Ehrenpreiß 12

Jacob Balde

Ehrenpreiß 12

Zwölff Stern vmb jhr glorwürdige Haupt
Ringsweiß heroben schweben;
Dann jhn allein ist es erlaubt
Dasselbig vmbzugeben.
Kein Schwerdt/ kein Stab/ kein Gwalt tribab
So steiff thuns hie verharzen:
Sie liessen ehe/ der Himmel zwee/
Ja sambtlich alle fahzen.

Analyse

Jacob Baldes Gedicht Ehrenpreiß 12 (aus dem Werk Geistlicher Ehrenkranz) ist ein barockes Lobgedicht mit stark marianischem und zugleich höfisch-theologischem Charakter.
Es verherrlicht Maria in überwältigendem Bildwerk als himmlische Königin. Die dichterische Gestaltung verbindet theologische Tiefe mit symbolischer Präzision und barocker Bildfülle. Der Text zeigt exemplarisch, wie barocke Frömmigkeit, Kunst und Sprache eine Einheit bilden, die das Himmlische durch das Sinnliche sichtbar zu machen sucht.

Formale Analyse

Versmaß und Reim: Der Text ist in einer regelmäßigen metrischen Form gehalten, vermutlich vierhebiger Jambus. Der Reim folgt einem Paar- oder Kreuzreimschema, wobei gewisse archaische Schreibweisen die Reimerkennung erschweren.
Sprache: Barocke Hochsprache mit latinisierenden Wendungen („tribab“ – wohl eine Form von trieben), archaischer Orthographie („vmb“, „thuns“, „fahzen“) und symbolträchtiger Dichtweise.

Inhaltliche Analyse

Erste Strophe:
> „Zwölff Stern vmb jhr glorwürdige Haupt / Ringsweiß heroben schweben; / Dann jhn allein ist es erlaubt / Dasselbig vmbzugeben.“
Biblisches Motiv: Die zwölf Sterne um das „glorwürdige Haupt“ verweisen auf die Apokalyptische Frau aus der Offenbarung des Johannes (Offb 12,1): „ein Weib, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen, und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen.“
Marianische Identifikation: Die Frau wird seit der Patristik häufig mit Maria identifiziert. Die „glorwürdige“ Frau mit den zwölf Sternen ist also Maria in ihrer himmlischen Herrlichkeit.
Exklusivität der Würde: Nur „ihr allein“ (Maria) ist es erlaubt, von den Sternen umgeben zu sein – ein Ausdruck der Einzigartigkeit und Auserwähltheit Mariens. Die Sternenkrone wird als göttliches Privileg gedeutet.
Zweite Strophe:
> „Kein Schwerdt/ kein Stab/ kein Gwalt tribab / So steiff thuns hie verharzen: / Sie liessen ehe/ der Himmel zwee/ Ja sambtlich alle fahzen.“
Unüberwindlichkeit des marianischen Thrones: Kein „Schwert“, kein „Stab“, keine „Gewalt“ kann gegen diese himmlische Gestalt etwas ausrichten. Diese Dreierreihe steht für weltliche Machtmittel – militärisch („Schwert“), herrschaftlich („Stab“), allgemein staatlich-repressiv („Gewalt“).
Hyperbolik des Schutzes: Die gewaltvolle Welt „verharzt“ – erstarrt, versagt völlig im Versuch, das Göttliche zu bedrängen. Der Text erklärt, dass eher „der Himmel zwei“ würde – also eine unmögliche kosmische Spaltung – als dass Maria gestürzt oder angetastet würde.
„Fahzen“ (fallen, zusammenbrechen): Der Zusammenbruch des Himmels wird eher in Kauf genommen als der Verlust der marianischen Krone oder Herrlichkeit – dies drückt höchste Ehrung aus.

Theologische Deutung

Mariologie: Der Text ist ein klassisches Beispiel barocker Marienverehrung. Maria erscheint als Königin des Himmels, von kosmischer Würde umgeben. Sie steht außerhalb jeder irdischen Gewalt und übersteigt selbst die Prinzipien der natürlichen Ordnung.
Christozentrischer Kontext: In Baldes katholischer Dichtung wird Maria zwar in höchstem Maße verehrt, bleibt aber immer eingebettet in ein heilsgeschichtliches Narrativ, das Christus voraussetzt. Ihre Ehrenkrone ist Gabe, nicht Eigenschaft von sich selbst aus.
Barockes Weltbild: Die Weltordnung ist hierarchisch, durchdrungen von göttlicher Ordnung und Schönheit. Maria symbolisiert das vollkommen geordnete, reine Zentrum dieses Weltbildes.

Poetische und barocke Stilmittel

Emblematik: Die „zwölf Sterne“ funktionieren als Emblem – Bildträger für eine geistliche Wahrheit. Im barocken Sinne steht das Bild (Sternenkrone) für eine übergeordnete Idee (himmlische Auserwähltheit, göttliche Gnade).
Hyperbel: Übertreibung dient zur Betonung der Unangreifbarkeit Mariens – etwa im Bild der drohenden Spaltung des Himmels.
Antithese und Kontrast: Gewalt steht dem „glorwürdigen“ Haupt gegenüber – die Welt der Macht und der Sünde kontrastiert mit der Sphäre der Gnade.
Symbolik: Die Zahl zwölf verweist auf Vollkommenheit, die zwölf Stämme Israels, die Apostel – Maria steht im Zentrum des Heilsplans.

Historisch-kultureller Kontext

Katholische Reaktion auf protestantische Kritik: Balde war Jesuit und dichtete in einer Zeit intensiver konfessioneller Auseinandersetzungen. Seine emphatische Marienverehrung kann auch als katholisches Gegenbild zur protestantischen Marienkritik verstanden werden.
Höfisch-religiöse Synthese: Die Bildsprache ist an höfische Rhetorik angelehnt – Maria als himmlische Königin wird analog zu einer irdischen Herrscherin beschrieben, jedoch mit übernatürlicher Legitimation.

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