.
→ Die Schöpfung ist nicht beliebig, sondern auf Selbstrealisierung und Fortpflanzung hin konstituiert.
• In moderner Sprache könnte man sagen: Die Welt besitzt eine teleologische Ordnung, die mehr ist als bloße Mechanik.
2. Essentialismus und Naturbegriffe
Die Formulierung „nach seiner Art“ impliziert einen Essentialismus: Dinge haben ein Wesen, eine stabile Identität.
• Dies steht im Kontrast zu modernen konstruktivistischen Ansätzen, aber im Einklang mit platonischer und aristotelischer Metaphysik.
→ Pflanzen sind nicht bloß materielle Aggregate, sondern tragen eine Form, ein „was-es-ist“ in sich.
3. Verhältnis von Natur und Freiheit
Die Pflanzenwelt gehorcht dem göttlichen Befehl automatisch – im Gegensatz zum Menschen, dessen Freiheit später thematisiert wird (Gen 2–3).
→ Hier zeigt sich ein Unterschied zwischen natürlicher Ordnung und moralischer Verantwortung.
• Die Natur ist gut, weil sie sich gemäß dem göttlichen Willen entfaltet – der Mensch muss sich dazu entscheiden.
4. Kosmologische Ästhetik
Die Bewertung „es war gut“ hat eine ästhetisch-metaphysische Dimension: Die Welt ist schön, weil sie geordnet ist.
→ Eine Idee, die später in der christlichen Naturphilosophie (z. B. Augustinus, Bonaventura) zur Lehre von der ordo et pulchritudo (Ordnung und Schönheit) ausgearbeitet wird.
Fazit
Genesis 1,12 ist mehr als eine botanische Beschreibung:
• Sie stellt eine dichte theologische und philosophische Reflexion über Ordnung, Zielgerichtetheit, Fruchtbarkeit und Güte der Schöpfung dar. Sie betont, dass die Welt aus einem intentionalen, guten Prinzip hervorgeht – und damit Verstehbarkeit, Verlässlichkeit und Sinnstruktur trägt.