Jacob Balde
Ehrenpreiß 22
Ein Paradeyß hat disen Ruhm/
Ein Garten der beschlossen.
In dem ein wundersame Blum
Iesse, Iesvs entsprossen.
Wanns gliebt muß seyn/ so lieb was fein
Was löblich zubegehren;
Was seligklich/ was adelich/
Herbracht mit allen ehren.
Analyse
Jacob Balde (1604–1668), ein deutscher Jesuit und Barockdichter, verfasst in seinem Gedicht Ehrenpreiß 22 eine mystisch-theologische Lobpreisung Mariens, die auf dichterisch dichte Weise mariologische, christologische und symbolische Ebenen miteinander verknüpft. Die Strophe entfaltet sich wie ein dichterisches Reliquiar, in dem sich Gartenmotivik, Hohelied-Resonanzen und christologische Dogmatik verdichten.
Eine dichte barocke Meditation über die Jungfrau Maria, die in symbolisch aufgeladener Sprache als Paradiesgarten dargestellt wird, aus dem Christus – die Blume Jesse – hervorgeht. Der Text bewegt sich auf mehreren Ebenen: biblisch-allegorisch, theologisch-dogmatisch, poetisch-symbolisch. Dabei entfaltet sich ein marianisches Ideal, das sowohl Schönheit, Reinheit, Auserwähltheit als auch metaphysische Würde umfasst – mit einem Ziel: die Ehre jener hervorzuheben, die zur „Mutter Gottes“ erwählt wurde.
I. Inhaltliche Deutung
Das Gedicht beginnt mit einem Vergleich Mariens mit einem Paradiesgarten:
"Ein Paradeyß hat disen Ruhm / Ein Garten der beschlossen."
Dies ist eine klare Anspielung auf das Hohelied 4,12: "Ein verschlossener Garten ist meine Schwester Braut". Der „beschlossene Garten“ wird traditionell in der christlichen Exegese als Symbol für Maria verstanden: ihre Jungfräulichkeit, ihre Reinheit, ihr Rückbezug auf das verlorene Paradies, das durch sie – als neue Eva – in Christus wieder aufgeschlossen wird.
Christologisch-mystische Symbolik
"In dem ein wundersame Blum / Iesse, Iesvs entsprossen."
Hier wird Maria nicht nur als Garten beschrieben, sondern als Heilsgarten, in dem eine wundersame Blume, Jesus, aufgeht. Die Metapher der „Blume Jesse“ verweist auf Jesaja 11,1: "Ein Reis wird hervorgehen aus dem Stamm Isais, eine Blume aus seiner Wurzel wird aufgehen."
• Die alttestamentliche Verheißung wird christologisch gedeutet: Jesus, der Messias, ist die „Blume“, die aus dem Stammbaum Davids entspringt – jedoch nicht direkt aus einem königlichen Haus, sondern aus dem „Garten“ einer demütigen Magd. Dieses Bild ist in der marianischen Dichtung (z. B. bei Angelus Silesius, später auch bei Novalis) weit verbreitet.
Qualitäten Mariens als Mutter Christi
"Wanns gliebt muß seyn/ so lieb was fein / Was löblich zubegehren;"
Diese Zeilen setzen ein ästhetisch-ethisches Ideal: Was Gott liebt („gliebt“) muss notwendig alles vereinen, was edel, fein, lobenswert und begehrenswert ist. Balde argumentiert hier nach dem Muster eines Anselm'schen Necessitätsbeweises: Da Gott sich eine Mutter wählt, muss diese in sich das vollkommenste Ideal verkörpern. Maria wird so zum Inbegriff von Schönheit, Tugend, Adel – sie ist die conditio perfecta für die Menschwerdung Gottes.
Aufstieg ins Transzendente
"Was seligklich/ was adelich/ / Herbracht mit allen ehren."
Hier kulminiert das Gedicht in einer himmlischen Dimension: Maria wird nicht nur als irdisch edel und begehrenswert, sondern auch als selig, also heilig und übernatürlich ausgezeichnet dargestellt. Die Verbindung von „seligklich“ und „adelich“ verweist auf die doppelte Natur ihrer Würde: sie ist sowohl von göttlicher Gnade als auch von menschlichem Adel (im idealen, nicht genealogischen Sinne) erfüllt.
Sprachlich-formale Aspekte
Barocke Sprachverdichtung: Balde komprimiert theologische, poetische und symbolische Gehalte in dichterischen Bildern. Die Bildsprache ist mehrschichtig, von Bibelzitaten durchwirkt und typologisch lesbar.
Lexikalisch-archaisierende Form: Wörter wie gliebt, zubegehren, seligklich oder herbracht reflektieren einen bewusst feierlich-hohen Stil, der dem Lobpreischarakter des Textes entspricht.
Rhythmus und Klang: Die regelmäßige alternierende Struktur verleiht dem Text einen gesanglichen Charakter – man kann den Text als ein geistliches Lied auffassen.
Theologische Relevanz
Balde schreibt in einer Tradition, die auf die marianische Frömmigkeit der Gegenreformation reagiert. In seinem Jesuitenmilieu ist Maria nicht nur Objekt der Verehrung, sondern theologisches Zentrum des Inkarnationsgeheimnisses: Sie ist der Ort, an dem Gott Mensch wird, der „hortus conclusus“, in dem das verlorene Paradies wieder aufblüht.