Jacob Balde
Ehrenpreiß 09
Hie weiser Mann/ dein starckes Weib/
Hie/ main ich/ wersts erfragen:
So starck/ daß sie in jhrem Leib
Hat gar ein Risen tragen.
Da noch so klein/ ein Jungkfraw rain/
Den grösten Mann vmbfangen:
Der ohn beschwerdt kundt von der Erdt
Hoch biß an Himmel langen.
Analyse
Diese Strophe stammt aus dem neunten Gedicht des „Ehrenpreißes der Jungfrawen Maria“ von Jacob Balde (1604–1668), einem bedeutenden Dichter der deutschen Barockzeit und Jesuit. Das Gedicht preist die Jungfrau Maria in barocker Manier durch paradoxale Bilder, theologische Tiefe und rhetorische Kraft.
Es ist ein Musterbeispiel für barocke Frömmigkeit und Dichtung: ein theologisch dichter Text, der paradoxale Bilder, übersteigerte Sprache und tiefe Ehrfurcht vereint. Balde gelingt es, in wenigen Zeilen das zentrale christliche Mysterium der Menschwerdung Gottes in der Jungfrau Maria in poetischer Form zu fassen – voller Staunen, rhetorischem Glanz und metaphysischer Tiefe.
1. Anrede und Aufbau
> „Hie weiser Mann / dein starckes Weib / Hie, main ich, wersts erfragen“
• Die Strophe beginnt mit einer direkten Ansprache: „Hie weiser Mann“. Gemeint ist vermutlich Josef, der Bräutigam Marias. Die Bezeichnung „weiser Mann“ spielt auf die traditionelle Vorstellung des Josef als gerechtem, klugem und demütigem Mann an.
• Maria wird als „starckes Weib“ bezeichnet. Diese paradoxe Wendung steht im Kontrast zum kulturellen Bild der „schwachen Frau“. Im Kontext der christlichen Mariologie bedeutet „stark“ jedoch geistliche Stärke, Glauben, Gehorsam und die Fähigkeit, das Göttliche zu empfangen.
• Die Formulierung „main ich, wersts erfragen“ ist ironisch-untertreibend und spiegelt die rhetorische Spielart des barocken Dichtens wider: Der Dichter gibt vor, nur eine schlichte Frage zu stellen, doch zielt er auf eine tiefe theologische Erkenntnis.
2. Paradoxe Größe und Demut
> „So starck, daß sie in jhrem Leib / Hat gar ein Risen tragen“
• Das zentrale Paradox des Abschnitts entfaltet sich hier: Maria ist so stark, dass sie in ihrem Leib einen Riesen trägt. Der „Riese“ ist natürlich Christus, in seiner göttlichen Allmacht, gleichzeitig aber auch als Kind im Leib der Mutter. Diese Metapher ist bewusst übersteigert und zielt auf das barocke Stilmittel des Hyperbolischen.
• Die „Stärke“ ist nicht physischer Natur, sondern bezieht sich auf die spirituelle und theologische Dimension: Maria trägt den Sohn Gottes – ein Akt, der sowohl Gnade als auch mystische Kraft voraussetzt.
3. Jungfräulichkeit und Empfängnis
> „Da noch so klein, ein Jungkfraw rain / Den grösten Mann vmbfangen“
• Hier kulminiert das Paradox: Maria ist jung („noch so klein“) und rein („Jungfraw rain“), und dennoch empfängt sie den „größten Mann“. Dieser „größte Mann“ ist wieder Christus, der als Gott-Mensch die höchste Größe besitzt – sowohl im physischen als auch im spirituellen Sinn.
• Die Wendung „vmbfangen“ (empfangen) spielt auf das Mysterium der Jungfrauengeburt an: Maria empfängt Jesus ohne leiblichen Verkehr – ein zentrales Dogma des christlichen Glaubens.
• Diese Formulierung kombiniert mehrere theologische Pole:
• Jungfräulichkeit ↔ Mutterschaft
• Kleinheit ↔ Größe
• Mensch ↔ Gott
• Das Ineinander dieser Gegensätze steht im Zentrum barocker Theologie und Dichtung, besonders in Bezug auf die Gestalt Mariens.
4. Christi Göttlichkeit und Transzendenz
> „Der ohn beschwerdt kundt von der Erdt / Hoch biß an Himmel langen.“
• Das Gedicht schließt mit einem weiteren Paradox: Der „größte Mann“ (Christus) kann „ohn beschwerdt“ von der Erde „biß an Himmel langen“. Diese Zeile beschreibt seine transzendente Natur – er ist auf Erden Mensch, aber dennoch in vollem Umfang Gott, dessen Wesen den Himmel umfasst. Der Begriff „ohn beschwerdt“ verweist auf seine göttliche Leichtigkeit oder vielmehr seine Überlegenheit gegenüber der Schwere des Irdischen.
• Die Aussage enthält auch eine implizite Anspielung auf die Himmelfahrt Christi: Er ist nicht an die Erde gebunden, sondern richtet sich auf das Himmlische.
Stilistische und theologische Einordnung
1. Barocke Rhetorik
Typisch für Balde ist der rhetorische Reichtum:
Paradoxa (klein/groß, rein/stark, jung/mächtig)
Hyperbeln (ein „Riese“ im Leib einer Jungfrau)
Wortspiele („vmbfangen“ im körperlichen wie geistigen Sinn)
Direkte Rede und Apostrophe (Anrede Josefs)
2. Mariologische Theologie
Balde folgt der katholischen Hochachtung Mariens:
Direkte Rede und ApostropheTheotokos („Gottesmutter“) ist hier nicht nur ein Titel, sondern die Quelle poetischer Bewunderung.
Direkte Rede und ApostropheDie Betonung liegt nicht auf Maria als Mutter im biologischen Sinn, sondern auf ihrem mystischen und göttlichen Tragen des Logos.
3. Christologische Perspektive
Christus erscheint als:
Gottmensch (größter Mann in kleinstem Raum)
Transzendenz in Immanenz (in der Welt und darüber hinaus)
Leibhaftige Paradoxie (inkarnierter Gott, empfangen von einer Jungfrau)