Jacob Balde
Ehrenpreiß 10
Zier Mardochee tausentmal
Dein schöne Hester/ zier sie:
Vnd führs drauff in deß Königs Saal
Zur Hand Assueri/ führ sie.
Laß jhr Geschmuck vnd Guldes stuck
Mit Perlin vbersetzen:
So wirdt ich doch/ Mariam noch/
Ohn maß weit höher schetzen.
Analyse
Jacob Baldes Gedicht „Ehrenpreiß 10“ ist ein barockes Lobgedicht, das in dichterischer Sprache biblische Figuren verwendet, um Schönheitsideale und moralisch-spirituelle Werturteile zu reflektieren. Die Verse bewegen sich in einem Spannungsfeld von äußerer Schönheit und innerem Wert, das für die Barockzeit charakteristisch ist.
Das Gedicht ist mehr als ein Lobgedicht auf Maria – es ist eine poetisch verdichtete, barocke Meditation über Schönheit, Gnade und Wertmaßstäbe. Die biblischen Frauengestalten dienen nicht nur als literarische Motive, sondern als Träger theologischer Wahrheit. In der Gegenüberstellung von Esther und Maria wird ein zentrales Anliegen barocker Dichtung deutlich: die Rückführung des Sinnlichen auf das Geistige, des Sichtbaren auf das Unsichtbare – und damit eine Hinführung zur transzendenten Ordnung Gottes.
1. Inhaltliche Analyse
• Das lyrische Ich fordert Mardochai (biblisch: Mordechai) auf, die schöne Esther zu schmücken und in den Königssaal zu führen, wie es im Buch Esther beschrieben ist. Dies geschieht mit großer Zier: „mit Perlin übersetzen“ – also mit Perlen geschmückt. Trotz dieser Pracht, so betont das lyrische Ich, würde es Maria („Mariam“) dennoch weit höher schätzen – und zwar „ohn Maß“, also unermesslich.
• Der Text spielt auf die alttestamentliche Königin Esther an, die durch ihre Schönheit und Klugheit das jüdische Volk rettet, und auf Maria, die Mutter Jesu, die in der christlichen Tradition als Inbegriff der Reinheit und Gnade gilt.
2. Theologische Bedeutung
• Die Gegenüberstellung von Esther und Maria ist zentral. Während Esther eine bewunderte irdische Königin ist, wird Maria als überirdisch ausgezeichnet. Der Lobpreis der Maria ist typisch für die marianische Frömmigkeit der Gegenreformation, der auch Balde als Jesuit verpflichtet war. Maria steht für eine transzendente, innere Schönheit und göttliche Auserwählung, während Esther die irdisch-sinnliche Schönheit verkörpert.
• Esther steht für weltliche Macht und Rettung durch politische Klugheit.
• Maria steht für göttliche Gnade und Erlösung durch Demut.
• Indem Balde Maria über Esther stellt, nimmt er eine klare theologische Hierarchie vor: das Geistige über das Körperliche, das Himmlische über das Irdische.
3. Stilistische Mittel
Das Gedicht nutzt eine Vielzahl barocker Stilmittel:
Anapher: „führ sie“ wiederholt sich und unterstreicht die Handlung.
Hyperbel: „tausendmal“, „ohn Maß weit höher“ betonen die Überhöhung Mariens.
Bildlichkeit: „Geschmuck vnd Guldes stuck / Mit Perlin“ evoziert ein Bild barocker Pracht.
Kontrast: Die sinnlich-ästhetische Beschreibung Esthers steht dem nicht-äußeren Lob Mariens gegenüber.
Die Sprache ist typisch barock: rhetorisch ausgefeilt, von bildhaften Superlativen durchzogen, und dient zugleich der Meditation und moralischen Erbauung.
4. Barocke Welt- und Werteordnung
Das Gedicht ist tief in der barocken Wertordnung verwurzelt:
• Die äußere Schönheit ist vergänglich und sekundär.
• Wahre Größe liegt im inneren, geistlichen Wert.
• Die Welt wird allegorisch verstanden: Esther ist Typus der Schönheit der Welt, Maria Typus der übernatürlichen Erlösung.
• Diese Lesart wird auch durch den Kontrast zwischen „Perlin“ (materiell) und „ohn Maß“ (immateriell, spirituell) gestützt.
5. Allegorische und symbolische Tiefenschicht
Der Text lässt sich allegorisch lesen:
Mardocheus: symbolisiert den frommen Menschen, der zwar Schönheit erkennt und achtet (Esther), aber zur wahren Weisheit (Maria) geführt wird.
Assuerus’ Saal: steht für die Welt und ihre Bühne der Ehre.
Maria: steht als figura Christi und ecclesiae – sie ist die makellose Kirche, die vom Gläubigen (dem „Ich“) höher geschätzt wird als jede weltliche Erscheinung.