Ehrenpreiß 19

Jacob Balde

Ehrenpreiß 19

Gantz Thonnen Sonnen seynd in dir/
Gantz Million voll Thonnen.
O köstlich außerwöhltes Gschirr/
In der all Klarheit wohnen.
Wol jnnerlich vnd äusserlich/
Hat dich die Zier vmbfangen:
Bist vber all hoch Berg vnd Thal/
Von Libano außgangen.

Analyse

Jacob Baldes Ehrenpreiß 19 ist ein barocker Lobgesang, in dem die exaltierte Sprache, überquellende Bildlichkeit und die tiefe religiöse Symbolik zentrale Rollen spielen.
Ein sprachgewaltiger Hymnus auf Maria, die in barocker Überhöhung zur Trägerin göttlichen Lichts und zur Erfüllung alttestamentlicher Verheißung wird. Die Fülle an Licht- und Naturmetaphern, kombiniert mit einer tiefen theologischen Symbolik, zeigt Balde als Meister barocker Devotionslyrik, in der das Sinnliche und das Geistige, das Überwältigende und das Demütige miteinander verschmolzen sind.

Form und Sprache

Der Text besteht aus zwei Quartetten mit Kreuzreim und ist typisch für den Barock durch seine überbordende Metaphorik, emphatische Wortwahl und die Verwendung religiöser Hochsprache geprägt. Die Kapitalisierung betont Substantive und verleiht den Aussagen ein sakrales Gewicht. Die häufige Verwendung von Superlativen („Gantz“, „Million voll“) dient der Verherrlichung des lyrischen Gegenstandes – höchstwahrscheinlich Maria, die Gottesmutter, wie es sich aus dem Kontext des „Ehrenpreiß“ (ein Marienlob) erschließen lässt.

Inhaltliche Interpretation

„Gantz Thonnen Sonnen seynd in dir / Gantz Million voll Thonnen.“
Die Hyperbel „Million voll Thonnen Sonnen“ stellt ein barockes Sinnbild für eine überirdische Fülle an Licht und Herrlichkeit dar. „Thonnen Sonnen“ verweist auf strahlende, göttliche Präsenz. In der Theologie ist Licht Sinnbild für Erkenntnis, Reinheit und göttliches Wesen – hier wird die besungene Figur (vermutlich Maria) als Trägerin aller Klarheit und Offenbarung gepriesen. Die „Million“ steht für unendliche Fülle, die Wiederholung von „Gantz“ unterstreicht die Allfülle der Gnade.
„O köstlich außerwöhltes Gschirr / In der all Klarheit wohnen.“
Die Metapher des „Gschirrs“ (Gefäßes) ist biblisch grundiert (vgl. 2 Tim 2,21 oder Röm 9,21) und verweist auf Maria als vas honorabile, das „ehrwürdige Gefäß“. Sie ist das Medium, durch das göttliche Klarheit, das lux divina, in die Welt kommt. Die Klarheit ist nicht nur äußerlich, sondern „wohnt“ in ihr – das deutet auf eine innere, substantielle Heiligkeit.
„Wol jnnerlich vnd äusserlich / Hat dich die Zier vmbfangen:“
Hier wird die barocke Vorstellung der Einheit von innerer und äußerer Schönheit zum Ausdruck gebracht – eine an Augustinus und Bernhard von Clairvaux erinnernde Anthropologie, bei der äußere Schönheit aus der inneren Reinheit hervorgeht. Die „Zier“ ist ein Ausdruck der Gnade, die sich auf den ganzen Menschen legt.
„Bist vber all hoch Berg vnd Thal / Von Libano außgangen.“
Das Bild von „Berg und Thal“ erinnert an das Hohelied, insbesondere an die dortigen Naturbilder, mit denen die Braut geschmückt wird. Die „Libano“-Metapher ist klassisch mariologisch: Maria wird im Hohelied 4,8 mit dem Libanon verglichen („Komm herab vom Libanon, meine Braut“). Der Libanon steht für Reinheit, Höhe, Fruchtbarkeit und ist Sinnbild der unvergleichlichen Erhabenheit. Aus ihm „auszugehen“ bedeutet, aus einem erhabenen Ursprung hervorgegangen zu sein.

Theologische Dimension

Das Gedicht rückt Maria in das Zentrum der Betrachtung als übernatürlich erleuchtetes und erleuchtendes Wesen. Die Verbindung von barocker Wortkunst mit tiefer marianischer Theologie macht sie zum Spiegelbild göttlicher Herrlichkeit. Sie wird als mater dei gefeiert, aber auch als vollkommenes menschliches Geschöpf, das alle Gegensätze (innen/außen, Natur/Gnade, Hoch/Tief) in sich versöhnt. In ihr begegnet das Endliche dem Unendlichen.

Poetische Mittel und Stilistik

Hyperbel: Die „Million voll Thonnen Sonnen“ sprengt jedes Maß – ein typisches Stilmittel barocker Ekstase.
Symbolik: Licht, Klarheit, Gefäß – zentrale Symbole für Reinheit, Erkenntnis, Erwählung.
Kontraste: „hoch Berg vnd Thal“ unterstreicht die Überlegenheit über Gegensätze, Maria ist über alle topographischen und symbolischen Extreme erhaben.
Typologische Anspielungen: Libanon, Zier, Klarheit – eine dichte Bezugnahme auf alttestamentliche Bilder und deren christologische bzw. mariologische Auslegung.

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