Jacob Balde
Ehrenpreiß 06
Erfahren hats der Holofern
Der Gott hat gleichen wöllen:
Der Lucifer vnd Morgenstern
Mit seinen schönen Gsellen.
Du hast den Pracht zunichten gmacht:
Vnd der verfluchten Schlangen/
Dem Höllen Fürst/ den Kopff zerknirscht/
Daß jhm der Muth vergangen.
Analyse
Jacob Baldes „Ehrenpreiß 06“ ist ein barockes geistliches Gedicht, das in der lutherischen und katholischen Tradition der marianischen Lobdichtung steht, zugleich aber die theologisch-poetischen Stilmittel des Barock auf höchstem Niveau vereint. Die vorliegende Strophe entfaltet in dichter, allegorisch-biblischer Sprache den Triumph Mariens (oder Christi) über die dämonischen Kräfte, insbesondere über Holofernes, Lucifer und die Schlange.
Diese Strophe ist ein Musterbeispiel barocker geistlicher Dichtung: Sie verbindet typologische Bibelauslegung mit einer kraftvollen Bildsprache, die den Fall der dämonischen Mächte und den Triumph Gottes – durch Maria oder Christus – in Szene setzt. Der Text ist dabei zugleich Lobpreis, Warnung und theologische Meditation über die endgültige Niederlage des Bösen durch das göttliche Heilshandeln.
I. Inhaltliche Struktur und Bedeutung
1. „Erfahren hats der Holofern / Der Gott hat gleichen wöllen“
Holofernes ist die assyrische Gestalt aus dem deuterokanonischen Buch Judith, ein tyrannischer Heerführer, der von der frommen Witwe Judith enthauptet wurde. Die Zeile spielt auf seine Hybris an: Holofernes wollte sich überhöhen, „Gott gleich“ sein – eine Anmaßung, die klassisch für Luzifer steht und ihn hier typologisch mit Satan gleichsetzt.
→ Die Strophe eröffnet also mit einem Motiv des Hochmuts und der göttlichen Vergeltung.
2. „Der Lucifer vnd Morgenstern / Mit seinen schönen Gsellen“
Lucifer – wörtlich „Lichtträger“ – war einst der schönste der Engel, der sogenannte Morgenstern, ehe er durch seinen Stolz fiel (Jesaja 14,12). Die „Gsellen“ sind gefallene Engel, d. h. Dämonen.
→ Balde stellt eine Parallele zwischen Holofernes und Luzifer her: beide stürzen durch Überhebung.
3. „Du hast den Pracht zunichten gmacht“
„Du“ ist wohl entweder Maria (in marianischem Kontext) oder Christus. Der „Pracht“ (die äußere Glorie, das Blendwerk) des Luzifers und der Seinen wurde zunichtegemacht – der falsche Glanz ist entlarvt.
→ Zentrale barocke Vanitas-Metaphorik: Schein vs. Sein.
4. „Vnd der verfluchten Schlangen / Dem Höllen Fürst / den Kopff zerknirscht / Daß jhm der Muth vergangen“
Hier kulminiert das Bild: Die „verfluchte Schlange“ verweist auf Genesis 3,15 – die „Protoevangelium“-Stelle, wo Gott verheißt, dass der Same der Frau der Schlange den Kopf zertreten wird.
→ Dies ist die klassische Stelle, die in der marianischen Theologie auf Maria gedeutet wird – sie ist die neue Eva, deren Gehorsam den Sündenfall rückgängig macht.
→ Alternativ christologisch gedeutet: Christus ist der „Same“ der Frau, der in Kreuz und Auferstehung Satan endgültig besiegt.
→ „Daß jhm der Muth vergangen“: Die dämonischen Mächte sind nicht nur besiegt, sondern auch demoralisiert – der Sieg ist total.
II. Theologische Tiefenstruktur
Anti-Hybris-Motiv: Sowohl Holofernes als auch Luzifer fallen durch ihren Stolz – dies ist barocke Theologie im Zeichen der Augustinischen Gnadenlehre: Der Mensch ist aus sich nichts, nur Gott erhöht.
Marianische Typologie: Maria erscheint als demütige Gegengestalt zu den stolzen Mächten, als humilitas gegenüber der superbia.
Apokalyptische Dramaturgie: Die Strophe zeigt eine apokalyptische Szene – nicht historisch, sondern typologisch verdichtet: Mythischer Kosmoskampf, in dem das Göttliche über das Dämonische triumphiert.
III. Sprachliche und poetische Mittel
Anapher und Parallelismus: Wiederholte Strukturen („Der…“, „Du hast…“) erzeugen liturgischen Ton.
Barocke Bildsprache: Holofernes, Luzifer, Morgenstern, Schlange, Fürst der Hölle – das Gedicht ist eine theologische Bildsprache verdichteter Allegorie.
Klang und Rhythmus: Die Reimstruktur (aabb) und der Gebrauch von Alliterationen („Pracht… zunichten gmacht“) verstärken die Wirkung des Triumphmotivs.
IV. Interpretation im barocken Kontext
Memento mori & Vanitas: Die scheinbare Macht der Welt (und des Teufels) ist trügerisch. Nur der demütige Mensch wird bestehen.
Triumph der göttlichen Ordnung: Balde schreibt aus einem Weltbild, in dem das göttliche Ordnungsprinzip letztlich siegt – über Stolz, Macht und Verblendung.
Gegenreformation & Jesuitische Poetik: Als Jesuit greift Balde auf biblische Stoffe zurück, um die Katholische Lehre von der Gnade und Marienverehrung zu poetisieren. Es ist zugleich katechetische Dichtung wie auch künstlerischer Ausdruck der Gegenreformation.