Jacob Balde
Ehrenpreiß 16
Wie sie dem König auffgewart
Zu Hesebon in Reben/
Da hat den besten Gruch jhr Nard
Herumb weit von sich geben:
Jhr Sommerhauß durchgehend auß
War voll der Zimmetrinden.
Darzu so hats ein solchen Schatz
Dergleichen nit zufinden.
Analyse
Jacob Balde, ein barocker Jesuit und Dichter des 17. Jahrhunderts, verfasste den „Ehrenpreiß“ als eine poetische Lobpreisung – oft mit allegorisch-sakramentaler Tiefe, geprägt von biblischen Anspielungen, rhetorischem Prunk und mystisch-theologischer Bildsprache. Die 16. Strophe enthält typische barocke Motive wie Duft, Reichtum, allegorische Örtlichkeiten und Pflanzenbilder.
Eine kunstvoll verdichtete Darstellung geistlicher Schönheit in barocker Bildsprache. In ihr offenbart sich die Vorstellung einer Seele oder Gestalt, die im Dienst des Königs steht und deren innere Tugenden wie ein betörender Duft ausstrahlen – ein barockes Ideal von heiliger Schönheit, Tugend und göttlicher Nähe. Sie verbindet alttestamentliche Bildwelten mit christlicher Mystik und theologischer Tiefe – ein Glanzstück barocker Lobdichtung.
Wörtliche Bedeutung und Aufbau
„Wie sie dem König auffgewart / Zu Hesebon in Reben,“
Die angesprochene Frau (vermutlich eine allegorische Gestalt wie die Seele, die Kirche oder Maria) dient dem „König“ – eine klare Anspielung auf Christus – in einem Ort namens Hesebon (biblische Stadt in Moab, vgl. Num 21,26). Die „Reben“ deuten auf Wein, Freude, Geisttrunkenheit oder göttliche Segenskraft hin. Die Szene evoziert das Hohelied (vgl. Hld 7,5: „dein Haupt ist auf dir wie Karmel...“), in dem die Geliebte dem König dient, sich ihm darbietet.
„Da hat den besten Gruch jhr Nard / Herumb weit von sich geben:“
Die Frau verströmt Nardenöl, ein teures, duftendes Öl, das in der Bibel etwa in Joh 12,3 erscheint, wo Maria Jesus die Füße mit echtem Nardenöl salbt. Duft symbolisiert hier Tugend, Heiligkeit, Anziehungskraft, möglicherweise die geistliche Ausstrahlung der Seele oder der Kirche. Das „Herumb weit von sich geben“ signalisiert die Wirkung der Heiligkeit über den engeren Raum hinaus – sie beeinflusst die Welt.
„Jhr Sommerhauß durchgehend auß / War voll der Zimmetrinden.“
Das „Sommerhaus“ – ein Rückzugs- oder Lusthaus – steht metaphorisch für das innere Leben, die Herzenswohnung, das seelische Zentrum. Es ist erfüllt mit Zimtrinde, einem weiteren exotisch-duftenden Gewürz. Dies verstärkt die Vorstellung einer kostbaren, innerlich geordneten und wohlriechenden Seelenstruktur. Cinnamomum wird auch im Hohelied erwähnt (vgl. Hld 4,14) – es symbolisiert Heiligkeit, göttliche Liebeserfüllung, Opfer und kultische Reinheit.
„Darzu so hats ein solchen Schatz / Dergleichen nit zufinden.“
Schlussfolgerung und Würdigung: Diese Frau besitzt einen „Schatz“ – wahrscheinlich Tugend, Weisheit, Gnade oder göttliche Liebe – einzigartig, unvergleichlich. Die Formulierung enthält einen hyperbolischen Lobpreis im barocken Stil, wie er besonders in Marien- oder Kirchenlobpreisungen verwendet wurde.
Theologische und allegorische Deutung
Die Strophe lässt sich auf verschiedenen Ebenen interpretieren:
Mariologisch: Maria als Braut des Königs, deren Tugenden sich über die Welt ausbreiten („Nardenduft“), deren inneres Haus (Herz, Seele) vom göttlichen Geist erfüllt ist. Sie ist die Trägerin eines göttlichen „Schatzes“ – Christus selbst oder die Gnade.
Ekklesiologisch: Die Kirche als Braut Christi, deren Tugenden sich in der Welt verströmen, die im Innersten vom Geist (Zimt, Narde) durchdrungen ist – mystisch-theologisch gedacht wie bei den Kirchenvätern.
Mystisch-anagogisch: Die einzelne gläubige Seele, die durch Liebe und geistliche Übung zur „duftenden“ Braut geworden ist. Die Reben (Wein) deuten auf Ekstase oder Eucharistie, das „Haus“ auf das durchbetete, geheiligte Herz.
Sprachlich-stilistische Merkmale
Reimstruktur: Paarreime (aabb), typisch für den barocken Lobpreis, getragen von rhythmischem Gleichmaß und Ornamentik.
Archaismen und biblische Topoi: „auffgewart“, „Gruch“, „Zimmetrinden“ – bewusst altertümliche, erhaben wirkende Lexik.
Geruchsmotive: Duftmetaphorik zur Darstellung von innerer Reinheit und übernatürlicher Ausstrahlung.
Topos des hortus conclusus: Das „Sommerhaus“ ist reminiszient an das Hohelied-Motiv des eingeschlossenen Gartens – Zeichen der Reinheit und göttlichen Nähe.
Kontextuelle Einordnung
Jacob Baldes Dichtung bewegt sich stets in der Spannung zwischen Sinnlichkeit und Transzendenz, barocker Weltfreude und asketischer Rückbindung. Diese Strophe zeigt eine typisch barocke Synthese: die sinnlich-konkreten Bilder (Reben, Narde, Zimt) verweisen auf unsichtbare geistliche Realitäten. Es geht nicht um weltlichen Reichtum, sondern um Gnadengaben und die Einwohnung Gottes in einer heiligen Seele.