Ehrenpreiß 08

Jacob Balde

Ehrenpreiß 08

Das Meer der Statt Corintho gantz
Mit Blut war vberloffen.
Alis dem Bassa hat ein Lantz
Das lebendig getroffen.
Gantz bitter wehe war Sisaræ
Im letsten Layd vnd Jammer:
Dem Hirn vnd Bayn hat gschlagen ein
Der alt Jahelis Hammer.

Analyse

Die Strophe stammt aus Jacob Baldes Gedichtzyklus Ehrenpreiß, konkret dem achten Lied, und ist ein typisches Beispiel barocker Gelegenheits- und Heldendichtung. Sie verarbeitet historische und biblische Motive in einer bildkräftigen Sprache, um ein heroisches Geschehen zu schildern. Die Verse sind formal streng komponiert und inhaltlich dichterisch überhöht.
Jacob Balde nutzt hier ein reiches Arsenal barocker Stilmittel – Allegorie, Typologie, biblische Intertextualität, Hyperbel – um ein Ereignis, vermutlich aus den Türkenkriegen, als göttlich gerechtfertigten Triumph darzustellen. Die Verbindung aus blutrünstiger Kriegsrhetorik und geistlicher Lesart zeigt Baldes Meisterschaft als katholisch-barocker Dichter, der in den Wirren des 17. Jahrhunderts die Weltgeschichte als Spiegel göttlichen Wirkens interpretiert.
Das Gedicht (aus den „Geistlichen Poetischen Wercken“, 17. Jahrhundert) ist ein Beispiel für seine barocke Dichtung, in der oft biblische Stoffe, antike Geschichte und zeitgenössische Ereignisse kunstvoll miteinander verflochten werden.
Jacob Balde konstruiert in diesem kurzen Gedicht eine dichte Allegorie, in der aktuelle politische und militärische Ereignisse mit biblischer Typologie und barocker Emblematik aufgeladen werden. Die poetische Struktur dient der Verherrlichung eines Sieges über einen als feindlich stilisierten Gegner, wobei die theologische Dimension eine göttliche Legitimierung dieses Sieges bietet. Politisch ist der Text als Teil einer barocken Kriegsideologie lesbar, die sich gegen den Islam (verkörpert im „Bassa“) richtet und dabei auf die spirituelle Überlegenheit des Christentums verweist.

Formale Analyse

Metrum und Reim:
Der Text ist in vier Paarreimen mit achtzeiligen Strophen strukturiert (aabbccdd).
Das Metrum ist nicht streng regelmäßig, aber der Rhythmus orientiert sich an einem vier- oder dreihebigen Versmaß mit deutlichen Zäsuren.
Sprachlich zeigt sich ein für das 17. Jahrhundert typischer, durch Majuskeln und archaische Formen geprägter Stil (z. B. „vberloffen“, „Layd“, „Jahelis“).

Inhaltliche Analyse

Die Strophe schildert einen gewaltsamen kriegerischen Konflikt, vermutlich zwischen den Osmanen („dem Bassa“) und christlichen Mächten, wobei Balde allegorisch und biblisch überhöht.
1. „Das Meer der Statt Corintho gantz / Mit Blut war vberloffen.“
• Bildhafte Übertreibung (Hyperbel): Die Stadt Korinth ist so blutig umkämpft, dass das Meer "überlaufen" ist – ein klassisches barockes Motiv des Bluts als überfließendes Element des Krieges.
• Symbolik der Stadt: Korinth fungiert als exemplarische antike Stadt, hier wahrscheinlich als Chiffre für einen größeren kulturellen oder militärischen Konflikt zwischen „Orient“ und „Okzident“.
2. „Alis dem Bassa hat ein Lantz / Das lebendig getroffen.“
• Konkrete Szene: Ein „Bassa“ (türkischer Titel für einen hohen Offizier) wird tödlich verwundet – symbolisch für einen Sieg über die Türken.
• Die Lanze als christlich-militärisches Instrument, vielleicht gar eine Anspielung auf die heilige Lanze, mit der Christus durchbohrt wurde – eine Replik auf das Motiv der göttlich legitimierten Gewalt.
3. „Gantz bitter wehe war Sisaræ / Im letsten Layd vnd Jammer“
• Biblische Allegorie: Sisera (Richter 4–5) war ein kanaanitischer Feldhauptmann, der von der Prophetin Deborah besiegt wurde und durch die Frau Jaël getötet wurde.
• Verknüpfung von Geschichte und Bibel: Die militärische Niederlage des Bassa wird mit Siseras Fall parallelisiert. Sisera steht für einen mächtigen Feind Gottes, dessen Ende schmerzvoll und beschämend war.
4. „Dem Hirn vnd Bayn hat gschlagen ein / Der alt Jahelis Hammer.“
• Direkte Referenz an Jaël: Sie schlug Sisera den Zeltpflock durch die Schläfe (Richter 4,21). Der "Hammer" ist ein metonymisches Bild für den gewaltsamen Tod, den eine Frau einem Kriegshelden zufügt – ein doppelter Bruch mit der männlich dominierten Kriegsrhetorik.
• Die Formulierung „alt Jahelis Hammer“ überträgt den biblischen Vorgang auf die Jetztzeit – die Vernichtung des Feindes wird durch göttliche Parallelen gerechtfertigt.

Interpretation: Barocke Ideologie und Theologie

1. Geschichtsdeutung als Heilsgeschehen
Balde interpretiert aktuelle politische oder militärische Ereignisse im Lichte biblischer Heilsgeschichte. Die Türkenkriege (oder eine andere Auseinandersetzung zwischen Islam und Christentum) erscheinen als erneute Ausspielung des göttlichen Kampfes gegen das Böse.
2. Typologie:
Die Figur des Bassa wird zum „neuen Sisera“; die christliche Seite übernimmt die Rolle der Israeliten. Die Bekehrung oder Vernichtung des Feindes ist somit gottgewollt.
3. Memento Mori und Vanitas
In der gewaltsamen Darstellung liegt auch ein barockes Vanitas-Motiv: Ruhm und Macht sind flüchtig; selbst der mächtige Bassa fällt unter dem Hammer Jaëls.
• Gleichzeitig evoziert Balde den Heldentod als eine Form der christlichen Verherrlichung – nicht des Opfers, sondern des Siegers.

Theologische Dimension

• Die Umdeutung eines politischen oder militärischen Sieges als göttlich legitimiertes Strafgericht verweist auf das barocke Gottesbild als souverän, strafend, aber gerecht.
• Die Frau als Werkzeug Gottes (Jaël) unterstreicht, dass Gottes Macht nicht an Stand oder Geschlecht gebunden ist – ein Aspekt der göttlichen Paradoxie.

1. „Das Meer der Statt Corintho gantz / Mit Blut war vberloffen.“

Historischer Kontext:
• Corintho = Korinth, eine bedeutende antike Stadt in Griechenland, mehrfach Kriegsschauplatz.
• Das „mit Blut überlaufene Meer“ evoziert Bilder von Seeschlachten oder Massakern, möglicherweise anspielend auf historische Auseinandersetzungen in der osmanisch-venezianischen Auseinandersetzung um Griechenland.
• Denkbar ist ein Bezug auf die Belagerung von Korinth durch die Osmanen im 17. Jahrhundert, etwa im Rahmen der Kriegshandlungen um das Peloponnes während der Türkenkriege.
• Symbolisch steht das „blutüberlaufene Meer“ für Zerstörung, Opfer, und barocke Vanitas-Vorstellung (Vergänglichkeit des Irdischen durch Krieg).
2. „Alis dem Bassa hat ein Lantz / Das lebendig getroffen.“
Historischer Kontext:
• „Bassa“ (heute Pascha) ist ein Titel eines hochgestellten osmanischen Militär- oder Verwaltungsbeamten.
• Der Ausdruck „ein Lanz hat lebendig getroffen“ impliziert, dass ein osmanischer Feldherr im Kampf tödlich verwundet wurde – vermutlich eine Darstellung der christlichen Siegesmacht über die osmanische Invasion.
• Möglich ist hier ein konkreter Bezug auf Schlachten wie z. B. Lepanto (1571) oder spätere Auseinandersetzungen in Ungarn oder Griechenland, wo osmanische Paschas tatsächlich fielen.

3. „Gantz bitter wehe war Sisaræ / Im letsten Layd vnd Jammer:“

Biblischer Kontext:
• Sisara (hebräisch Sisera) ist eine Figur aus dem Alten Testament, genauer Richter 4–5.
• Als Feldhauptmann der Kanaaniter wird er von der Prophetin Debora und dem Heerführer Barak besiegt. Seine Flucht endet bei Jaël, die ihn tötet.
• Das „letzte Leid und Jammer“ verweist auf seine demütigende und brutale Niederlage.
4. „Dem Hirn vnd Bayn hat gschlagen ein / Der alt Jahelis Hammer.“
Biblischer Kontext:
• „Jahelis Hammer“ = Jaëls Hammer. In Richter 4,21 tötet Jaël den schlafenden Sisera mit einem Zeltpflock durch die Schläfe.
• Das Bild vom Hammer, der „Hirn und Bein schlägt“, steigert die Drastik des Endes.
• Im Barock wird Jaël oft als Göttliche Werkzeugin interpretiert, die das göttliche Gericht vollstreckt.

Deutung im barocken Kontext

Typologische Struktur: Balde setzt die historische Konfrontation zwischen Christentum und Osmanischem Reich typologisch mit biblischen Kämpfen gleich.
Barockes Weltbild: Geschichte wird als Kampf zwischen göttlicher Ordnung und heidnischer Hybris verstanden.
Propaganda und Theologie: Der getötete Pascha ist der neue Sisera; die Christenheit triumphiert wie einst Jaël – durch göttliche Fügung.

Poetische Deutungsebene

Der Text zeigt typische Stilmittel der Barockdichtung:
Kontrast und Gewaltbild: Die Metapher „Das Meer der Statt Corintho gantz / Mit Blut war vberloffen“ dramatisiert das Ausmaß der Gewalt und greift auf ein typisches barockes Motiv zurück: die Überflutung mit Blut als Zeichen totaler Zerstörung.
Heroische Einzelleistung: „Alis dem Bassa hat ein Lantz / Das lebendig getroffen“ evoziert ein dramatisches Bild vom Fall eines mächtigen Gegners. Die Individualisierung der Tat ist typisch für das barocke Heldengedicht.
Mythisch-biblische Allusionen: Der Vergleich mit „Sisaræ“ und „Jahelis Hammer“ verweist auf die biblische Erzählung aus Richter 4–5. Dort tötet Jaël den kanaanitischen Heerführer Sisera, indem sie ihm einen Zeltpflock in den Kopf treibt – eine Handlung, die im biblischen Kontext als göttlich inspirierte Tat einer Frau gefeiert wird.
• Der Text verdichtet also historische oder zeitgenössische Kämpfe in mythisch aufgeladene Bilder, was der barocken Vorliebe für Emblematik, Allegorie und biblische Typologie entspricht.

Theologische Deutungsebene

Die theologische Dimension offenbart sich durch die Einbettung in biblische Bildwelten:
Göttliche Gerechtigkeit: Die Parallele zu Jaël und Sisera lässt die dargestellte Tötung als von Gott gewollt erscheinen. In der Bibel ist Jaël eine Instrumentin göttlicher Vergeltung – ebenso scheint der hier dargestellte Sieg als Ausdruck göttlichen Willens gedeutet zu sein.
Apokalyptischer Ton: Die blutüberströmte Stadt erinnert an die alttestamentlichen Prophetenworte über das Gericht Gottes über sündige Völker. Das Bild des „überloffenen Meers“ könnte auf die Vorstellung eines strafenden Endgerichts anspielen.
Typologie: Die Verbindung von alttestamentlicher Geschichte mit zeitgenössischem Geschehen erlaubt eine Typologie – historische Gegner (z. B. osmanische Befehlshaber wie der „Bassa“) erscheinen als neue „Sisera“-Figuren, die durch „göttliche“ Werkzeuge besiegt werden.

Politische Deutungsebene

In der politischen Dimension ist der Text als Teil konfessioneller und militärischer Propaganda lesbar:
Anti-osmanische Rhetorik: Der „Bassa“ steht als Repräsentant des Osmanischen Reiches, das im 17. Jahrhundert als Bedrohung für das christliche Abendland gesehen wurde. Die Tötung des Bassa wird als Triumph des christlichen Widerstands dargestellt.
Rechtfertigung des Krieges: Der Kampf gegen die Osmanen wird durch die Bezugnahme auf biblische Kämpfer und göttliche Gerechtigkeit legitimiert. Der Text wird so zur moralischen Stütze des christlichen Kriegsengagements.
Genderpolitische Aussage: Die Hervorhebung der Jaël-Figur könnte auch als Lob auf den unerwarteten Heldenmut von vermeintlich Schwachen interpretiert werden – Frauen oder kleinere christliche Mächte, die dennoch gegen „große“ Gegner siegen, weil sie auf Gottes Seite stehen.

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