Jacob Balde
Ehrenpreiß 31
Diß sey Maria dir vertraut
Von Tag zu Tag der Jahren/
Der dir vertrawt/ hat wol gebawt/
Sodales diß erfahren.
In letster Noth vnd bittern Todt/
Bitt/ thue mich nit verwerffen.
Erzaig dein Macht/ vertreib die Nacht/
Wirds jeder wol bedörffen.
Analyse
Jacob Balde, ein barocker Jesuit und Meister der deutschen wie lateinischen Gelegenheits- und Devotionaldichtung, bringt im Ehrenpreiß 31 eine tiefe marianische Frömmigkeit zum Ausdruck, wie sie für die katholische Barockzeit typisch ist.
Diese Strophe ist ein komprimiertes Beispiel barocker Marienfrömmigkeit: Vertrauen, bittende Demut und Todesbewusstsein verschmelzen in dichterischer Form zu einem geistlichen Text, der sowohl dogmatisch verwurzelt als auch seelsorgerlich wirksam ist. Jacob Balde zeigt sich hier als Meister der Vermittlung spiritueller Tiefe mit poetischer Kraft.
Thematik und Frömmigkeitsform
Im Zentrum des Gedichts steht die Vertrauenshingabe an Maria, verbunden mit der Hoffnung auf ihren Beistand „in letzter Not und bittern Tod“. Die Strophe ist Teil eines größeren corpus marianischer Lobpreisungen, bei denen Maria als Fürsprecherin in allen Lebenslagen angerufen wird, insbesondere aber im Angesicht des Todes.
Die Anrufung „Diß sey Maria dir vertraut“ zielt auf eine tägliche Einübung der Hingabe: Maria soll dem Beter „von Tag zu Tag der Jahren“ vertraut bleiben – ein Ausdruck für beständiges Vertrauen im Lauf des Lebens.
Poetische Struktur und barocke Stilmittel
Balde verwendet eine strenge metrische Form mit Kreuzreimen (ababcdcd), was dem Gebet einen meditativen, musikalischen Charakter verleiht. Die Reime sind zugleich kunstvoll und volkstümlich, ein typisches Merkmal barocker Kirchenlieddichtung.
Der Aufbau der Strophe verläuft in zwei Schritten:
1. Vertrauensbekenntnis und Erfahrungsbezug:
„Der dir vertrawt/ hat wol gebawt/ Sodales diß erfahren.“
Hier wird das Vertrauen in Maria mit der Sicherheit des Fundaments eines gut gebauten Hauses verglichen. „Sodales“ (lat. „Gefährten“) – wohl andere Gläubige oder Ordensbrüder – bezeugen dies aus Erfahrung. Der Erfahrungsbeweis verstärkt die rhetorische Überzeugungskraft.
2. Bitte um Beistand im Tod und das Bitten um Machtentfaltung Mariens:
„In letster Noth vnd bittern Todt / Bitt / thue mich nit verwerffen.“
In typisch barocker Todesnähe wird Maria um Annahme im letzten Moment gebeten. Die folgenden Verse intensivieren den Appell:
„Erzaig dein Macht/ vertreib die Nacht/ Wirds jeder wol bedörffen.“
Der Kontrast von „Macht“ und „Nacht“ evoziert Licht-Metaphorik: Maria soll wie eine Lichtgestalt das Dunkel der Todesnacht bannen.
Theologisch-spirituelle Dimension
Die Theologie der Strophe ist marianisch, aber christozentrisch grundiert:
• Maria ist nicht Erlöserin, sondern mächtige Fürsprecherin, ähnlich wie in der lauretanischen Litanei.
• Sie ist „Mutter der Barmherzigkeit“, der man sich in Todesnot anvertraut, da sie den Zugang zu Christus bahnt.
• Die Bitte „thue mich nit verwerffen“ erinnert an biblisch-psalmistische Wendungen (vgl. Ps 51,13: „Verwirf mich nicht von deinem Angesicht“).
Die letzte Zeile universalisiert die Bitte:
„Wirds jeder wol bedörffen.“
Das Bedürfnis nach göttlichem Licht in der Dunkelheit ist nicht individuell, sondern allgemein-menschlich. Hier zeigt sich ein typisch barockes Bewusstsein für die Endlichkeit des Lebens und die Allgegenwart des Todes – und damit die Notwendigkeit eines rettenden Lichtes.
Sprachliche Auffälligkeiten
• Die Formulierung „thue mich nit verwerffen“ (statt „verwirf mich nicht“) zeigt barockes Deutsch mit latinisierten und archaischen Strukturen.
• Die Wortwahl („Noth“, „Todt“, „Macht“, „Nacht“) folgt einer Klangsemantik, die zugleich emotional wie theologisch aufgeladen ist.
• „Erzaig dein Macht“ impliziert: Maria hat eine Macht, aber sie muss sie zeigen – also aktiv einsetzen.