Ehrenpreiß 17

Jacob Balde

Ehrenpreiß 17

Der Mon all Monat hat sein gnants
Von seiner lieben Sonnen/
Vnd mehrers nit/ dann all sein Glantz
Quellt her auß disem Bronnen.
Hat er sein maists Liecht auffzöhrt/ haißts/
Sparmundus halt darzwischen;
Biß widerumb die Sonne kumb;
Die muß die Fleck abwischen.

Analyse

Jacob Baldes "Ehrenpreiß 17" ist ein emblematisches Beispiel barocker Dichtung, das in dichterischer Form ein kosmologisches, allegorisch-theologisches Bild entwirft. Die Verse beschreiben das Verhältnis von Mond und Sonne, jedoch nicht in bloßer astronomischer Perspektive, sondern im Sinne einer geistlichen Metapher, die tiefe anthropologische, mystische und christologische Bedeutungen aufruft.
Jacob Balde stellt in diesem Gedicht den barocken Kosmos als ein spiegelndes Abbild geistlicher Wahrheit dar: Der Mensch ist wie der Mond – empfangend, abhängig, leuchtend nur durch das Licht Christi. Jede Dunkelheit, jede Abkehr ist letztlich eingebunden in eine heilsgeschichtliche Dynamik der Wiederkehr und Reinigung. Damit vermittelt das Gedicht eine tiefe tröstliche Hoffnung: Die göttliche Sonne kehrt wieder. Und mit ihr wird das „Fleck“ – das Dunkel, das Makel – „abgewischt“.
Der „Ehrenpreiß“ gilt somit Christus – dem Lichtquell – und der geistlichen Ordnung der Gnade.

Wörtliche Ebene

Der Text beschreibt den Mond als einen Himmelskörper, der sein Licht nicht aus sich selbst, sondern von der Sonne empfängt:
„Der Mon all Monat hat sein gnants / Von seiner lieben Sonnen“
• Der Mond erhält sein ganzes Licht (gnants = Gnaden, Glanz) von der Sonne.
• Das Bild wird konsequent durchgezogen:
„Vnd mehrers nit/ dann all sein Glantz / Quellt her auß disem Bronnen“
• Er hat nichts Eigenes, sein ganzer Glanz „quillt“ (entspringt) aus dieser Quelle.
• Die Beschreibung, wie der Mond in seiner vollen Phase sein „meist Liecht“ aufgehört habe und sich dann „Sparmundus“ dazwischenstellt (also wohl ein „Sparmodus“ – eine Art Verfinsterung oder Abstinenz), evoziert die monatliche Wandlung des Mondes von Fülle zur Finsternis. Doch dann heißt es:
„Biß widerumb die Sonne kumb; / Die muß die Fleck abwischen.“
• Sobald die Sonne wiederkommt, wird das Dunkel aufgehoben, das Licht kehrt zurück.

Theologisch-symbolische Deutung

Diese kosmische Dynamik dient Balde als Allegorie für das Verhältnis zwischen der menschlichen Seele und Gott:
• Die Sonne steht in der barocken und mittelalterlichen Allegorik traditionell für Christus, das göttliche Licht, die Quelle allen Lebens und aller Erkenntnis.
• Der Mond ist Bild für den Menschen oder auch für die Kirche, die „wie der Mond“ das göttliche Licht empfängt und widerspiegelt, jedoch nichts aus sich selbst hat.
• Die Wendung „mehrers nit“ betont den Gnadencharakter allen Seins – der Mensch hat nichts Eigenes, alles ist „Gabe“. Dies steht ganz im Geiste einer augustinisch-thomistischen Anthropologie, in der das Geschöpfliche immer auf das Schöpferische verweist.
• Die Finsternis, die zwischenzeitlich eintritt, verweist auf die zeitweise Abwesenheit der göttlichen Gnade oder auf eine spirituelle Dürrezeit (evtl. auch auf Sünde oder Trübung des Gottesverhältnisses). Doch dieses Dunkel ist nicht endgültig, denn:
„Die \[Sonne] muß die Fleck abwischen“
• Christus bringt Reinigung, Erneuerung, Wiederherstellung.

Mystische Tiefenschicht

Im Sinne christlicher mystischer Erfahrung (z. B. bei Johannes vom Kreuz oder Meister Eckhart) kann die vorübergehende Finsternis als „dunkle Nacht der Seele“ gedeutet werden. Der Mensch wird seiner Lichtquelle entzogen, damit er sich reinigend vertiefe, nur um später das Licht umso reiner zu empfangen.
Der Ausdruck „Sparmundus“ könnte – in typischer barocker Wortprägung – auch eine Art geistige Reserve bedeuten: ein Moment des Sich-Zurückziehens, der Demut, der Askese.

Sprachlich-poetische Mittel

Antithetik: Licht – Finsternis, Fülle – Mangel, Quelle – Empfang
• Dies ist ein klassisches Stilmittel der barocken Dichtung, das die Welt als Spannungsfeld zwischen göttlicher Ordnung und irdischer Gebrechlichkeit zeigt.
Allegorie: Sonne und Mond stehen für geistliche Realitäten.
Klangliche Gestaltung: Alliterationen („mehrers nit / dann all sein Glantz“), rhythmisch gebauter Vierheber, der an geistliche Lieder erinnert.
Personifikation: Sonne und Mond erscheinen als personale Akteure – der Mond „hat sein gnants“, die Sonne „muß \[…] abwischen“.

Dieser Beitrag wurde unter Lyrik abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert