faust-1-05-01-vor dem tor

Der Tragödie Erster Theil

Vor dem Thor. (1)

Spaziergänger aller Art ziehen hinaus.

Einige Handwerksbursche.
Warum denn dort hinaus?808
Dieser Vers eröffnet einen kleinen Dialog und bringt Verwunderung oder leichten Widerspruch zum Ausdruck. Die Frage stellt infrage, warum jemand ausgerechnet in eine bestimmte Richtung (»dort«) hinaus will – vermutlich aus der Stadt hinaus in ein beliebtes Ausflugsziel. Der Ton ist kumpelhaft, fast neckend, mit einer impliziten Erwartung gemeinsamer Bewegung. Gleichzeitig verweist der Vers auf eine soziale Dynamik: Gruppenbildung, Auswahl von Zielen, und ein Sich-Abgrenzen voneinander.

Andre.
Wir gehn hinaus auf’s Jägerhaus.809
Die Antwort erfolgt mit einem einfachen, klaren Entschluss. Das »Jägerhaus« ist ein typisches Ausflugsziel der damaligen Zeit – ländlich gelegen, wohl mit Schankbetrieb, in der Nähe von Wald oder Jagdgebiet. Der Satz hat rhythmisch etwas Knappes, Beiläufiges: Der Sprecher will keine Diskussion, sondern stellt fest. Die Formulierung »hinaus auf’s« zeigt eine Bewegung aus der Stadt ins Offene – ein Motiv, das in der Szene häufig wiederkehrt: der Drang der Menschen, am Feiertag in die Natur zu strömen.

Die Ersten.
Wir aber wollen nach der Mühle wandern.810
Ein weiterer Sprecher oder eine Gruppe äußert ihren eigenen Plan und setzt damit einen Kontrast: »wir aber«. Diese Partikel betont die Differenz – auch dies ist typisch für die Szene: das Nebeneinander vieler Stimmen, Vorlieben und Wege. Die »Mühle« ist ein anderes beliebtes Ausflugsziel, vermutlich am Wasser gelegen, mit landschaftlichem Reiz. Das Wort »wandern« hat einen fast idyllischen Klang – es suggeriert Naturerlebnis, Ruhe, vielleicht auch ein romantisches Motiv.

Ein Handwerksbursch.
Ich rath’ euch nach dem Wasserhof zu gehn.811
Ein Handwerksbursch bringt einen Vorschlag ein. Im Ton liegt gutmütiger Rat, fast schon Werbung: »Ich rath’ euch«. Der »Wasserhof« ist offenbar ein weiterer Ort im Umkreis – auch hier spielt der Name mit Naturnähe (»Wasser«) und ländlichem Ambiente (»Hof«). Die Syntax mit der Ellipse (»zu gehn« steht allein am Schluss) spiegelt die mündliche Redeweise: pragmatisch, nicht poetisierend, bodenständig.

Zweyter.
Der Weg dahin ist gar nicht schön.812
Dieser Vers kommentiert den Vorschlag kritisch und führt eine ästhetische Bewertung ein: Nicht der Ort, sondern der Weg dorthin ist »gar nicht schön«. Es ist eine fast moderne Argumentation – das Erlebnis des Weges zählt. Gleichzeitig zeigt sich hier, wie in der Szene verschiedene Werte und Perspektiven aufeinanderstoßen: Nutzen, Schönheit, Geselligkeit, Gewohnheit.
Zusammenfassend 808-812
Diese Verse spiegeln den lebensnahen Charakter der Szene. Sie zeigen in nuce das zentrale Motiv des Szenenaufbaus: das bunte Stimmengewirr eines feiernden Volkes, das sich in Gruppen aufteilt, verschiedene Wege geht und doch ein gemeinsames Grundbedürfnis hat – die Befreiung aus dem Alltagsraum der Stadt hinaus in die Natur. Goethe nutzt dabei bewusst einfache Sprache, lebendige Wechselrede und differenzierte Sprechhaltungen, um ein vielstimmiges Gesellschaftspanorama zu entwerfen. Auch Faust und Wagner werden später in diesen Zug des Volkstreibens integriert – aber auf ganz andere Weise.

Die Zweyten.
Was thust denn du?813
Dieser Vers zeigt eine beiläufige Frage, die ganz im Ton alltäglicher Kommunikation gehalten ist. Die Figur »Die Zweyten« (gemeint ist eine zweite Gruppe von Spaziergängern) spricht einen anderen an. Die Frage »Was thust denn du?« signalisiert Neugier, aber auch das Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit. Es wird deutlich, dass die Bewegung der Menge im Vordergrund steht und dass individuelle Pläne sekundär sind. Das zeigt, wie stark das Bedürfnis ist, Teil der festlichen Gemeinschaft zu sein.

Ein Dritter.
Ich gehe mit den andern.813
Die Antwort ist schlicht und von einer gewissen Resignation oder Gleichgültigkeit geprägt. »Ich gehe mit den andern« drückt den Konformismus und das Mitlaufen aus – das Subjekt ordnet sich der Mehrheit unter, ohne eigenen Willen oder Plan. Dies ist Teil von Goethes Gesellschaftsschilderung: Der Mensch als Herdentier, das lieber folgt als denkt. Es spiegelt die Unentschlossenheit und Orientierungslosigkeit vieler Menschen im Übergang von der alten zur modernen Welt.

Vierter.
Nach Burgdorf kommt herauf, gewiß dort findet ihr814
Mit diesem Aufruf kommt ein lebendigerer, energischer Ton in das Geschehen. Der Sprecher tritt als informierter, vielleicht sogar anführender Typ auf: »kommt herauf« klingt wie eine Einladung oder ein Ruf zur Teilnahme. Burgdorf (ein realer Ort oder symbolisch für einen Vergnügungsplatz außerhalb der Stadt) wird als attraktives Ziel ins Spiel gebracht. Der Vers weckt Neugier und Vorfreude – er hebt sich durch seine zielgerichtete Energie von der Gleichgültigkeit des vorherigen Sprechers ab.

Die schönsten Mädchen und das beste Bier,815
Mit dieser Zeile wird die Attraktivität von Burgdorf konkretisiert: Schönheit und Genuss, zwei klassische Lockmittel. Der Vers spiegelt eine einfache, irdische Lebensfreude wider – sinnliche Reize, geselliges Trinken. Das Ideal des Vergnügens zeigt sich hier in seiner körperlichsten Form. Es steht in Kontrast zur späteren geistigen Suche Fausts: Hier sind die Freuden greifbar, direkt, und ohne metaphysische Tiefe.

Und Händel von der ersten Sorte.816
Mit diesem Schlussvers wird die Szene noch ein wenig rustikaler und volkstümlicher: Händel (also Raufereien oder Streitigkeiten) gehören ebenso zur Attraktion wie Mädchen und Bier. Der Sprecher schildert ein Fest, das in seiner ganzen Ambivalenz erscheint – gesellig und derb, lebensfroh und tumultartig. Der Ausdruck »von der ersten Sorte« betont die Qualität des Spektakels: Es geht um intensive, möglicherweise gefährliche, aber offenbar auch unterhaltsame Auseinandersetzungen. Das weckt Assoziationen an ein Leben in Bewegung, Instinkt, Körperlichkeit.
Zusammenfassend 813-816
Diese kleine Passage zeigt exemplarisch Goethes feine Gesellschaftsbeobachtung. Die Dialogsplitter spiegeln soziale Rollen, Temperamente und eine Kultur des Mitlaufens, Genießens und Streitens. Während Faust nach dem Sinn des Lebens sucht, lebt das Volk in einem festlichen Rhythmus aus Lust, Bier und Kampf – ganz im Hier und Jetzt.

Fünfter.
Du überlustiger Gesell,817
Der Sprecher, der »Fünfte« im Reigen der Spaziergänger, richtet sich an einen Begleiter, den er mit einem ironisch-tadelnden Ton anspricht.
»überlustiger Gesell« ist eine leicht spöttische Bezeichnung: »überlustig« suggeriert ein Übermaß an Fröhlichkeit oder Abenteuerlust – möglicherweise unangebracht oder töricht in den Augen des Sprechers.
»Gesell« verweist auf Vertrautheit, Kameradschaft, ist aber hier deutlich ironisiert.
Die Anrede wirkt wie eine Mischung aus Freundlichkeit und Mahnung: man kennt sich, aber der Sprecher distanziert sich zugleich.

Juckt dich zum drittenmal das Fell?818
Der Vers verwendet eine umgangssprachliche, bäuerlich-derbe Bildsprache.
»Juckt dich das Fell« heißt so viel wie: Hast du schon wieder Lust auf eine Tracht Prügel oder ein gefährliches Abenteuer?
Die Formulierung »zum drittenmal« suggeriert, dass der Angesprochene sich bereits mehrfach in Schwierigkeiten oder gefährliche Situationen begeben hat – vielleicht sogar an den Ort, von dem jetzt die Rede ist.
Die Wendung ist eine Art volkstümlicher Redensart, die Gefahr und Leichtsinn miteinander verbindet.
Hier spricht sich eine tiefe Skepsis gegenüber übertriebenem Wagemut oder Neugier aus.

Ich mag nicht hin, mir graut es vor dem Orte.819
Der Sprecher distanziert sich klar vom Vorhaben des anderen.
»Ich mag nicht hin« ist schlicht, aber entschieden: ein klares Nein.
»mir graut es« ist ein Ausdruck echter Furcht – keine kokette Übertreibung, sondern emotionale Abwehr.
»vor dem Orte« bleibt zunächst vage – gemeint ist aber vermutlich der Ort, an dem Faust und Wagner sich aufhalten oder an den sich Leute aus dem Volk mit einer Mischung aus Neugier und Scheu begeben: ein unheimlicher, möglicherweise teuflischer Ort, vielleicht auch symbolisch für einen Ort der Erkenntnis, des Wandels, der Grenze.
Dieser Vers bringt also die emotionale Haltung des Sprechers auf den Punkt: eine klare Weigerung aus Angst.
Zusammenfassend 817-819
Die drei Verse zeigen eine volkstümliche Szene, in der sich Neugier und Angst gegenüber einem unheimlichen Ort mischen. Der »Fünfte« warnt seinen Gefährten mit spöttisch-freundlichem Ton, sich nicht erneut in Gefahr zu bringen. Dahinter steht ein tieferes Motiv: das einfache Volk spürt instinktiv, dass sich in der Nähe etwas Dämonisches oder Unnatürliches abspielt – ein Vorzeichen für die dämonische Sphäre, die Faust bald betreten wird.

Dienstmädchen.
Nein, nein! ich gehe nach der Stadt zurück.820
Dieser Vers zeigt eine klare, entschlossene Ablehnung. Die doppelte Verneinung (»Nein, nein!«) verstärkt die Abwehrhaltung oder das Unbehagen der Figur. Die Wiederholung wirkt emotional und lässt auf ein inneres Unbehagen oder ein plötzliches Umdenken schließen.
Die Wendung »ich gehe nach der Stadt zurück« zeigt den Entschluss zur Umkehr – zurück zum geschützten, zivilisierten Raum der Stadt, weg vom freien, möglicherweise zweideutigen Gelände außerhalb der Stadtmauern.
Der Vers steht im Kontrast zur lebenslustigen und flirtenden Atmosphäre der Szene. Er zeigt eine Figur, die sich entweder ihrer gesellschaftlichen Rolle bewusst ist oder sich nicht auf ein Abenteuer einlassen möchte – möglicherweise aus Angst vor einem Verlust von Ansehen oder wegen eines plötzlichen Unbehagens.

Andre.
Wir finden ihn gewiß bey jenen Pappeln stehen.821
Diese Zeile wirkt wie eine beschwichtigende, pragmatische Antwort einer anderen jungen Frau, vermutlich ebenfalls ein Dienstmädchen. Der Plural »wir« deutet auf Gruppenzugehörigkeit hin, auf ein Wir-Gefühl und eine gemeinschaftliche Unternehmung.
»Gewiß« vermittelt Zuversicht, fast Drängen – sie ist sich sicher, dass »er« (ein junger Mann?) bei den Pappeln wartet.
Die Formulierung »bey jenen Pappeln« verweist auf eine konkrete Örtlichkeit im ländlichen Raum, möglicherweise ein Treffpunkt für Liebespaare oder Flirts. Es entsteht ein Gegensatz zur vorherigen Zeile: Während die eine sich zurückziehen will, drängt die andere weiter vor, dem Verabredeten oder Erwarteten entgegen.
Dramaturgisch spiegelt der Austausch die Spannungen zwischen Zurückhaltung und Verlockung, zwischen Konvention und Verführung, wie sie Goethe durch die ländliche Szenerie und die verschiedenen Frauentypen in der Szene »Vor dem Tor« vielfach andeutet.

Erste.
Das ist für mich kein großes Glück;822
Die erste junge Frau (Erste) reagiert auf die freudige Nachricht einer anderen Frau, dass ein Mann – vermutlich ein gemeinsamer Bekannter oder ein begehrter junger Mann – erscheinen oder tanzen wird.
Doch statt Freude zu zeigen, äußert sie Desinteresse oder sogar Groll.
Der Ausdruck »kein großes Glück« ist unterkühlt, fast schon spöttisch: Es ist nicht einfach Gleichgültigkeit, sondern vielleicht auch Enttäuschung oder Eifersucht.

Er wird an deiner Seite gehen,823
Sie führt ihren Gedanken weiter: Der Mann wird nicht bei ihr, sondern bei der anderen Frau sein.
Diese Beobachtung verrät einen subjektiven Schmerz – sie nimmt die Situation persönlich.
Zugleich ist es ein stiller Vorwurf, eine Betonung des Ausschlusses: Sie ist nicht auserwählt.

Mit dir nur tanzt er auf dem Plan.824
Auch hier liegt der Fokus auf dem »nur« – das Exklusivrecht der anderen Frau wird betont.
Der »Plan« ist ein öffentlicher Platz, auf dem Tanz und Fest stattfinden – ein Bild für geselliges Leben, aber auch für soziale Konkurrenz.
Dass er nur mit ihr tanzt, macht den Ausschluss umso spürbarer – es entsteht ein Bild von Sehnsucht ohne Erfüllung.

Was gehn mich deine Freuden an!825
Diese rhetorische Frage ist scharf und abweisend – sie markiert eine klare Trennung.
Die Freude der anderen interessiert sie nicht – oder: sie darf sie nicht interessieren, weil sie schmerzhaft ist.
Darin klingt Stolz mit, aber auch Verletztheit.
Die Figur versucht sich durch Gleichgültigkeit zu schützen – doch die Bitterkeit verrät, dass sie eben doch betroffen ist.
Zusammenfassend 822-825
Diese kurze Passage zeigt Goethes feines Gespür für emotionale Zwischentöne im Alltagsdialog: Konkurrenz, Kränkung, Stolz und Zurückweisung fließen hier dicht ineinander. Es entsteht eine Momentaufnahme weiblicher Rivalität, die durch ihre knappen, pointierten Verse fast dramatisch aufgeladen wirkt.

Andre.
Heut ist er sicher nicht allein,826
– »Heut« signalisiert die Gegenwart, das unmittelbare Geschehen. Der Tag ist ein Feiertag (Ostersonntag), an dem viele Menschen zusammenkommen – also auch ein sozialer Kontext.
– »sicher« gibt eine feste Überzeugung wieder, aber auch ein leises Urteil: Man beobachtet Faust und ist sich seines Handelns gewiss.
– »nicht allein« spielt auf Fausts seltenes öffentliches Auftreten mit anderen Menschen an. Normalerweise gilt er als isoliert, weltabgewandt – nun aber zeigt er sich begleitet, was auffällt. Das deutet auf eine gewisse Sonderstellung oder sogar Neugier der anderen hin.

Der Krauskopf, sagt er, würde bey ihm seyn.827
– »Der Krauskopf« ist eine volkstümliche, leicht spöttische Bezeichnung für Wagner, Fausts gelehrigen, aber etwas unbeholfenen Schüler. Die Koseform ist nicht unbedingt abwertend, sondern eher distanziert belächelnd – man nimmt ihn nicht ganz ernst.
– »sagt er« verweist auf eine zweite Quelle – also hat sich jemand aus der Gruppe bei Faust oder Wagner informiert. Hier wird indirekte Rede verwendet, was einen Hauch von Gerücht oder Klatsch vermittelt.
– »würde bey ihm seyn« steht im Konditional, was erneut eine gewisse Distanz markiert: Man stellt sich vor, dass sie zusammen unterwegs sind – hat es aber vielleicht noch nicht selbst gesehen. Es schwingt auch Skepsis mit.
Zusammenfassend 826-827
Diese beiden Verse spiegeln die Außenwahrnehmung Fausts durch das einfache Volk wider. Faust wird mit einem gewissen Respekt, aber auch mit Unverständnis betrachtet. Die Neugier darüber, mit wem er unterwegs ist, verrät, wie auffällig und untypisch sein Verhalten für diesen Tag ist. Gleichzeitig klingen in der Sprache eine gewisse Ironie und Volkstümlichkeit mit – die Szene »Vor dem Tor« lebt stark vom Kontrast zwischen Gelehrten- und Volkswelt. Hier beginnen sich bereits die Gegensätze zwischen Fausts innerer Zerrissenheit und der gesellschaftlichen Rolle, die ihm zugeschrieben wird, abzuzeichnen.

Schüler.
Blitz wie die wackern Dirnen schreiten!828
»Blitz«: Dieser Ausruf fungiert als Interjektion – ein überraschtes, vielleicht auch bewunderndes Ausrufezeichen. Es ist eine umgangssprachlich-deftige Verstärkung der folgenden Aussage. Im Kontext jugendlicher Begeisterung könnte es eine Mischung aus Erstaunen und lüsterner Bewunderung ausdrücken.
»wie die wackern Dirnen schreiten!«:
»wackern« (veraltend für »tüchtig«, »respektabel«): ironisch gebraucht. Der Begriff wird hier nicht ernst gemeint im Sinne von tugendhaft, sondern augenzwinkernd oder gar spöttisch für die leichtlebigen, attraktiven jungen Frauen, die vorbeigehen.
»Dirnen«: Im damaligen Sprachgebrauch konnte das Wort sowohl allgemein »junge Frauen« als auch »Frauen zweifelhaften Rufs« (also Prostituierte oder verfügbare Frauen) meinen. In diesem Kontext ist ein anzüglicher Unterton deutlich mitzuhören.
»schreiten«: beschreibt ein bewusstes, vielleicht kokettes oder anmutiges Gehen – mit Betonung auf den Eindruck, den sie damit auf Männer machen wollen.
Der Schüler äußert seine sinnliche Erregung und jugendliche Spontaneität angesichts der Frauen. Die Ironie im Begriff »wacker« offenbart sowohl eine gewisse Naivität als auch ein lüsternes Interesse.

Herr Bruder komm! wir müssen sie begleiten.829
»Herr Bruder«: Freundschaftlich-spöttischer Anredegestus unter Studenten oder jungen Männern. Diese Form der Ansprache unter Gleichgesinnten betont Verbrüderung im Schauen und Erleben – hier eindeutig auf das weibliche Geschlecht bezogen.
»komm!«: Imperativ; der Schüler fordert seinen Gefährten (wahrscheinlich Faust oder einen anderen Begleiter) enthusiastisch und drängend auf, sich ihm anzuschließen.
»wir müssen sie begleiten«:
Das »müssen« ist übertreibend und spielerisch gemeint – es suggeriert einen zwanghaften inneren Drang, in Wahrheit aber Lust und Abenteuerfreude.
»sie begleiten«: Das kann schlicht bedeuten, dass man gemeinsam spazieren geht – aber im Kontext mit dem vorherigen Vers liegt eine sexuelle oder zumindest flirtende Motivation nahe. Es klingt nach einem Versuch, Kontakt zu knüpfen, Aufmerksamkeit zu erlangen oder sich einfach im Glanz der Damen zu zeigen.
Der Schüler will nicht nur schauen, sondern handeln: Die erotische Energie der Szene wird in jugendlichen Überschwang überführt. Seine Worte spiegeln die Vitalität und Unbeschwertheit des Frühlingsfestes, aber auch die Schwelle zur Triebhaftigkeit und gesellschaftlichen Rollenerwartung.
Zusammenfassend 828-829
Diese beiden Verse zeigen die Sinnlichkeit und Unbefangenheit des jungen Schülers. In der Atmosphäre des Frühlings (als symbolischer Zeit des Erwachens, auch der Triebe) mischen sich Bewunderung, Spott, Begehren und Gruppendynamik. Zugleich gibt Goethe hier einen ironischen Kommentar auf die Männergesellschaft seiner Zeit: Frauen werden nicht als Personen, sondern als Objekte der Erregung und des Kommentars wahrgenommen. Der Schüler steht exemplarisch für einen bestimmten männlichen Blick – nicht tiefgründig oder respektvoll, sondern oberflächlich und auf unmittelbares Vergnügen ausgerichtet.

Ein starkes Bier, ein beizender Toback,830
– »Ein starkes Bier«:
Der Schüler äußert seine Vorliebe für kräftige, sinnlich erfahrbare Genüsse. Bier steht hier für einfache, volkstümliche Lebensfreude und körperliches Vergnügen. Es verweist zugleich auf die studentische Trinkkultur.
– »ein beizender Toback«:
»Beizend« bedeutet scharf, reizend, intensiv – sowohl im Geschmack als auch im Geruch. Der Tabak, ebenfalls ein sinnliches Genussmittel, unterstreicht das Bild einer derben, lustorientierten Lebensweise. Beides – Bier und Tabak – fungieren hier als Symbol für das Irdisch-Sinnliche und den bewussten Verzicht auf geistige Askese.

Und eine Magd im Putz das ist nun mein Geschmack.831
– »Und eine Magd im Putz«:
Die »Magd« verweist auf ein einfaches, zugängliches weibliches Gegenüber, das nicht aus höherem Stand stammt – was soziale Grenzen erkennen lässt. »Im Putz« meint festlich oder kokett gekleidet – also geschmückt, verlockend, vielleicht sogar erotisch aufreizend.
– »das ist nun mein Geschmack«:
Mit dieser Formulierung erklärt der Schüler seine Vorlieben offen und direkt. Es geht um körperliche Lust, greifbare, diesseitige Freude – kontrastierend zur Welt der Wissenschaft, Bildung oder des metaphysischen Denkens, die Faust sucht.
Zusammenfassend 830-831
Diese beiden Verse sind Ausdruck einer jungen, unreflektierten Lebenshaltung: Der Schüler preist das Genießen des Lebens in Form von Alkohol, Tabak und körperlicher Liebe – Dinge, die sinnlich, einfach und ohne geistige Tiefe sind. Im Kontext des Stücks ist dies eine Karikatur des typischen Studentenlebens, zugleich eine Kontrastfolie zu Fausts existenzieller Sinnsuche. Goethe spielt hier mit dem Motiv der »verführten Jugend«, die – anstatt nach Weisheit zu streben – in die Welt der Genüsse und Triebe abgleitet, möglicherweise beeinflusst durch Mephistopheles’ zynisches Menschenbild.

Bürgermädchen.
Da sieh mir nur die schönen Knaben!832
Das Bürgermädchen äußert Bewunderung, aber auch einen gewissen Unmut. Das »da sieh« signalisiert eine Mischung aus Erstaunen und Vorwurf, wobei »mir« die subjektive Betroffenheit unterstreicht. »Schöne Knaben« hebt die äußerliche Attraktivität der jungen Männer hervor und stellt sie als begehrenswert dar. Die Wendung klingt wie eine Einleitung zu einem Tadel – das Lob wirkt beinahe ironisch.

Es ist wahrhaftig eine Schmach,833
Hier folgt das Urteil: »Schmach« ist ein stark negativ konnotiertes Wort, das eine Verletzung gesellschaftlicher oder persönlicher Erwartungen bezeichnet. Das Mädchen empfindet die Situation als beschämend – nicht für sich selbst, sondern für die Knaben, die ihrer »Würde« nicht gerecht werden. »Wahrhaftig« verstärkt die Emotionalität und Authentizität des Urteils.

Gesellschaft könnten sie die allerbeste haben,834
Der Vorwurf wird präzisiert: Die jungen Männer hätten die Möglichkeit, mit »besserer« Gesellschaft – gemeint ist: mit anständigen, bürgerlichen Mädchen – Umgang zu pflegen. »Allerbeste« überhöht die eigene soziale Stellung und grenzt sich deutlich von den »Mägden« ab, denen das folgende Versende gilt. Der Konjunktiv »könnten« verweist auf eine verspielte Chance, ein moralisches Versäumnis.

Und laufen diesen Mägden nach!835
Die Enttäuschung kulminiert hier. »Laufen nach« ist eine abwertende Formulierung, die das Verhalten der Jungen als triebhaft, unreif und würdelos erscheinen lässt. Die »Mägde« stehen für ein soziales und sexuelles »Unten«, gegen das sich das Bürgermädchen abgrenzt. Ihre Empörung offenbart nicht nur moralische Empfindlichkeit, sondern auch eine gewisse Eifersucht und soziale Konkurrenz.
Zusammenfassend 832-835
Die vier Verse zeigen das Bürgermädchen als Vertreterin einer bürgerlich-sittlichen Ordnung, die durch das vermeintlich frivole Verhalten der jungen Männer bedroht scheint. Ihr Ton ist zugleich bewundernd und vorwurfsvoll – eine klassische Mischung aus sozialem Stolz, verletzter Eitelkeit und unterschwelliger Kränkung. Der kurze Ausschnitt beleuchtet die Dynamik zwischen sozialer Erwartung, sexueller Begierde und gesellschaftlicher Distinktion – ein zentrales Motiv in Goethes Faust.

Zweyter Schüler zum ersten.
Nicht so geschwind! dort hinten kommen zwey,836
Dieser Vers enthält eine direkte Anrede und einen Hinweis auf eine plötzliche Wahrnehmung. Der Zweite Schüler fordert seinen Begleiter auf, langsamer zu gehen (»Nicht so geschwind!«) – ein Ausruf, der Spontaneität und Aufmerksamkeit ausdrückt. Die Wendung »dort hinten kommen zwey« zeigt eine lebendige, fast szenische Beobachtung: Zwei Menschen nähern sich, was sofort das Interesse der Schüler weckt. Der Einsatz des Wortes »zwey« (statt »zwei«) ist nicht nur zeittypisch, sondern auch metrisch wirksam – die Betonung liegt auf der Ankündigung eines interessanten Moments im Spaziergang. Es entsteht ein Gefühl jugendlicher Aufregung und sozialer Dynamik.

Sie sind gar niedlich angezogen,837
Hier wird das Interesse der Schüler durch das Äußere der sich nähernden Personen weiter konkretisiert: »niedlich angezogen« beschreibt eine geschmackvolle, vielleicht zierliche oder modisch ansprechende Kleidung. Der Ausdruck »gar niedlich« betont das ästhetische Wohlgefallen – und lässt zugleich einen leicht koketten, vielleicht naiven Blick auf das andere Geschlecht durchscheinen. Im Kontext der Ostersonntagsszene, wo viele Menschen zum Flanieren »vor das Tor« strömen, wird durch diesen Kommentar die gesellschaftliche Leichtigkeit und das Frühlingserwachen der Sinne unterstrichen.
Zusammenfassend 836-837
Diese Stelle dient der Zeichnung einer lebendigen, volkstümlichen Atmosphäre. Die Schülerfiguren sind Teil des bunten Treibens, das den Kontrast zur düsteren Studierstube und zur metaphysischen Schwere der Fausthandlung bildet. Die Bemerkungen über äußere Reize und das Interesse an Frauen gehören zu einem Motiv der aufkommenden Sinnlichkeit und Lebenslust, das diese Szene insgesamt durchzieht.

’s ist meine Nachbarin dabey;838
Dieser Vers wird als gesprochene Bemerkung des zweiten Schülers an seinen Begleiter überliefert. Die elliptische Form (»’s ist« für »Es ist«) und der mündliche Duktus zeigen den alltäglichen Ton und die Leichtigkeit des Dialogs.
Die Rede weist auf ein konkretes Beobachten hin: Der zweite Schüler erkennt ein Mädchen in der Menge und teilt seinem Gefährten beiläufig, fast konspirativ mit, dass sie »dabei« ist – also anwesend. Die Wortwahl »meine Nachbarin« deutet bereits eine gewisse räumliche Nähe im Alltag an, eine Vertrautheit oder zumindest eine Möglichkeit zur Beobachtung im gewöhnlichen Leben. Es liegt darin ein Anklang an das bürgerliche Umfeld, in dem soziale Beziehungen unmittelbar sind, aber oft von Distanz, Normen oder stiller Schwärmerei geprägt sind.

Ich bin dem Mädchen sehr gewogen.839
Diese Aussage verstärkt und konkretisiert die vorangegangene Mitteilung. Die Formulierung »gewogen sein« ist ein gehobener Ausdruck für Zuneigung oder stilles Wohlwollen – zurückhaltend und respektvoll.
Im Kontext wirkt sie allerdings auch etwas ironisch oder gestelzt, besonders wenn man bedenkt, dass ein junger Schüler diese Formulierung in einem möglicherweise schüchternen oder eifrig-vertraulichen Tonfall wählt. Es kann sowohl Ausdruck echter, zarter Zuneigung sein als auch ein kokettes, vielleicht übertriebenes Bekenntnis gegenüber dem Freund.
Dass das Mädchen »das« Mädchen ist (nicht »meine Nachbarin« wiederholt), zeigt, dass sich das Subjekt seines Begehrens aus dem sozialen Rahmen (Nachbarschaft) in die romantische Imagination verschiebt.
Zusammenfassend 838-839
Diese beiden Verse illustrieren Goethes meisterhafte Fähigkeit, mit wenigen Worten eine alltägliche Situation lebendig zu gestalten. Zugleich spiegelt sich in der Szene das Frühlingserwachen – sowohl der Natur als auch der menschlichen Empfindung. Die kurze Episode zwischen den Schülern betont das aufblühende Interesse des Menschen an zwischenmenschlicher Beziehung, eingebettet in das größere Thema der Szene: das Leben, das Erwachen, das Begehren. Sie steht kontrastierend zu Fausts innerer Zerrissenheit – dort das triviale, aber warme Leben, hier die existenzielle Suche.

Sie gehen ihren stillen Schritt840
Inhaltlich: Die Priester oder Geistlichen (wahrscheinlich Mönche) bewegen sich ruhig, würdevoll und zurückgezogen – ohne Prunk, ohne Lärm. Der »stille Schritt« verweist auf die gelassene, fromme Haltung, die das klösterliche Leben idealerweise auszeichnet.
Stilistisch: Die Alliteration von stillen Schritt verleiht dem Vers Sanftheit und Nachklang, was den Eindruck von Demut und innerer Sammlung sprachlich unterstreicht. Der Gebrauch des Pronomens »sie« verallgemeinert, fast ehrfürchtig, was auf eine gewisse Distanz oder Beobachtungshaltung schließen lässt.
Subtext: Hier schwingt auch eine gewisse Bewunderung mit – nicht wegen lauter Taten, sondern wegen der Stille, in der sie handeln. Der »stille Schritt« symbolisiert ein Leben jenseits der lauten Welt, im Dienst des Ewigen.

Und nehmen uns doch auch am Ende mit.841
Inhaltlich: Trotz ihrer Zurückgezogenheit – und vielleicht gerade deswegen – spielen die Geistlichen eine entscheidende Rolle beim Übergang vom Leben zum Tod. »Am Ende« meint das Lebensende, und das »Mitnehmen« spielt auf das Jenseits an. Die Priester sind es, die durch Sakramente, Gebete und Sterbebegleitung helfen, die Seele ins Jenseits zu führen.
Stilistisch: Die Konjunktion »doch« bringt einen Kontrast zur ersten Zeile: Obwohl sie so still und unauffällig erscheinen, kommt ihnen eine entscheidende Funktion zu – sie begleiten uns in den Tod. Die Formulierung »nehmen uns mit« ist schlicht, fast volkstümlich – und genau dadurch eindrucksvoll: Der Mensch kann sich der letzten Begleitung durch die Religion nicht entziehen.
Subtext: Hier liegt eine Mischung aus Respekt, vielleicht auch Faszination und Unbehagen. Die Geistlichen stehen außerhalb der geschäftigen Welt, aber am Ende kommt niemand an ihnen vorbei – eine leise Erinnerung an Sterblichkeit und Erlösung.
Zusammenfassend 840-841
In nur zwei Versen verdichtet Goethe eine tiefe Beobachtung: Die stille, unauffällige Macht der Religion wirkt nicht im Trubel der Welt, sondern zeigt sich am Ende des Lebens – unausweichlich, mächtig, beinahe mystisch. Die Schüler blicken mit Respekt, vielleicht auch mit einer Mischung aus Scheu und Ironie auf diese Gestalten, die über Leben und Tod hinaus wirken.

Erster.
Herr Bruder nein! Ich bin nicht gern genirt.842
Dieser Vers stammt vom Ersten, einer volkstümlichen Figur in der Osterprozession. Er spricht in einer betont umgangssprachlichen und geselligen Weise, was zur lebendigen und lockeren Atmosphäre des Osterspaziergangs passt.
»Herr Bruder« ist eine scherzhafte, fast parodistische Anrede – zugleich brüderlich-freundlich und ironisch distanziert. Sie ist typisch für das bürgerlich-derbe Milieu der Szene.
»nein!« wirkt spontan und abwehrend – eine unmittelbare Reaktion, etwa auf einen Vorschlag oder eine Geste des anderen.
»Ich bin nicht gern genirt«: »genirt« bedeutet hier »gestört«, »behindert« oder »belästigt« – eine Entlehnung aus dem Französischen gêné. Der Sprecher will keine Umstände, kein Aufhalten, kein unnötiges Gerede: Er steht für unmittelbare Lebensfreude und Bewegung – für eine volkstümliche, körperliche Weltsicht ohne Reflexion oder Tiefsinn.
Diese Wendung verweist auf das Lebensgefühl der unteren oder mittleren Stände, wie Goethe es in dieser Szene vielfarbig inszeniert: pragmatisch, handfest, unverkopft.

Geschwind! daß wir das Wildpret nicht verlieren.843
»Geschwind!« ist ein energischer Ausruf – auffordernd, befehlend, gedrängt. Es zeigt, dass der Sprecher eilig ist, in Bewegung bleiben will. Auch das Tempo des Verses beschleunigt sich dadurch.
»daß wir das Wildpret nicht verlieren«: »Wildpret« (eine veraltete Form für »Wildbret«) bezeichnet das Fleisch des erlegten Wildes – hier symbolisch oder wörtlich zu verstehen. Möglich sind zwei Lesarten:
Konkrete Deutung: Die beiden Männer haben möglicherweise bei der Jagd oder auf dem Land ein Wild erlegt oder erbeutet und wollen es nun rasch nach Hause bringen, bevor es ihnen jemand wegnimmt oder verdirbt.
Übertragene Deutung: Das »Wildpret« könnte auch für ein festliches Mahl, einen Genuss oder einen »Preis« stehen, den man sich durch Zögern entgehen lassen könnte – vielleicht sogar ein erotisches oder soziales Abenteuer. In volkstümlicher Redeweise ist »Wildpret verlieren« nicht nur ein pragmatisches, sondern auch ein bildhaftes Motiv für versäumte Chancen.
Diese Wendung unterstreicht erneut den erdnahen, leibbetonten und gegenwärtigen Lebenszug dieser Figur: alles, was zählt, ist das sinnlich-greifbare Jetzt.
Zusammenfassend 842-843
In diesen beiden Versen verdichtet sich Goethes Gestaltung des »einfachen Volkes« als Kontrast zu Fausts innerem Ringen. Während Faust in metaphysischer Verzweiflung über das Wissen brütet, sind diese Menschen fest in der Welt, der Natur, der Gemeinschaft und dem Fest verwurzelt. Ihre Sprache ist anschaulich, körpernah, direkt – ein Kontrapunkt zur Gelehrtenexistenz.

Die Hand, die Samstags ihren Besen führt,844
Dieser Vers spielt auf eine alltägliche häusliche Szene an: Das Kehren mit dem Besen am Samstag. Im bürgerlichen Kontext steht der Samstag traditionell für Hausputz, Reinigung und Vorbereitung auf den Sonntag.
– »die Hand« verweist metonymisch auf die Frau (vermutlich eine Magd oder Ehefrau), deren Tätigkeit beschrieben wird.
– Die Tätigkeit des »Besen führens« lässt sich doppelt lesen: wörtlich als Reinigungsarbeit, aber auch unterschwellig mit einer erotisch-derben Konnotation.
– Durch die Konkretheit der Bewegung (»Besen führen«) wird nicht nur Fleiß, sondern auch eine Art körperlicher Präsenz und Aktivität evoziert.

Wird Sontags dich am besten caressiren.845
Hier wird der Gegensatz zwischen Wochentag und Sonntag zur Pointe: Die arbeitende Hand vom Samstag wird am Sonntag zur zärtlichen Hand.
– »caressiren« (veraltete Schreibweise für »kärchern«, »liebkosen«) trägt eine stark erotisch-sinnliche Note. Die körperliche Nähe wird jetzt nicht mehr in der Arbeit, sondern im Spiel der Zärtlichkeit gesucht.
– Diese Wendung ist ein klassisches Beispiel für den Volkswitz der Szene: derbe Erotik unter dem Deckmantel des Alltäglichen.
– Gleichzeitig wird ein sozialer Kommentar mitgeliefert: Die Frau, die werktags schuftet, ist sonntags zur Liebe (bzw. zur Lust) bereit – nicht aus Romantik, sondern als Teil des rhythmisierten Lebens.
– Auch klingt hier ein gewisser männlich-derber Tonfall mit, der typisch für die Männergespräche im Volksmilieu ist, wie Goethe sie in dieser Szene zeichnet.
Zusammenfassend 844-845
Diese beiden Verse zeigen Goethes meisterhafte Fähigkeit, Alltagsrealität, sozialkritischen Unterton und doppeldeutigen Humor in volksnahe Sprache zu kleiden. Die Übergänge zwischen Arbeit und Erotik, zwischen Alltag und Lust werden fließend gemacht, ohne moralische Bewertung, aber mit subtiler Ironie. Die Szene »Vor dem Tor« dient auch dazu, die Spannbreite menschlicher Lebensäußerungen – von derbem Witz bis zu stiller Frömmigkeit – in einem Panorama darzustellen, das Fausts innere Unruhe kontrastiert.

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