Prolog im Himmel. (1)
Der Herr, die himmlischen Heerscharen, nachher Mephistopheles.
Die drey Erzengel treten vor.
Raphael.
Die Sonne tönt, nach alter Weise,243
Dieser Vers ist der erste gesungene Beitrag des Erzengels Raphael im Prolog im Himmel. Bereits in dieser Zeile verdichten sich zentrale Motive der kosmischen Ordnung, Harmonie und Zeitlosigkeit.
»Die Sonne«: Sie steht als Symbol für das Zentrum des Sonnensystems, aber auch für Licht, Klarheit, göttliche Energie und das schöpferische Prinzip. Ihre Erwähnung verweist auf das makrokosmische Weltgefüge, das Goethe – in Anlehnung an antike wie christliche Kosmologien – als geordnet und beseelt denkt.
»tönt«: Hier liegt der Schlüssel zur goetheschen Weltharmonie. Die Sonne »tönt« – sie klingt. Goethe greift hier die antike Idee der Sphärenmusik (Musica universalis) auf, die auch in der mittelalterlichen Mystik und bei Johannes Kepler wiederkehrt. Die Bewegung der Himmelskörper erzeugt eine Art göttlicher Musik, die dem menschlichen Ohr zwar verborgen, aber der Seele zugänglich ist.
»nach alter Weise«: Dieser Zusatz betont die uralte, ewige Gesetzmäßigkeit, nach der diese kosmische Ordnung abläuft. Es handelt sich nicht um einen neuen, willkürlichen Klang, sondern um ein traditionsgebundenes, quasi metaphysisches Kontinuum. Die Welt ist nicht zufällig, sondern durch göttliche Weisheit geordnet.
Interpretatorisch zeigt sich hier Goethes Interesse an einer universellen Harmonie jenseits des bloß Irdischen – ein Weltbild, das Wissenschaft, Kunst und Religion verbindet.
In Brudersphären Wettgesang,244
Der zweite Vers führt die Vorstellung aus Vers 243 weiter und verwebt musikalische und brüderlich-kosmische Motive:
»Brudersphären«: Die Planeten und Himmelskörper werden als »Brüder« bezeichnet – eine metaphorische Personifikation, die den Gedanken einer solidarischen, aufeinander abgestimmten Ordnung unterstreicht. Es handelt sich also um eine metaphorisch-mystische Familie von Himmelskörpern, die in Eintracht wirken.
»Wettgesang«: Der Begriff »Wettgesang« verknüpft zwei Aspekte: Einerseits klingt hier das Bild eines künstlerischen Wettstreits an (wie im Minnesang oder in olympischen Dichtwettbewerben), andererseits bedeutet es nicht Konkurrenz im modernen Sinn, sondern eine wechselseitig steigernde Harmonie – eine Art dialogische Bewegung der Himmelsmusik. Das Universum wird als vielstimmiger, aber geordneter Gesang gedacht.
Theologisch-poetisch liest sich dieser Vers als Bild für das harmonische Zusammenspiel göttlicher Mächte im Kosmos. Alles, was existiert, ist Teil eines großen Chors – eine Idee, die von Platon über Pythagoras bis zur christlichen Schöpfungstheologie reicht.
Zusammenfassend 243-244
Mit diesen beiden Zeilen beginnt Raphael die Lobpreisung der Schöpfung. Goethe lässt durch ihn ein kosmisches, metaphysisch-musikalisches Weltbild erstehen, das den Himmel nicht als stumme Leere, sondern als beseelte, klingende Ordnung auffasst. Diese Welt ist fern von Chaos oder Zufall; sie ist durchdrungen von Sinn und Schönheit – einem göttlichen Gesetz folgend, das ewig gilt.
Und ihre vorgeschriebne Reise245
»Und«: Die Konjunktion stellt eine Fortsetzung oder Ergänzung zum vorhergehenden Gedanken dar. Raphael hat bereits über die Ordnung und Harmonie des Kosmos gesprochen. Mit »Und« wird diese Beschreibung weitergeführt, was das Gefühl von zyklischer, ununterbrochener Bewegung unterstreicht.
»ihre«: Das Personalpronomen verweist auf die »Sonne«, die im vorhergehenden Vers genannt wurde (»Die Sonne tönt nach alter Weise«). Die Sonne ist hier Symbol für kosmische Ordnung, Harmonie und das göttlich Geordnete.
»vorgeschriebne«: Bedeutet »vorgegebene« oder »festgelegte«. Die Bewegung der Sonne ist nicht willkürlich, sondern durch einen göttlichen oder kosmischen Plan bestimmt. Das Adjektiv betont die vorbestimmte Ordnung des Universums, was auch das zentrale Thema dieses Prologs ist: eine Welt, die nach göttlichem Willen funktioniert.
»Reise«: Metapher für den Lauf der Sonne am Himmel, ihren täglichen Umlauf. Die Reise der Sonne wird dabei wie ein Ritual oder ein Auftrag verstanden, den sie gehorsam und regelmäßig erfüllt – ein Sinnbild für das gesetzmäßige Walten des Göttlichen.
Vollendet sie mit Donnergang.246
»Vollendet«: Das Verb hebt den Abschluss eines Zyklus hervor, aber auch die Vollkommenheit der Ausführung. Die Sonne »vollendet« ihre Bahn – also nicht nur im Sinne von »beenden«, sondern auch im Sinne von »in vollendeter Weise ausführen«. Hier schwingt ein Begriff von göttlicher Perfektion und Zuverlässigkeit mit.
»sie«: Wiederum die Sonne – das Subjekt des vorigen Verses. Die Wiederaufnahme schafft grammatische und semantische Kontinuität.
»mit Donnergang«: Ein bildstarkes, fast dramatisches Bild. Der Ausdruck verweist auf ein Naturphänomen – Donner –, der oft mit göttlicher Macht und Majestät assoziiert wird. »Donnergang« betont die Erhabenheit und gewaltige Kraft dieser kosmischen Bewegung. Es suggeriert, dass die himmlischen Abläufe nicht nur geordnet, sondern auch machtvoll und ehrfurchtgebietend sind.
Zusammenfassend 245-246
Diese beiden Verse verdichten den Gedanken, dass die Natur – exemplarisch dargestellt durch die Sonne – einer festgelegten, göttlich bestimmten Ordnung folgt und diesen Lauf mit überwältigender Kraft und unermesslicher Majestät vollzieht. Sie spiegeln Goethes Idee eines harmonisch gefügten Kosmos, der von göttlicher Weisheit getragen ist – ein zentrales Motiv des »Prologs im Himmel«.
Ihr Anblick giebt den Engeln Stärke,247
– »Ihr Anblick«: Das »Ihr« bezieht sich auf die »Sonnen« aus dem vorangehenden Vers (Vers 246: »Die Sonne tönt, nach alter Weise, / In Brudersphären Wettgesang«). Gemeint sind die Himmelskörper – insbesondere die Sonne – als kosmische Erscheinungen in der göttlichen Ordnung. Diese gelten als sichtbarer Ausdruck der göttlichen Schöpfung.
– »giebt den Engeln Stärke«: Der Anblick dieser geordneten, harmonischen Himmelskörper verleiht den Engeln Kraft – nicht im körperlichen, sondern im metaphysischen Sinn: geistige Stärke, Bewunderung, Bestätigung ihrer himmlischen Existenz. Das ist eine Form von visio beatifica, der seligen Schau des Göttlichen. Der Anblick der Ordnung der Schöpfung gibt ihnen Orientierung und Erfüllung.
Kontextuell: Der Vers stellt die Beziehung zwischen der Schöpfung (sichtbar in der kosmischen Ordnung) und den Engeln her. Die Engel speisen ihre Stärke aus der Kontemplation des Göttlichen – eine klassische Vorstellung der christlichen Mystik.
Wenn keiner sie ergründen mag.248
– »Wenn«: Die Konjunktion leitet einen einschränkenden Nebensatz ein – es wird ein Gegensatz betont.
– »keiner«: Mensch oder Engel – niemand ist in der Lage, die göttliche Ordnung (oder Gott selbst) völlig zu »ergründen«.
– »sie ergründen«: »Ergründen« meint das tiefe, rationale Durchdringen, das Verstehen im Sinne von wissenschaftlicher oder metaphysischer Erkenntnis.
– »mag«: Altmodisch für »kann« oder »vermag« – also: obwohl es niemand vermag.
Zusammen: Die Engel gewinnen zwar Stärke aus der Anschauung der göttlichen Ordnung, doch bleibt diese letztlich unergründlich. Das Paradox: Die Schöpfung gibt geistige Kraft, obwohl (oder gerade weil) sie dem Verstand verschlossen bleibt.
Zusammenfassend 247-248
Die beiden Verse thematisieren ein zentrales Motiv der Theologie und der mystischen Tradition: die Transzendenz Gottes. Die Schöpfung ist offenbar und schön, aber ihrem tiefsten Wesen nach unbegreiflich. Die Engel erkennen die Größe Gottes nicht durch rationale Einsicht, sondern durch staunende Schau. Goethes Raphael spricht aus einer Perspektive der reinen Geistigkeit, in der das Wunder nicht durch Erklärung entzaubert wird, sondern zur Quelle metaphysischer Kraft wird.
Die unbegreiflich hohen Werke249
Dieser Vers eröffnet Raphaels Lobpreis der göttlichen Schöpfung. Die Formulierung »unbegreiflich hoch« verweist auf zwei Dimensionen:
»Unbegreiflich« betont die Transzendenz und Unerreichbarkeit des Göttlichen für den menschlichen Verstand. Es gibt eine Grenze des rationalen Fassens – ähnlich wie in der Mystik, wo die höchste Wahrheit sich nur im Schweigen oder in paradoxen Bildern zeigt. Goethe greift damit eine theologische Tradition auf, die schon in der scholastischen und mystischen Gotteserkenntnis eine Rolle spielt (z. B. bei Dionysius Areopagita oder Meister Eckhart).
»Hoch« verweist nicht nur auf den physischen Ort (die Himmelssphäre), sondern steht symbolisch für Erhabenheit, Vollkommenheit und Ordnung im metaphysischen Sinn.
»Werke« meint hier die Schöpfung selbst – die Natur und das kosmische Gefüge, das von Gott erschaffen wurde. Es sind nicht einzelne Taten, sondern das Ganze des Geschaffenen in seiner Ordnung und Majestät.
In diesem Vers formuliert Raphael ein Staunen, das demütig und ehrfürchtig ist. Der Engel erkennt an, dass er – obwohl selbst ein himmlisches Wesen – die Tiefe und Größe der göttlichen Schöpfung nicht vollständig durchdringen kann.
Sind herrlich wie am ersten Tag.250
Hier liegt eine bewusste Anspielung auf den Schöpfungsbericht in Genesis 1 vor. Nach jedem Schöpfungstag heißt es dort: »Und Gott sah, dass es gut war.« Goethe greift diese Idee auf, erweitert sie aber in poetischer Weise:
»Herrlich« ist ein Ausdruck höchster Wertschätzung. Die Schöpfung ist nicht nur funktional oder geordnet, sondern auch schön, erhaben, ästhetisch vollkommen. Das verbindet sich mit der Idee der theologischen Ästhetik, nach der das Schöne auch ein Ausdruck des Göttlichen ist.
»Wie am ersten Tag« betont die Zeitlosigkeit und Unveränderlichkeit göttlicher Werke. Obwohl sich die Welt im Wandel befindet – wie später Faust selbst durch sein Streben nach Erkenntnis, Fortschritt und Veränderung dies verkörpert –, bleiben Gottes Werke in ihrer Grundherrlichkeit ewig gültig. In diesem Punkt steht die Ordnung des Himmels im Kontrast zur gebrochenen, suchenden Existenz des Menschen.
Zugleich kann diese Wendung auch als kritischer Spiegel gelesen werden: Die Engel sehen in der Welt den göttlichen Urglanz, während der Mensch (wie Faust) oft an der Welt verzweifelt und sich von ihr nicht mehr als »herrlich« angesprochen fühlt. Hier legt Goethe bereits einen Gegensatz an, der den gesamten Faust durchzieht: Zwischen göttlicher Ordnung und menschlichem Zweifeln, zwischen metaphysischem Lob und existenzieller Unruhe.
Zusammenfassend 249-250
Diese zwei Verse sind damit keine bloße Einleitung, sondern kondensieren die Grundhaltung des »Prologs im Himmel«: Die Welt ist in göttlicher Ordnung, und die Engel erkennen das in Lobpreis an – im Kontrast zu Mephisto und zu Fausts späterem Ringen. Die Spannung zwischen kosmischer Harmonie und menschlicher Verzweiflung ist damit bereits grundgelegt.
Gabriel.
Und schnell und unbegreiflich schnelle251
Dieser Vers eröffnet mit einer Verdopplung des Adjektivs »schnell« – einmal als reguläres Adjektiv (»schnell«) und einmal in der gesteigerten Form »unbegreiflich schnelle«. Die Formulierung erzeugt ein Gefühl von Bewegung und Tempo, das über das Alltägliche hinausgeht.
»Und« verbindet diesen Vers mit dem vorangehenden Gedanken und deutet auf eine fortlaufende Bewegung hin.
»unbegreiflich« hebt hervor, dass diese Schnelligkeit nicht nur physikalisch, sondern auch intellektuell und sinnlich nicht fassbar ist – sie entzieht sich dem menschlichen Vorstellungsvermögen.
Die Alliteration (schnell – schnelle) verstärkt den klanglichen Eindruck von Rasanz.
Das Wort »schnelle« in Endstellung wirkt durch seine Umstellung aus der üblichen Satzreihenfolge (Inversion) poetisch aufgeladen und rhythmisch pointiert.
Im Kontext des Prologs, in dem die Engel die Schöpfung besingen, wird hier also nicht einfach nur Geschwindigkeit, sondern ein göttliches, überirdisches Prinzip der Bewegung beschrieben – die Dynamik der Schöpfung selbst.
Dreht sich umher der Erde Pracht;252
»Dreht sich umher« beschreibt eine kreisförmige, kontinuierliche Bewegung – gemeint ist die Rotation der Erde bzw. ihr Umlauf, möglicherweise auch metaphorisch als ewiger Kreislauf des Lebens.
Die Position des Verbs »dreht« am Satzanfang verstärkt die Dynamik und den Eindruck von Bewegung.
»der Erde Pracht« ist eine poetische Umschreibung für die Schönheit und Erhabenheit der Welt, wie sie dem Blick des Engels erscheint. Die Erde ist nicht nur Materie, sondern ein Glanzstück der Schöpfung, das sich in vollkommener Ordnung und Schönheit bewegt.
Die Umkehrung der gewöhnlichen Wortstellung (nicht »die Pracht der Erde«, sondern »der Erde Pracht«) betont das Poetische und Feierliche – es klingt wie ein hymnischer Lobpreis.
Zusammenfassend 251-252
Gabriel beschreibt in diesen Versen die makrokosmische Ordnung aus der Perspektive eines Engels, der nicht den irdischen Blick, sondern den göttlichen hat. Die Erde ist kein ruhender Planet, sondern eingebunden in ein rasendes, unbegreifliches kosmisches Spiel. Ihre Schönheit zeigt sich gerade in ihrer dynamischen Einbindung in das göttliche Weltganze.
Die Darstellung ist nicht nur naturphilosophisch (im Sinne einer geozentrischen oder kopernikanischen Kosmologie) relevant, sondern auch theologisch-poetisch: Die Welt wird in Bewegung als Ausdruck göttlicher Vollkommenheit begriffen.
Es wechselt Paradieses-Helle253
Dieser Vers beginnt mit dem Verb »wechselt«, das Bewegung, Veränderung, Zyklus oder auch Gegensätze ankündigt.
Die »Paradieses-Helle« evoziert ein Bild höchster göttlicher Klarheit, Schönheit und Reinheit – eine Lichtfülle, wie sie in biblischen oder mystischen Vorstellungen vom Paradies erscheint. Diese Helle steht hier sinnbildlich für die Ordnung, Güte und Erleuchtung, die von der göttlichen Sphäre ausgeht. Gabriel beschreibt also eine Welt, in der selbst diese erhabene Helle nicht statisch ist, sondern im ständigen Wandel steht.
Im weiteren Sinne verweist der Vers auf das göttliche Naturgeschehen: Das Licht (möglicherweise Sonnenlicht oder das Licht des Geistes) verändert sich beständig – nichts ist dauerhaft, alles in Bewegung. Auch kosmisch gesehen entspricht dies dem Wechsel von Tag und Nacht, Licht und Schatten, Leben und Tod.
Mit tiefer schauervoller Nacht;254
Hier setzt Goethe die »tiefe schauervolle Nacht« als Kontrast zur »Paradieses-Helle«.
»Tief« steht für Unergründlichkeit, für das Dunkle und Unbekannte – ein Abgrund.
»Schauervoll« kann sowohl Furcht als auch Erhabenheit implizieren: ein sublimer Schauer, wie ihn das Erhabene bei Kant oder das Numinosum bei Rudolf Otto erzeugen kann.
Die »Nacht« ist nicht nur Abwesenheit von Licht, sondern auch ein Raum des Geheimnisses, der Angst, aber vielleicht auch der Besinnung und Offenbarung.
Im Zusammenspiel mit dem vorhergehenden Vers ergibt sich ein kosmisches Bild des stetigen Wechsels zwischen Licht und Dunkel, zwischen göttlicher Klarheit und erschütternder Tiefe – ein Kreislauf, den die Erzengel als Bestandteil der Schöpfung begreifen und preisen.
Zusammenfassend 253-254
Gabriel beschreibt hier keinen moralischen Dualismus von Gut und Böse, sondern einen kosmischen Rhythmus: die Welt ist durchzogen von Gegensätzen, deren Wechsel selbst eine göttliche Ordnung darstellt. Goethes Sprache ist dabei von erhabener Bildkraft, und seine Engel sprechen in einem Ton, der sowohl das Erhabene der Natur als auch ihre Unergründlichkeit feiert.
Es schäumt das Meer in breiten Flüssen255
Dieser Vers beschreibt eine machtvolle, dynamische Naturerscheinung. Mehrere Aspekte lassen sich hervorheben:
»Es schäumt das Meer«: Das Meer wird personifiziert und erscheint in Bewegung, kraftvoll und lebendig. Das »Schäumen« weist auf eine ungebändigte Energie hin, eine Art Naturgewalt, die brodelt, tobt und sich nicht zähmen lässt. Das Bild ruft eine Vorstellung von Wellen hervor, die sich überschlagen und Gischt erzeugen.
»in breiten Flüssen«: Die Verbindung von »Meer« und »Flüssen« ist poetisch paradox, da Flüsse normalerweise ins Meer münden. Hier jedoch scheint das Meer selbst in gewaltigen Strömen zu fließen. Dieses Bild könnte andeuten, dass das Meer nicht nur ein ruhendes Gewässer ist, sondern aktiv strömt – als Element, das selbst zum Fließen gebracht wird. Diese »breiten Flüsse« suggerieren außerdem Weite, Fülle und Majestät der Natur.
Der Vers veranschaulicht das kraftvolle Wirken der Schöpfung – ein dynamischer, geordneter Kosmos, in dem selbst die wilden Elemente einer göttlichen Ordnung gehorchen. Gabriel preist in diesen Bildern die Allmacht Gottes, wie sie sich in der Natur zeigt.
Am tiefen Grund der Felsen auf256
Auch dieser Vers arbeitet mit einer kraftvollen Bildsprache und zeigt eine räumliche Bewegung von unten nach oben:
»Am tiefen Grund«: Dies verweist auf die Tiefe der Erde, eine verborgene, ursprüngliche Zone. Der Ausdruck evoziert eine gewaltige Tiefe, einen Ort fernab menschlicher Erfahrung, urtümlich und unergründlich.
»der Felsen«: Felsen sind Symbole für Standfestigkeit, Dauerhaftigkeit, aber auch für Widerstand. Dass sich das Meer »am Grund der Felsen« regt, weist auf eine Konfrontation zwischen den Elementen Wasser (beweglich, fließend) und Stein (statisch, fest) hin.
»auf«: Dieses kleine Wort signalisiert Aufwärtsbewegung – aus der Tiefe drängt das Meer empor, schlägt gegen die Felsen, steigert sich zu tosender Kraft. Es suggeriert auch eine Art Streben, ein Emporwallen der Elemente.
Auch dieser Vers beschreibt Natur in Bewegung, in der Tiefe wurzelnd, aber aufwärts drängend. Die Verbindung von Tiefe und Dynamik unterstreicht die schöpferische Macht Gottes: Selbst das scheinbar Chaotische (das Meer) gehorcht einer Ordnung, die aus der Tiefe emporsteigt. Die Natur wird nicht als wild und zerstörerisch dargestellt, sondern als großartig, gewaltig und doch in göttlichem Gleichgewicht.
Zusammenfassend 255-256
Gabriels Rede feiert die Natur als göttlich geordnete Kraft. Diese beiden Verse schildern in dichter Bildsprache eine gewaltige, harmonisch bewegte Welt, in der die Elemente kraftvoll, aber nicht chaotisch wirken. Alles ist Ausdruck der göttlichen Schöpfung, die sich in majestätischen Naturbildern manifestiert.
Und Fels und Meer wird fortgerissen257
Sprachlich: Der Vers verwendet eine mächtige Metapher der Bewegung: »Fels« und »Meer«, Symbole des Unerschütterlichen und des Unendlichen, werden »fortgerissen«. Das Verb »fortgerissen« evoziert gewaltige, dynamische Kräfte – ein Bild kosmischer Energie.
Grammatikalisch fällt die Singularform »wird« auf, obwohl zwei Subjekte (»Fels und Meer«) genannt sind. Das ist eine poetische Lizenz, die die Einheit der Bewegung betont – beide Naturgewalten erscheinen wie von einer Kraft erfasst.
Inhaltlich: Die Natur, selbst in ihren massivsten und scheinbar stabilsten Formen, ist Teil des göttlich bestimmten Weltlaufs.
Die Aussage spiegelt das große Thema des Prologs wider: die kosmische Ordnung, wie sie von den Erzengeln beschrieben wird. Nichts steht still; alles ist eingebunden in einen größeren, göttlichen Rhythmus.
Die Zeile steht exemplarisch für das barocke Weltbild, in dem Bewegung, Wandel und die Eingliederung des Irdischen in ein höheres Ganzes zentrale Motive sind.
In ewig schnellem Sphärenlauf.258
Sprachlich: Der Ausdruck »ewig schneller Sphärenlauf« knüpft an die antike und mittelalterliche Vorstellung vom Weltenlauf an – insbesondere an das geozentrische Weltbild mit konzentrischen Himmelssphären, die in vollkommener Harmonie kreisen.
Die Adjektive »ewig« und »schnell« verbinden Dauer mit Dynamik: Es geht nicht nur um Bewegung, sondern um eine kontinuierliche, nie endende Ordnung.
»Sphärenlauf« ist ein dichterisches Kompositum, das musikalische Konnotationen hat (vgl. den »Sphärenklang« bei Pythagoras), wodurch eine Harmonie des Kosmos mitschwingt.
Inhaltlich: Der Vers verortet die irdischen Elemente (»Fels und Meer«) im Kontext des gesamten Weltalls. Ihre Bewegung ist kein Zufall, sondern Teil des geordneten, harmonischen Laufs der Sphären.
Der Engel spricht aus einer Perspektive jenseits der Zeit. Die Welt wird als vollkommen bewegt, aber auch vollkommen geordnet dargestellt – ein kosmisches Gleichgewicht, das von göttlicher Macht durchdrungen ist.
Zusammenfassend 257-258
Die beiden Verse stellen den Zusammenhang von Naturgewalt und kosmischer Ordnung dar. Gabriel beschreibt eine Welt, die trotz aller Bewegung nicht im Chaos versinkt, sondern im »ewig schnellen Sphärenlauf« göttlicher Harmonie folgt. Diese Sichtweise steht im Kontrast zur späteren Unruhe des Menschen – besonders des Faust –, der sich gegen die Ordnung stellt und nach mehr als nur rhythmischer Eingebundenheit sucht.
Michael
Und Stürme brausen um die Wette259
»Stürme«: Das Naturphänomen wird hier als dynamische, mächtige Kraft personifiziert. Die Stürme sind nicht bloß meteorologische Erscheinungen, sondern Ausdruck einer gewaltigen, kosmischen Energie – passend zur Perspektive des Prologs im Himmel.
»brausen«: Ein lautmalerisches Verb, das die akustische und körperlich spürbare Gewalt der Stürme vermittelt. Es evoziert Bewegung, Lärm, Unkontrollierbarkeit.
»um die Wette«: Diese Redewendung verleiht dem Geschehen einen fast spielerischen, aber zugleich dramatisch aufgeladenen Charakter. Die Naturkräfte erscheinen als Konkurrenten, die ihre Macht messen – ein Bild, das den Eindruck von dynamischer Ordnung im Chaos vermittelt.
Die Zeile beschreibt nicht nur Naturgewalt, sondern eine Form kosmischer Bewegung und Ordnung. Michael, der Erzengel, preist damit das göttlich gelenkte Walten der Natur.
Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer260
Parallelismus: Die spiegelbildliche Struktur erzeugt rhythmische Ausgeglichenheit und betont die zyklische Bewegung. Die Ordnung der Natur ist im ständigen Wechsel, aber ohne Zerstörung – es herrscht Balance.
Raumdimensionen: »Meer« und »Land« stehen symbolisch für Gegensätze (fließend vs. fest, chaotisch vs. geordnet), die durch die Bewegung der Stürme miteinander verbunden sind.
Zirkularität: Die Wiederholung der Bewegungsrichtung (Hin und Zurück) deutet auf ein harmonisches, göttlich reguliertes Naturgesetz hin.
Dieser Vers führt das Motiv aus dem ersten weiter und stellt die Wechselwirkung von Elementen dar. Die Welt ist in Bewegung, aber nicht willkürlich – sie folgt einem größeren, göttlich bestimmten Rhythmus.
Zusammenfassend 259-260
Michael beschreibt die Natur als lebendige, kraftvolle und zugleich geordnete Schöpfung Gottes. In dieser Ordnung ist selbst das Wilde (die Stürme) eingebunden. Die beiden Verse spiegeln Goethes Vorstellung von der Schöpfung als dynamischem, aber harmonischem Kosmos wider – ein zentrales Thema des Prologs im Himmel, das dem späteren Konflikt um Fausts Seele den metaphysischen Rahmen verleiht.
Und bilden wüthend eine Kette261
Dieser Vers stammt aus der Rede des Erzengels Michael, der – zusammen mit Gabriel und Raphael – im »Prolog im Himmel« Gottes Schöpfung preist. Michael steht traditionell für die kämpferische Kraft Gottes, er ist der Engel der Schlacht, der auch in der Offenbarung des Johannes gegen den Drachen kämpft.
»bilden«: Das Verb suggeriert aktives Gestalten, nicht bloß chaotische Bewegung – ein Hinweis auf eine höhere Ordnung, die selbst im scheinbar Wilden liegt.
»wüthend«: Das Adjektiv beschreibt die Naturkräfte als leidenschaftlich, fast zerstörerisch – doch hier ohne moralische Verurteilung. Wut ist Ausdruck intensiver, ungebändigter Kraft.
»eine Kette«: Diese Metapher lässt an eine geschlossene, vielleicht sogar deterministische Verbindung denken: Einzelne Ereignisse oder Kräfte greifen wie Glieder ineinander. Trotz »wüthender« Energie entsteht ein Gesamtzusammenhang.
Auch das scheinbar Chaotische, Wilde (»wüthend«) ist Teil eines größeren kosmischen Zusammenhangs (»Kette«). Michael lobt gerade die Dynamik und Energie der Natur, weil sie in eine göttliche Ordnung eingebettet ist.
Der tiefsten Wirkung rings umher.262
»Der tiefsten Wirkung«: Hier wird die gewaltige Kraftentfaltung betont. Es geht um eine Wirkung, die alles durchdringt, die auf unterster, existenzieller Ebene wirkt – nicht bloß oberflächlich oder sichtbar.
»rings umher«: Dieses Adverbial erweitert das Bild in den Raum. Die Wirkung ist nicht lokal begrenzt, sondern allgegenwärtig, global, möglicherweise sogar metaphysisch.
Die »Kette« aus dem Vorvers ist nicht nur eine Verbindung, sondern eine Kraftlinie, die »tief« wirkt, die das Ganze durchdringt. Die Energie der Natur entfaltet eine umfassende, heilige Wirkung – Zeichen einer göttlichen Ordnung, in der selbst das Heftigste Sinn hat.
Zusammenfassend 261-262
Michael preist die unbändige Energie der Natur, die zwar »wüthend« erscheint, aber in eine »Kette« eingebunden ist, deren Wirkung alles durchdringt. Dies unterstreicht Goethes kosmisches Weltbild, in dem Gegensätze – Ordnung und Chaos, Bewegung und Struktur – nicht gegeneinanderstehen, sondern sich ergänzen. Die Natur ist in ihrer gewaltigen Kraft nicht destruktiv, sondern Ausdruck göttlicher Harmonie.
Da flammt ein blitzendes Verheeren263
Der Vers evoziert mit starker Bildhaftigkeit eine Szene gewaltiger Naturkräfte. Das Verb flammen in Verbindung mit blitzendes Verheeren verbindet Feuer und Licht mit Zerstörung.
»flammt« suggeriert ein plötzliches, aufleuchtendes Geschehen – es ist nicht nur hell, sondern auch heiß, leidenschaftlich, gewaltsam.
»blitzendes Verheeren« kombiniert Licht (der Blitz) mit dem Motiv der Vernichtung (Verheeren). Der Ausdruck ist paradox in seiner Schönheit und seinem Schrecken: Zerstörung erscheint hier als ein leuchtendes, fast erhabenes Naturereignis.
Diese Naturgewalt steht nicht in Kontrast zur göttlichen Ordnung, sondern ist Teil ihrer Größe: Das »Verheeren« ist nicht chaotisch, sondern hat seinen Platz im kosmischen Gleichgewicht.
Dem Pfade vor des Donnerschlags.264
Dieser Vers konkretisiert die Szene: »Dem Pfade vor« beschreibt das Vorausgehen, das Vorzeichen, das sich Bahn brechende Moment. Der Blitz (und damit das »Verheeren«) ist Vorläufer des Donners.
»des Donnerschlags« ist die akustische Entladung der Naturgewalt, die dem leuchtenden Blitz folgt.
Die Bewegung des Ganzen — Blitz vor Donner — spiegelt eine Naturgesetzmäßigkeit wider. In der religiös-metaphysischen Lesart Goethes bedeutet das: Selbst zerstörerische Kräfte folgen einem göttlich geordneten Rhythmus.
Zusammenfassend 263-264
Michael ist der Erzengel der Stärke und göttlichen Ordnung in der Schlacht. Seine Worte rühmen nicht nur die Naturgewalt, sondern unterstellen sie der göttlichen Souveränität. Die zerstörerischen Kräfte — Blitz und Donner — sind keine Bedrohung für das Weltganze, sondern Ausdruck göttlicher Macht. In ihrer erhabenen Gewalt zeigen sie die Majestät des Schöpfers.
Das Bild ist zugleich kosmisch und moralisch zu lesen: Auch das Gewaltige, Zerstörerische in der Welt (und später im Drama) steht letztlich unter Gottes Willen und führt nicht aus der Ordnung hinaus. Dies steht im Hintergrund von Goethes Welttheater, in dem auch der Widersacher (Mephisto) seinen Platz hat.
Doch deine Boten, Herr, verehren265
»Doch«: Das Konjunktionaladverb stellt einen Gegensatz oder eine Einschränkung zum Vorherigen dar. Michael bezieht sich auf die Bewegung der Elemente (»Der Blitz der Züge, der Ton der Meere«) und setzt dem etwas entgegen – einen Kontrast zwischen gewaltigen Naturkräften und dem bewussten Dienst der Engel.
»deine Boten«: Damit sind die Engel gemeint – himmlische Wesen, die als Ausführer des göttlichen Willens auftreten. »Boten« betont ihre Funktion als Mittler zwischen Gott und Schöpfung, möglicherweise auch zwischen Gott und Mensch.
»Herr«: Direkte Anrede Gottes. Die Bezeichnung verweist auf die theologische Struktur des Prologs, der stark an das Buch Hiob erinnert, in dem Gott ebenfalls als souveräner Herrscher angeredet wird.
»verehren«: Ein Ausdruck ehrfürchtiger, liebevoller Anerkennung. Im Unterschied zu einem bloßen Gehorchen betont »verehren« eine innerliche Hingabe, die von Einsicht oder Liebe getragen ist. Es geht hier um das »Wollen« im Tun.
Michael beschreibt, wie selbst bei aller gewaltigen Bewegung in der Natur die Engel sich nicht im Machtrausch verlieren, sondern ehrfürchtig und demütig Gott dienen. Das verweist auf eine idealisierte kosmische Ordnung.
Das sanfte Wandeln deines Tags.266
»Das sanfte Wandeln«: Ein poetisches Bild für den gleichmäßigen, ruhigen, harmonischen Ablauf. »Sanft« unterstreicht die Friedlichkeit göttlicher Ordnung. »Wandeln« ist hier als Fortschreiten, Ablaufen zu verstehen, mit einer leichten biblischen Konnotation (»wandeln mit Gott«).
»deines Tags«: Der »Tag« steht für den göttlichen Schöpfungstag, das Wirken Gottes in der Welt, aber auch für den gesamten kosmischen Rhythmus, der unter Gottes Führung steht. Es ist nicht nur ein physischer Tag, sondern ein Symbol für die göttliche Zeitordnung.
Die Engel verehren nicht nur Gott als abstraktes Prinzip, sondern konkret seine Weltordnung – wie sich das göttliche Walten im sanften Ablauf der Zeit, der Natur, der Schöpfung manifestiert. Das betont ein Bild der Harmonie zwischen Macht (zuvor geschildert in Stürmen und Meeren) und Ordnung.
Zusammenfassend 265-266
Michael beschreibt eine kosmische Harmonie, in der selbst die gewaltigen, ungestümen Naturkräfte im Dienste Gottes stehen und von den Engeln nicht als Anlass zu Stolz oder Machtmissbrauch genommen werden. Vielmehr bewirken sie – gerade durch das sanfte Wandeln der göttlichen Ordnung – eine ehrfürchtige, liebevolle Hingabe. Damit stellt Michael ein Ideal göttlicher Weltordnung dar, das im Kontrast zu Mephistos späterem Zynismus steht. Die Verse feiern das Zusammenspiel von Kraft, Ordnung und Hingabe.
Zu Drey.
Der Anblick giebt den Engeln Stärke267
Dieser Vers verweist auf die theologische Vorstellung, dass die Engel ihre Kraft nicht aus sich selbst beziehen, sondern aus der Anschauung Gottes. Der »Anblick« meint die direkte, unverhüllte Schau des Göttlichen – im Sinne der visio beatifica, der seligen Schau, wie sie in der christlichen Mystik überliefert ist.
Die Engel sehen Gott nicht in einem materiellen Sinne, sondern in einer geistigen Tiefe – und diese geistige Schau verleiht ihnen ihre kosmische Wirkkraft.
»Stärke« ist hier nicht physisch gemeint, sondern als metaphysische Kraft: Ordnung, Harmonie, Durchdringung des Weltgeschehens.
Goethe lehnt sich in dieser Formulierung an biblisch-mystische Sprachtraditionen an – insbesondere an die Schriften des Dionysius Areopagita und der mittelalterlichen Angelologie.
Da keiner dich ergründen mag,268
Hier wird ein Gegensatz aufgebaut: Obwohl die Engel Gott anschauen und daraus ihre Kraft beziehen, bleibt er zugleich unergründlich.
»Keiner« meint nicht nur die Engel, sondern auch alle Geschöpfe – kein endliches Wesen kann das Wesen Gottes ergründen, also vollständig erfassen, durchdringen oder begreifen.
»Ergründen« steht im poetisch-metaphysischen Sinn für ein totales Durchdringen des göttlichen Wesens – ein klassisches Thema der Theologie: Gott ist inaccessible in seinem innersten Sein, auch wenn er sich offenbart.
Die Aussage steht somit in der paradoxen Spannung zwischen Nähe (Anblick) und Unzugänglichkeit (Unergründlichkeit). Das entspricht auch Goethes dichterischem Gottesbild: eine höhere Macht, die sich in der Ordnung des Kosmos manifestiert, aber nie restlos definierbar ist.
Zusammenfassend 268-269
Diese beiden Verse fassen zentrale Aspekte einer göttlichen Ordnung zusammen: Die Engel empfangen ihre Kraft durch die kontemplative Nähe zu Gott, zugleich bleibt er ihnen intellektuell und wesenhaft unzugänglich.
Goethe inszeniert hier eine theologisch und metaphysisch hoch aufgeladene Atmosphäre, die an die frühchristliche Kosmologie erinnert, aber zugleich einen poetischen, universellen Ton trägt – ohne konfessionelle Einengung.
Und alle deine hohen Werke269
Dieser Vers ist Teil der Antwort der drei Erzengel (zuletzt Raphael) auf die Rede Gottes. Der Ausdruck »deine hohen Werke« verweist auf die Schöpfung insgesamt, besonders aber auf die himmlischen und kosmischen Ordnungen – etwa Sonne, Erde, Sterne, Naturgewalten, Zeitläufe. »Hoch« signalisiert sowohl die Erhabenheit der Schöpfung als auch deren transzendente Herkunft.
Die Engel anerkennen darin die göttliche Schöpferkraft, ohne Einschränkung, ohne Zweifel – sie stehen ganz in einer theologischen Tradition, die Gottes Tun als vollkommen begreift. Dieser Vers unterstreicht eine Haltung des Lobpreises und des Vertrauens in die göttliche Ordnung.
Sprachlich fällt auf, dass das Personalpronomen »deine« eine direkte Anrede Gottes enthält. Dadurch wird das Gebet bzw. die Hymne unmittelbar und feierlich. Der feierliche Rhythmus (Jambus, fünffüßig) unterstreicht das Hohe und Feierliche der Rede.
Sind herrlich wie am ersten Tag.270
Dieser Vers beschließt die Hymne und enthält eine zentrale theologische Aussage: Die Schöpfung hat nichts an ihrer ursprünglichen Herrlichkeit eingebüßt. »Wie am ersten Tag« ist eine klare Anspielung auf die biblische Schöpfungserzählung in Genesis 1. Dort heißt es mehrfach: »Und Gott sah, dass es gut war.« Die Engel bestätigen, dass diese Güte und Herrlichkeit der Schöpfung fortdauert – unvermindert, ungeachtet aller Veränderungen.
Zugleich bildet der Vers eine Art Refrain, ein wiederkehrendes Motiv im Lobgesang der Erzengel. Er bezieht sich auch auf die zyklische, beständige Ordnung des Kosmos, die trotz aller Bewegung und Energie nicht in Chaos verfällt – ein Gedanke, der auf die antike harmonia mundi verweist.
Semantisch verbindet das Wort »herrlich« die Schönheit der Schöpfung mit der Macht und dem Ruhm Gottes. Es ist ein Wort, das in religiöser und ästhetischer Hinsicht stark aufgeladen ist.
Zusammenfassend 269-270
Diese beiden Verse bringen das zentrale Motiv des Prologs im Himmel auf den Punkt: die Bejahung einer gottgewollten, geordneten und herrlichen Welt. Die Engel sprechen als reine Geister, ohne Zweifel, ohne Kritik, ohne Rebellion. Damit bilden sie einen klaren Kontrast zur Figur des Mephistopheles, der kurz darauf erscheint und die Welt ganz anders sieht: nicht als »herrlich«, sondern als verfehlt, voller Torheit und Irrtum. Goethes göttliches Drama beginnt also mit der Spannung zwischen diesen beiden Sichtweisen – und mit einem Bild der Welt, das ganz auf Ordnung, Schönheit und Beständigkeit setzt.