Jacob Balde
Ehrenpreiß 29
Verdambt sey alle Yppigkeit/
Die niemand wol gelungen.
Verspottet der Welt Eytelkeit/
Von der sovil gesungen.
Vnd was für Pfeyl der Lieb in eyl/
Doch nit von Himmel gschossen/
So viln das Hertz in bitterm schertz/
Mit süssem Gifft abgstossen.
Analyse
Jacob Baldes Gedicht Ehrenpreiß 29 (aus seiner Sammlung „Geistliche Poemata“) steht exemplarisch für die barocke Dichtungstradition, in der Vanitas-Motivik, antithetisches Denken und religiöse Reflexion eng miteinander verwoben sind.
Eine barocke Miniatur des moralisch-religiösen Welturteils: In dichter Sprache, mit hohem rhetorischem Anspruch und klarer theologischer Zielsetzung wird die sinnliche, weltliche Liebe als süß getarnte Gefahr denunziert. Die Verse mahnen zur inneren Umkehr und zeigen die Vergänglichkeit allen äußeren Glanzes auf – im Dienste einer Spiritualität, die das Ewige über das Zeitliche stellt.
Thematik und Aussage
Das Gedicht ist ein scharfer Angriff auf die Weltlichkeit, insbesondere auf die Yppigkeit (Pracht, Prunksucht) und Eitelkeit (leerer Schein) der Welt. Balde verwirft die äußere Schönheit, das Vergnügen und den sinnlichen Reiz als trügerisch und seelengefährdend. Die zentrale Botschaft ist: Weltliche Liebe und Schönheit führen zur Täuschung, zum geistigen Schaden, nicht zum Heil.
Die Liebespfeile, die das Herz treffen, stammen nicht vom Himmel, sind also nicht göttlich legitimiert, sondern Ausdruck eines sündhaften Begehrens. Der vermeintlich süße Reiz weltlicher Liebe enthält in Wahrheit „süssen Gifft“, der das Herz in „bitterm schertz“ verletzt – ein klassischer barocker Antithetismus zwischen Schein und Sein, Lust und Leid, Süße und Bitterkeit.
Form und Stil
Das Gedicht besteht aus acht gereimten Versen, vermutlich in vierhebigen Jamben (typisch für Baldes Strophenform), mit einem Kreuzreim (ab ab cd cd). Diese einfache Reimform kontrastiert mit der inhaltlichen Dichte und Schärfe.
Die Strophenstruktur reflektiert die Bewegung von Ablehnung (1–2) über Spott (3–4) hin zu einer allegorischen Entlarvung (5–8): Das Gedicht entlarvt den Mechanismus der Verführung und enthüllt seine verderbliche Wirkung auf das Herz.
Sprachlich-rhetorische Mittel
Verdammung (V.1): „Verdambt sey alle Yppigkeit“ ist ein aggressiver Einstieg; das Verb „verdambt“ evoziert apokalyptische und richterliche Sprache.
Personifikation: Die „Yppigkeit“ und „Eytelkeit“ erscheinen als personifizierte, zu verspottende Mächte.
Antithese: Das zentrale Motiv der Täuschung durch Gegensatz – z. B. „süssem Gifft“ und „bitterm schertz“ – betont die verkehrte Weltlichkeit.
Metaphorik der Liebe als Waffe: Der Pfeil der Liebe, der „in Eyl“ (also plötzlich und unbedacht) trifft, ist ein Trugbild des göttlichen Eros, eine Umkehrung des platonisch-christlichen Ideals.
Alliteration und Klang: „Pfeil der Lieb in Eyl“ verstärkt durch Lautmalerei das Gefühl von Geschwindigkeit, Unbedachtheit und Gefahr.
Enjambements und Inversionen (v. a. in den letzten vier Versen) spiegeln eine gewisse Unruhe, vielleicht auch die seelische Verwirrung, die durch diese falsche Liebe entsteht.
Philosophisch-theologischer Gehalt
Balde, ein Jesuit, steht in der Tradition der barocken Gegenreformation. Seine Dichtung zielt auf moralische Belehrung und seelische Läuterung. In diesem Text:
• Die Verwerfung der Yppigkeit ist eine Ablehnung von luxuria, einer der sieben Todsünden. Die Kritik richtet sich gegen ein Leben, das sich auf Schönheit, Genuss und äußeren Glanz konzentriert.
• Die „Lieb“, die nicht von „Himmel gschossen“, ist nicht agape, sondern eros im entarteten Sinn – also eine Liebe, die sich nicht auf Gott richtet, sondern auf vergängliche Schönheiten.
• Die täuschende Süße weltlicher Begierden wird zur Metapher für die Gefahr der Verführung und des Seelenverlusts.
• Diese Gedanken wurzeln tief in der vanitas-Tradition, die im Dreißigjährigen Krieg (Balde lebte 1604–1668) durch die massive Präsenz von Tod, Elend und Vergänglichkeit bestärkt wurde. Das Gedicht ist somit auch Ausdruck einer existentiellen Krise und einer Suche nach Beständigkeit im Göttlichen.