Jacob Balde
Ehrenpreiß 26
Ich greiff zum End/ laß allgemach
(Ade) die Sayten lauffen.
Der weiter will/ thü zu der Sach/
Laß auch ein Harpffen kauffen.
Schlag selber auff/ nur wacker drauff/
Vnd laß den lieb Gott walten.
Maria schon/ der beste Thon
Steht vnd verbleibt im alten.
Analyse
Jacob Baldes „Ehrenpreiß 26“ ist ein poetisch-musikalisches Schlussstück, das mit geistiger Tiefe, ironischer Eleganz und barocker Formkunst spielt. Der Text gehört zum Zyklus Ehrenpreiß der heiligen Maria, einem umfangreichen Lobgedicht auf die Gottesmutter, das Balde 1643 verfasste. Die 26. Strophe oder Canto stellt eine Art „Abgesang“ oder Abschluss dar – ein poetisches Vale, zugleich persönlich und theologisch.
Ein kunstvoll komponierter poetischer Schlussakkord – musikalisch, ironisch und tief religiös. Der Text reflektiert das Ende eines dichterischen Werkes, übergibt die Verantwortung an neue Stimmen, ruft zum Vertrauen auf Gott auf und vergewissert sich zugleich der bleibenden Größe Mariens. Balde vereint in wenigen Zeilen das barocke Bewusstsein von Kunst, Frömmigkeit und Endlichkeit – in einem letzten, klaren „Ton“, der noch lange nachklingt.
Aufbau und Form
Das Gedicht ist in acht Verszeilen aufgebaut, wobei die Reimstruktur durchgehend paarweise erfolgt (aabbccdd). Der Ton ist leicht, beinahe lakonisch, dabei aber durchdrungen von tiefer religiöser Ernsthaftigkeit und einem typisch barocken Sinn für Vanitas, Endlichkeit – sowie dem humorvollen Spiel mit Form und Rolle.
Inhaltliche Interpretation
„Ich greiff zum End / laß allgemach (Ade) die Sayten lauffen“
Der Sprecher kündigt an, dass er nun zum Ende kommt – sowohl im dichterischen Sinn („greiff zum End“) als auch musikalisch, metaphorisch durch das „Laufenlassen der Saiten“ (einer Harfe oder Laute). Die Parenthese „(Ade)“ markiert bewusst das Abschiedsmotiv – ein Vale, das gleichzeitig die letzte Note im Gedicht setzt.
„Der weiter will / thü zu der Sach / Laß auch ein Harpffen kauffen“
Dies ist ein Aufruf an künftige Dichter oder Leser: Wer das Lob Mariens fortsetzen will, der möge sich ein Instrument (eine Harfe) beschaffen und selbst weiterspielen. Der ironisch-direkte Ton („thü zu der Sach“) entlässt den Leser nicht in Ehrfurcht, sondern in Handlung – mit einem leichten Augenzwinkern: Mach du doch weiter, wenn dir noch was einfällt.
„Schlag selber auff / nur wacker drauff / Vnd laß den lieb Gott walten“
Der Imperativ verstärkt sich: Schlag selbst die Harfe an, sei mutig, vertraue auf Gott. Der Spruch „Laß den lieb Gott walten“ war im Barock ein geflügeltes Wort, Ausdruck lutherisch geprägter Frömmigkeit, aber auch typisch für Baldes katholische Offenheit gegenüber Volksfrömmigkeit. Gott regiert – auch über das dichterische Tun.
„Maria schon / der beste Thon / Steht vnd verbleibt im alten“
Das Gedicht endet in einem stabilisierenden Schlussakkord: Maria bleibt, sie ist „der beste Ton“, das schönste Lied – und das bleibe auch so. Damit wird deutlich, dass alles Dichten letztlich nur Annäherung ist. Maria steht jenseits des dichterischen Spiels in einer unverrückbaren Heilsstellung. Auch wenn das Harfenspiel endet: ihr Lob bleibt.
Theologische Dimension
Baldes Lob Mariens ist typisch barock-katholisch, verwurzelt in der Gegenreformation und einer Ästhetik der Heilsvermittlung durch Schönheit und Kunst. Maria ist das Ziel der poetischen Bewegung, aber auch deren Maß. In dieser letzten Strophe wird deutlich: der Dichter tritt zurück – Maria bleibt. Die individuelle Stimme verstummt, aber der „beste Ton“ bleibt erhalten, quasi ewig (verbleibt im alten – d.h. im „alten Klang“, im bewährten, überzeitlichen Lobpreis).
Poetologische Selbstreflexion
Der Text ist zugleich ein metapoetisches Gedicht – Balde spricht über die Bedingungen des Dichtens selbst:
• Instrumentalität des Schreibens (Harfe = Dichtung)
• Übergabe des Werkzeugs an den Nachfolger
• Bewusstsein der eigenen Endlichkeit
• Demut gegenüber dem göttlichen Ursprung der Schönheit
• Es zeigt sich eine Barockspannung zwischen Vergänglichkeit (Abschied, Verstummen) und Dauer (Maria bleibt, der „beste Ton“ klingt fort). In der Poetologie Baldes steht Maria auch für das Ideal der perfekten Sprache, der unerschöpflichen Inspiration.
Stilistische Mittel
Ironischer Imperativ („Laß auch ein Harpffen kauffen“) – humorvoll, aber ernst gemeint
Metapher der Harfe – Symbol für Dichtung, Musik, göttliche Harmonie
Alliteration („lieb Gott walten“) – fördert den sanglichen Ton
Antithetik von Individuum (Dichter) und Ewigkeit (Maria)
Parenthese (Ade) – zeigt bewusste Selbstinszenierung des Endes