Ehrenpreiß 20

Jacob Balde

Ehrenpreiß 20

O Fürsten Tochter/ O wie schön
Seynd deine Schritt/ ders zehlet:
Was für ein Festtag wirdt begehn/
Dem du einmal vermählet.
Dein Bräutigam wird bey dem Lamb
Ein anders Gsänglein stimmen:
In lauter Freud vnd Süssigkeit
Gleich wie ein Meerfisch schwimmen.

Analyse

Jacob Baldes Epigramm „Ehrenpreiß 20“ ist ein kurzer, dichter Text aus seiner barocken Mystik und Liebeslyrik, der sich stark an biblisch-allegorischer Sprache orientiert. Die Verse stehen in der Tradition der geistlichen Braut-Mystik und der barocken Lobdichtung.
Ein hochkonzentrierter mystischer Text in barocker Sprache, der die Schönheit und Berufung der Seele in einem geistlichen Hochzeitsbild entfaltet. In der Spannung zwischen Zeit und Ewigkeit, Sichtbarem und Unsichtbarem, wandelt sich die Braut (die Seele) zur himmlischen Geliebten Christi. Der Text feiert diesen Prozess mit sinnlicher Sprache, dichter Symbolik und einer überströmenden Freude, wie sie der barocken Frömmigkeit eigen ist.

Inhaltliche Deutung

Adressatin: „Fürsten Tochter“
Die Anrede „O Fürsten Tochter“ verweist auf die biblische Sprache des Hohenliedes (z. B. Hld 7,2: „Wie schön sind deine Schritte in den Schuhen, du Fürstentochter!“). Gemeint ist die Seele, oft allegorisch als Braut Christi dargestellt, aber auch die Kirche als Kollektivsubjekt der Erlösung.
• Schönheit der Schritte – Bild der Anmut und Tugend
„O wie schön / Seynd deine Schritt / ders zehlet“
Die Schönheit der Schritte wird bewundert – ein klassisches Topos des Hoheliedes, das nicht auf körperliche, sondern auf geistliche Anmut verweist: Die Schritte sind Symbol für das sittliche Leben, den Weg der Tugend und Heiligkeit, den die Braut/Seele geht. „Ders zehlet“ könnte sowohl heißen: „der sie zählt“ – also Gott oder der Bräutigam – als auch: „dessen man sie zählt“ – ihre Zählbarkeit als Zeichen ihrer Bedeutsamkeit. Es ist eine poetische Art zu sagen: „Dein Lebensweg ist kostbar.“
• Die Vermählung – eschatologisches Bild
„Was für ein Festtag wirdt begehn / Dem du einmal vermählet.“
Hier kündigt sich das Ziel der Brautmystik an: die Hochzeit der Seele mit Christus. Diese Hochzeit ist nicht diesseitig, sondern verweist auf die eschatologische Vollendung – das himmlische Hochzeitsmahl (vgl. Offb 19,7: „Lasst uns freuen und fröhlich sein \[…] denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen“).
• Christus als Bräutigam – himmlisches Fest
„Dein Bräutigam wird bey dem Lamb / Ein anders Gsänglein stimmen“
Das Bild des Bräutigams ist erneut christologisch zu deuten – Christus stimmt ein „anderes Gesänglein“, also ein neues, himmlisches Lied. Die Nähe zu Offenbarung 14,3 („Und sie sangen wie ein neues Lied vor dem Thron“) ist offensichtlich. Das „Lamb“ (Lamm) ist eindeutig das Lamm Gottes – das geopferte und verherrlichte Christuslamm.
• Zustand der Seele – ekstatische Freude
„In lauter Freud vnd Süssigkeit / Gleich wie ein Meerfisch schwimmen.“
Hier kulminiert das Bild der Vereinigung in barocker Ekstase: Die Seele geht in Freude und Seligkeit unter, wie ein Fisch im Wasser. Das Schwimmen steht für völlige Durchdringung, natürliche Bewegung, mühelose Hingabe. Die Seligkeit ist nicht nur abstrakt, sondern sinnlich erfahrbar: Freud und Süßigkeit – Begriffspaare, die auch bei Angelus Silesius oder Johannes vom Kreuz auftreten.

Theologische und mystische Perspektive

Brautmystik und Heilsziel
Der Text steht in der Linie der christlichen Brautmystik (Bernhard von Clairvaux, Mechthild von Magdeburg), in der die Liebesbeziehung zwischen Gott und der Seele allegorisch als Brautwerbung dargestellt wird. Bei Balde ist diese Braut nicht passiv, sondern geht Schritte, wird geschmückt, ist aktiv im Weg der Heiligung.
Eschatologie und Eucharistie
Die Hochzeit „bey dem Lamb“ verweist nicht nur auf das Endgericht, sondern auch auf die Eucharistie als Vorgeschmack der himmlischen Hochzeit. Das neue Lied Christi ist das Lob der Erlösten. Die Einheit mit Christus ist Ziel und Vollendung – das Schwimmen in göttlicher Süße ein klassisches Bild mystischer Einung.

Poetisch-stilistische Mittel

Barocke Sprachbilder
Metaphorik: Die Schritte, das Hochzeitsfest, das neue Lied, das Meer – alles sind klassische Symbole.
Klang und Rhythmus: Die alternierenden vierhebigen Verse und Endreime erzeugen einen fließenden, hymnischen Ton. Dies unterstützt das Motiv des „Schwimmens“.
Hyperbolik: „Lauter Freud und Süssigkeit“ ist typisch barocke Überhöhung.
Synästhesie: Süße wird hörbar gemacht („Gesänglein“) und fühlbar als Zustand.

Vergleichende Hinweise

Ein Vergleich mit anderen Mystikern zeigt Verwandtschaften:
Angelus Silesius: Auch er spricht von der Seele als Braut, vom „Schwimmen“ in Gott (vgl. Cherubinischer Wandersmann).
Meister Eckhart: Die Seele muss leer werden, damit Gott sie erfüllt – bei Balde ist diese Leere gefüllt mit Süßigkeit.
Johannes vom Kreuz: „Lied der geistlichen Liebe“ – ähnliche Bildlichkeit von Hochzeit, Gesang, Freude.

Dieser Beitrag wurde unter Lyrik abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert