Ehrenpreiß 14

Jacob Balde

Ehrenpreiß 14

Dem Palmenbaum jhr länge gleicht/
Die Wang den Turteltauben:
Vnd jhren süssen Brüsten weicht
Der Wein auß Cypris Trauben.
Voll Hyacinth/ von keiner Sünd
Noch groß noch klein beladen;
Deß Adams Gifft/ das alle trifft/
Hat jhr nicht könden schaden.

Analyse

Jacob Baldes Ehrenpreiß 14 (aus seiner Sammlung geistlicher Lyrik) ist ein barocker Preisgesang auf die Jungfrau Maria, der in typischer Manier dieser Zeit Naturbilder, biblische Anspielungen und eine theologische Tiefendimension verbindet.
Das Gedicht inszeniert Maria als transzendent reine, doch sinnlich erfahrbare Gestalt – in Naturbildern, Liebessymbolik und theologischer Tiefe. Die Strophe steht exemplarisch für die barocke Verbindung von Glaubensinhalt, rhetorischer Kunstfertigkeit und poetischer Ornamentik. Maria erscheint als überirdisches Ideal weiblicher Reinheit und Gnadenfülle – jenseits des Sündenfalls, überhöht durch göttliche Wahl.

Formale Analyse

Die Strophe ist vierzeilig mit jeweils zwei Reimpaaren (aabb), was typisch für Baldes stilisierte barocke Lyrik ist. Der Rhythmus ist regelmäßig und lässt sich als alternierender vierhebiger Jambus lesen, wodurch ein sangbarer, fast litaneiartiger Duktus entsteht. Der Stil ist ornamental und emblematistisch, geprägt von Antithese, Hyperbel und Allegorie.

Inhaltliche und allegorische Deutung

1. "Dem Palmenbaum jhr länge gleicht / Die Wang den Turteltauben"
Diese ersten zwei Zeilen stellen eine klassische barocke comparatio dar: Maria wird durch Vergleiche mit edlen Naturbildern erhöht:
Palmenbaum: In der biblisch-patristischen Tradition (vgl. Ps 92,13: „Der Gerechte wird sprossen wie eine Palme“) steht die Palme für Reinheit, Aufrichtung zum Himmel und Tugend. Ihre „Länge“ ist ein Bild für Marien himmelwärts gerichtete Erhabenheit und moralische Integrität.
Wang den Turteltauben: Die Turteltaube ist ein alttestamentliches Symbol ehelicher Treue und Reinheit (vgl. Hld 2,12). Die „Wange“ als Trägerin dieses Bildes hebt Zärtlichkeit, Unschuld und sanfte Liebe hervor.
• Es entsteht eine Doppelaspektik von Aufrichtigkeit (Vertikale) und Innigkeit (Horizontale), die Maria als Verbindung von transzendenter und immanenter Liebe ausweist.
2. "Und jhren süssen Brüsten weicht / Der Wein auß Cypris Trauben."
• Diese Zeilen spielen auf das Hohelied Salomos an, in dem die weibliche Geliebte immer wieder mit süßen Früchten, Wein und Brüsten assoziiert wird (z. B. Hld 1,2; 7,4–10). Zugleich wird hier eine raffinierte Umwertung vorgenommen:
• Cypris ist ein poetisches Epitheton für Venus (aus Zypern), Göttin der sinnlichen Liebe. Deren Wein – ein Bild für weltliche, erotische Lust – weicht den süßen Brüsten Mariens.
• Damit wird Maria als Gegenbild zu Venus etabliert: Nicht irdische Lust, sondern geistige Fruchtbarkeit und himmlische Liebe strahlt von ihr aus. Ihre Brust ist süßer als der Wein der Sinnlichkeit – ein Bild für die caritas divina statt eros profanus.
3. "Voll Hyacinth / von keiner Sünd / Noch groß noch klein beladen;"
Hier erfolgt eine klare theologische Aussage:
• Hyacinth (als Edelstein) steht im biblischen Symbolismus für Reinheit, Himmelsnähe und Unvergänglichkeit (vgl. Offb 21,20).
• Die Sündenfreiheit Mariens wird betont – sowohl "groß noch klein", also im Sinn der katholischen Dogmatik der Immaculata Conceptio (Unbefleckte Empfängnis).
• Diese Zeile impliziert eine absolute Reinheit, nicht nur moralisch, sondern ontologisch: Maria ist frei vom Erbschaden und jedem Makel, was sie zur mater Dei qualifiziert.
4. "Deß Adams Gifft, das alle trifft, / Hat jhr nicht könden schaden."
Diese letzten beiden Zeilen formulieren eine dogmatische Schlüsselaussage:
• Die "Gifft des Adams" bezeichnet die Erbsünde, die durch Adams Fall auf alle Menschen überging (vgl. Röm 5,12).
• Doch Maria ist die einzige Ausnahme (abgesehen von Christus selbst): Die Sünde „trifft alle“, aber „hat ihr nicht schaden können“. Damit wird direkt auf das Dogma der Unbefleckten Empfängnis Bezug genommen, das erst 1854 dogmatisiert wurde, aber im Barock bereits stark vertreten war.
• Die Sprachwahl ist scharf: „Gifft“ (Gift) und „schaden“ zeigen die Vergiftung der Natur durch Adams Fall – Maria bleibt jedoch unversehrt.

Theologische und poetologische Dimension

Diese Strophe ist ein Musterbeispiel barocker Mariendichtung, in der die poetische Rhetorik ganz dem theologischen Lobpreis dient. Balde integriert:
Biblische Symbolik: Palmen, Tauben, Wein, Edelsteine
Typologische Allegorie: Maria als neue Eva, die das Gift des alten Adam überwindet. Erotisch konnotierte Sprache aus dem Hohelied, die spirituell umgedeutet wird
Dogmatische Dichte: Die Unbefleckte Empfängnis als poetisches Thema
• Gleichzeitig ist die Darstellung betont ästhetisch und sinnenfreudig, was typisch ist für das Barock, in dem Sinnlichkeit nicht gegen die Frömmigkeit steht, sondern als Vehikel der Transzendenz verstanden wird.

Dieser Beitrag wurde unter Lyrik abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert