Ehrenpreiß 28

Jacob Balde

Ehrenpreiß 28

Hindan mit dir O Menschen gstalt/
In Milch vnd Blut gewaschen/
Die letstlich welck wird vnd veralt
Zu lauter Staub vnd Aschen:
Besonders die in falscher blüe
Jhr Schönheit nur erdichten:
Ohn Kunst vnd Oel/ nur Wasser gmäl/
Vnd drauff bald gar zu nichten.

Analyse

Jacob Baldes Epigramm „Ehrenpreiß 28“ ist ein typisches Beispiel barocker Vanitas-Dichtung: es kombiniert beißende Kritik an menschlicher Eitelkeit mit einem metaphysischen Realismus, der die Vergänglichkeit alles Irdischen betont. Die Strophenform, der Sprachduktus und die Bildwahl dienen diesem Ziel in dichterischer Verdichtung.
Ein meisterhaftes Beispiel barocker Vanitas-Lyrik: formal streng, sprachlich pointiert, inhaltlich durchdrungen von theologischer Ernsthaftigkeit und sarkastischer Menschenkritik. Balde verurteilt die Selbsttäuschung und Eitelkeit einer Gesellschaft, die sich Schönheit ohne Substanz aneignet – und ruft zur Erinnerung an das ewige Maß: die Vergänglichkeit des Leibes und die Nichtigkeit alles Irdischen.

Form und Sprache

Die achtzeilige Strophe folgt dem barocken Alexandrinerstil: alternierende Hebungen, oft mit Zäsur in der Mitte, was dem Text eine klare rhythmische Struktur gibt. Der Reim folgt einem durchgehenden Kreuzreimschema (ab ab cd cd), was eine formale Strenge unterstreicht – passend zum moralisch-didaktischen Inhalt.
Der Sprachduktus ist typisch für die Zeit: kunstvoll, bildreich, aber durchdrungen von einem polemischen, geradezu sarkastischen Ton. Die Sprache mischt biblische und alchemistische Konnotationen (z. B. "Milch und Blut", "Kunst und Öl") mit Alltagssprache ("nur Wasser gmäl").

Theologische und anthropologische Perspektive

Der Text beginnt mit einem Abgesang auf die menschliche Gestalt („Hindan mit dir, O Menschen gstalt“), der bewusst anklagend klingt. Die „Menschen-Gestalt“ wird nicht als Krone der Schöpfung, sondern als vergängliches, trügerisches Bild gezeichnet. Der Mensch sei „in Milch und Blut gewaschen“ – eine Doppeldeutigkeit: einerseits Hinweis auf Geburt und Leben im Fleischlichen, andererseits eine Anspielung auf die Taufe und christliche Reinigung. Doch diese „Waschung“ ist offenbar wertlos, denn am Ende bleibt nur „Staub und Aschen“ – eine direkte Referenz an Genesis 3,19: „Denn du bist Staub und zum Staub kehrst du zurück.“
Es handelt sich um eine barocke Anthropologie der Nichtigkeit: der Mensch, besonders derjenige, der sich an äußere Schönheit klammert („in falscher Blüe“), ist Selbstbetrüger. Die äußere Schönheit wird als „erdichtet“ bezeichnet – nicht nur im Sinne von erfunden, sondern auch dichterisch-künstlich: ohne Substanz, eine reine Illusion.

Kritik der Eitelkeit

„Ohn Kunst vnd Oel / nur Wasser gmäl“
Ein drastisches Bild: Die Menschen schminken sich ohne wahre Kunst, ohne „Öl“ – ein Bild, das auf Salbung und Verklärung verweist, also göttliche Substanz. Stattdessen verwenden sie nur „Wasser“ – das Symbol für Oberflächlichkeit und Vergänglichkeit. Das Bild des „nur Wasser gmäl“ (also: Wasserfarben-Malerei) evoziert das rasche Verblassen, das Ineinanderlaufen und die Auflösung des Bildes – ein klarer Vanitas-Marker.
Das Gedicht endet folgerichtig:
„vnd drauff bald gar zu nichten.“
Nicht einmal mehr „Asche“ bleibt: Das schönheitsverliebte Ich, das sich selbst zum Bild macht, zerfällt vollkommen – eine radikale Verneinung jedes irdischen Anspruchs auf Dauer oder Substanz.

Poetologisch und kunsttheoretisch

Balde reflektiert hier auch über Kunst selbst – genauer über die trügerische Kunst des Selbstbildes. In der Polemik gegen „erdichtete Schönheit“ und „Wasser-Gemäl“ liegt eine Warnung an die Dichtung und Malerei der Zeit: Kunst, die nicht auf Wahrheit oder göttliche Ordnung verweist, sondern nur äußere Form nachahmt, ist Lüge und vergeht.
Diese Haltung steht im Einklang mit der barocken Vorstellung von ars moriendi und der Notwendigkeit, das Leben im Lichte des Todes zu sehen. Die echte Kunst ist die, die auf Ewiges verweist, nicht auf flüchtige Schönheit.

Vergleich mit zeitgenössischen Autoren

Jacob Balde steht hier in direkter Nachbarschaft zu Andreas Gryphius, insbesondere in Gedichten wie Es ist alles eitel. Beide teilen die Perspektive einer Welt voller Illusionen, die durch Tod und Vergänglichkeit entlarvt wird.
Ein anderer Vergleichspunkt ist Angelus Silesius, der allerdings stärker mystisch denkt: Während Silesius die Vergänglichkeit in eine apophatische Theologie überführt („Staub, Asche, nichts – und doch in Gott“), bleibt Balde im moralischen und sarkastischen Ton: Der Mensch ist „zu nichten“ – und das ist Strafe, nicht Gnade.

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