Jacob Balde
Ehrenpreiß 13
Jhr grosse Freud/ vnd Hertzens lust
Ist dises Gsicht anschawen:
Den Mund/ den Gott so offt gekußt/
Die Augen vnd Augbrawen:
Gesalbte Händ/ Lefftzen vermengt
Mit Hönig vnd mit Rosen.
Oelfliessend Red/ die von jhr geht/
Ist vber alls Liebkosen.
Analyse
Jacob Baldes Gedicht Ehrenpreiß 13 ist ein dichterischer Lobgesang auf die Jungfrau Maria, durchdrungen von barocker Sprachkunst, theologisch-mystischer Bildlichkeit und sinnlicher Verehrung. Die Verse verdichten auf kleinem Raum zentrale Themen der marianischen Frömmigkeit in der katholischen Tradition des 17. Jahrhunderts.
Ein poetisches Beispiel barocker Marienverehrung, in dem die sinnliche Schönheit Mariens als Ausdruck ihrer geistigen Vollkommenheit verstanden wird. Die Bildsprache verbindet irdische Empfindung mit himmlischer Symbolik. Die ekstatische Freude des lyrischen Ichs beim Anblick Mariens ist Ausdruck der Sehnsucht nach Gott, vermittelt durch die Mater Dei. Das Gedicht vereint meisterhaft barocke Rhetorik, theologische Tiefe und mystische Innigkeit.
Inhaltliche Interpretation
• Das Gedicht beschreibt ekstatische Freude und geistige Wonne beim Anblick Mariens. Es ist eine hymnische Betrachtung einzelner Körperteile, jedoch nicht im erotischen, sondern im mystisch-verklärten, verehrenden Sinn:
• Die Freude und Lust des Herzens bezieht sich auf das "Gsicht" (Gesicht) Mariens.
• Besonders hervorgehoben werden: Mund („den Gott so offt gekußt“), Augen und Augenbrauen, gesalbte Hände, sowie Lippen, die mit „Hönig“ und „Rosen“ assoziiert sind.
• Die von ihr ausgehende Rede ist „Ölfliessend“, ein Bild für wohltuende, salbungsvolle, göttlich inspirierte Sprache.
• Zentral ist die Heiligkeit und Nähe Mariens zu Christus: Der Mund, den Gott geküsst hat, spielt auf die Inkarnation an – Maria als Gottesgebärerin, deren Leib göttlich berührt wurde.
Sprachliche und stilistische Mittel
Das Gedicht arbeitet mit einer hohen Dichte an barocken Stilmitteln:
Anapher und Parallelismus: Die wiederholte Struktur „den Mund… die Augen… gesalbte Händ…“ erzeugt eine rhythmische Aufzählung der verehrten Körperteile.
Synästhesie: „Lepfftzen vermengt mit Hönig und mit Rosen“ vereint Geschmack, Geruch und visuelle Schönheit in einem Bild – Ausdruck höchster Lieblichkeit.
Metaphorik und Sakralpoesie: „Ölfliessend Red“ ist nicht nur ein metaphorisches Bild für Sanftheit, sondern auch Anspielung auf die Salbung – Maria als Prophetin, Königin, vom Geist durchdrungen.
Hyperbel: „Ist über alls Liebkosen“ übersteigert den Wert der Rede Mariens – sie übertrifft alle irdische Zärtlichkeit.
• Die Sprache ist sinnlich aufgeladen, aber im Dienste der religiösen Verehrung.
Theologische Symbolik
Mund, den Gott geküsst hat: Dies erinnert an die innige Beziehung zwischen Maria und ihrem Sohn Jesus – vielleicht auch eine subtile Anspielung auf das mittelalterliche Bild des „Kusses des Wortes“ (osculum Verbi), wie es in der mystischen Theologie vorkommt (z.B. Bernhard von Clairvaux).
Gesalbte Hände: Anspielung auf Maria als Christophora, als Trägerin Christi, deren Tun gesegnet ist.
Rosen und Honig: Symbole für Tugend, Reinheit, Süße der Rede – möglicherweise inspiriert von Canticum Canticorum (Hoheslied 4,11: „Honig und Milch sind unter deiner Zunge“).
Ölfließende Rede: verweist auf die Salbung durch den Geist, auf prophetische Inspiration und heilende Kraft des Wortes.
• Maria erscheint hier als Mittlerin des göttlichen Wortes – ihre Rede ist nicht nur schön, sondern wirksam, göttlich und heilend.
Barocke Motivik und Zeitkontext
Balde (1604–1668), ein Jesuit und Vertreter der katholischen Restauration nach dem Dreißigjährigen Krieg, vereint in diesem Gedicht klassische barocke Tendenzen:
Sinnlichkeit und Transzendenz: Körperliche Beschreibung wird zur geistlichen Allegorie.
Memento amoris divinae: Statt „Memento mori“ steht hier die Erinnerung an die göttliche Liebe im Vordergrund – typisch für die marianische Frömmigkeit der Zeit.
Kontrastwelt von Himmel und Erde: Die Rede Mariens übersteigt „alles Liebkosen“, sie ist übernatürlich.
Vereinigung von Eros und Agape: Die Sprache ist durchzogen von liebevoller Zärtlichkeit, aber sie zielt auf göttliche Liebe – ein barocker Topos mystischer Dichtung.