Jacob Balde
Ehrenpreiß 05
Abigail war nie so klueg/
Die David eingenommen:
Vnd die durch jhren Wasserkrueg
Den Isaac hat bekommen
Judittæ Blut vnd Heldin Muth
Vnd stärcke must verzagen.
Der vorzug ghört Mariæ Schwerde;
Was will ich lang vil sagen.
Analyse
Jacob Baldes Ehrenpreiß 05 ist ein barockes Lobgedicht auf Maria, das in dichterischer Dichte verschiedene Frauengestalten des Alten Testaments aufzählt, um am Ende die Überlegenheit Mariens herauszustellen. Der Text bewegt sich dabei zwischen biblischer Typologie, rhetorischer Überbietung und barocker Emphatik.
Der „Ehrenpreiß“ gipfelt in der Aussage, dass alle Frauen des Alten Bundes – trotz bewundernswerter Eigenschaften – gegen Maria verblassen. In ihr kulminiert die Heilsgeschichte, und ihre Rolle als Gottesgebärerin verleiht ihr eine einzigartige Größe. Diese Überbietung ist typisch für die barocke Rhetorik: Sie dient nicht nur der poetischen Schönheit, sondern der Verkündigung einer Theologie der Gnade und Erlösung, deren Zentrum Maria ist.
Balde stellt Maria über alle anderen Frauengestalten des Alten Testaments: über Abigail (klug und diplomatisch), Rebekka (symbolische Ahnfrau Israels), Judith (Kriegsheldin). Doch Maria übertrifft sie alle durch ihre geistige Stärke und Reinheit – ihr „Schwert“ ist übernatürlich und übertrifft Heldinnenmut, Klugheit und Stärke.
Jacob Balde nutzt eine Vielzahl barocker Rhetorikfiguren, um Maria in den höchsten Tönen zu preisen: Allusion, Hyperbel, Climax, Vergleich, Ellipsen und syntaktische Kühnheiten wirken zusammen, um in dichterischer Sprache eine theologisch begründete Vorrangstellung Mariens zu inszenieren. Das Ergebnis ist ein dichter und kunstvoller Lobgesang, ganz im Geiste barocker Emphatik und Religionslyrik.
Textgliederung und Inhalt
Der Text lässt sich in zwei Hauptteile gliedern:
• V. 1–6: Aufzählung exemplarischer biblischer Frauen und deren Leistungen
• V. 7–8: Steigerung und Pointe: Maria übertrifft alle
Die einzelnen Figuren stehen für bestimmte Tugenden oder Taten:
Abigail (1–2): Symbol der Klugheit – sie verhindert mit Diplomatie, dass David Blut vergisst (vgl. 1 Sam 25).
Rebekka (3–4): Die mit dem Wasserkrug – durch ihr Verhalten am Brunnen wird sie zur Frau Isaaks (vgl. Gen 24); steht für Berufung und göttliche Vorsehung.
Judith (5–6): Heldin, die Holofernes enthauptet – steht für Mut und patriotische Tatkraft (vgl. Buch Judith).
Doch dann folgt der Kontrast:
Maria (7–8): Ihre "Schwere" (d. h. Würde, Hoheit, Bedeutung) überragt alle – ihr „Vorzug“ ist nicht mehr nur eine Tugend, sondern ein transzendenter Status. Der Schlusssatz relativiert die vorhergehenden Beispiele vollständig.
Typologische und theologische Dimension
Baldes Methode ist typologisch: Alte Testamentfiguren gelten im christlichen Verständnis als Vor-Bilder oder Typen Mariens, deren wahre Erfüllung („Antitypus“) im Neuen Testament erscheint. Die überragende Stellung Mariens wird durch den Kontrast zur alttestamentlichen Frauengestalten pointiert.
Abigail: klug – aber Maria ist Sitz der Weisheit („Sedes Sapientiae“)
Rebekka: Instrument göttlicher Heilsführung – aber Maria ist Mutter des Erlösers
Judith: Retterin Israels – Maria ist Retterin der ganzen Welt durch ihren Sohn
• Somit ist Maria nicht nur moralisch überlegen, sondern sie ist heilsgeschichtlich zentral.
Rhetorik und Stilmittel
Anapher: „Die ... die ...“ (V. 1, 3) strukturiert den ersten Teil
Alliteration: „Blut und Heldin Muth“ (V. 5)
Hyperbel: Judiths Stärke „muß verzagen“ angesichts Mariens Würde
Steigerung: von Klugheit → Fruchtbarkeit → Heldenmut → Transzendenz Mariens
Parataxe: kurze Sätze, die wie Schlaglichter wirken
Antiklimax der Heldinnen als Klimax Mariens: je bedeutender die Vorbilder, desto erhabener die Überbietung
• Auch der Schlussvers ist typisch barock: „Was will ich lang viel sagen“ – ein praeteritio-ähnlicher Effekt, der das Nichtgesagte noch wirkungsvoller macht.
Barocke Marienfrömmigkeit und Gegenreformation
Jacob Balde (1604–1668), Jesuit und einer der bedeutendsten katholischen Barockdichter, steht im Zeichen der Gegenreformation. Die Verehrung Mariens war ein zentrales Element katholischer Frömmigkeit und theologisch stark aufgeladen – als mediatrix, als zweite Eva, als „neue Bundeslade“.
Das Gedicht ist weniger psychologisierend als hymnisch-typologisch: Maria erscheint nicht als individuelle Figur, sondern als ikonisches Heilszeichen. Baldes Ziel ist Verehrung, nicht Darstellung.
Metrische Struktur
Das Gedicht besteht aus zwei Strophen mit jeweils vier Versen (Quartette), wobei jeder Vers siebenzählig (heptasyllabisch) ist. Die Versfüße sind trochäisch, was dem Gedicht einen fließenden, nachdrücklichen Rhythmus verleiht:
> Ábigail war níe so klúeg (3 Hebungen)
> Díe Dávid éingenómmen (3 Hebungen)
> Vnd díe durch íhren Wásserkrúeg (3 Hebungen)
> Dén Ísaac hát bekómmen (3 Hebungen)
• Die Trochäen (betont-unbetont) geben dem Gedicht eine klare, eindringliche Bewegung, wie sie für das Barock typisch ist. Diese metrische Regelmäßigkeit unterstreicht die Feierlichkeit des Tons.
Reimform
Die Reime folgen dem Schema a b a b:
„klueg“ (a) / „Krueg“ (a)
„eingenommen“ (b) / „bekommen“ (b)
Zweite Strophe:
„Muth“ (a) / „Schwerde“ (b)
„verzagen“ (a) / „sagen“ (b)
• Allerdings ist in der zweiten Strophe ein leichter Bruch im Schema erkennbar, da „Schwerde“ sich nicht klanglich auf „Muth“ oder „verzagen“ reimt. Vermutlich handelt es sich um ein Augenreim-Phänomen (optischer Reim) oder ein dialektal oder zeitgenössisch zulässiger Halbreim. Das war in der Barockdichtung nicht ungewöhnlich, vor allem bei Balde, der gerne zwischen klanglicher Eleganz und semantischer Kraft balancierte.
Interpretation in Kürze
1. Allusion (Anspielung)
Der gesamte Textabschnitt ist durchzogen von biblischen Anspielungen:
• „Abigail“ → 1 Sam 25: weise Frau, die David mit Geschenken besänftigt.
• „Isaac“ → Bezug auf Rebekka oder Rahel; gemeint ist die Frau, die durch ihren Wasserkrug Isaaks Braut wird (Gen 24:14ff).
• „Judittæ Blut“ → Buch Judit: Heldin, die Holofernes enthauptet.
• „Mariæ Schwerde“ → Anspielung auf das Schmerzensschwert Mariens (vgl. Lk 2,35: „dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen“).
• Diese Allusionen setzen tiefes Bibelwissen voraus und steigern Mariens Erhabenheit, indem sie sie mit anderen biblischen Frauen kontrastiv übertrifft.
2. Hyperbel (Übertreibung)
> „Judittæ Blut vnd Heldin Muth / Vnd stärcke must verzagen.“
• Hier wird übertrieben formuliert, dass selbst die blutige Heldin Judith angesichts Mariens überragender Tugendkraft „verzagen“ müsste. Die Hyperbel dient der ekstatischen Steigerung Mariens.
3. Vergleich und Kontrast
Der ganze Aufbau folgt dem Schema:
• Andere berühmte Frauen = großartig, aber Maria = übertrifft sie alle.
• Diese Art von implizitem Antithetischem Vergleich ist typisch für barocke Hierarchisierung – insbesondere in der marianischen Lobdichtung.
4. Climax (Steigerung)
Die Aufzählung der Frauen ist so angelegt, dass die Größenordnung ihrer Leistungen immer heldenhafter erscheint:
• kluge Abigail →
• Frau mit dem Wasserkrug (ein Zeichen göttlicher Führung) →
• Judith, die Kriegerin →
→ aber Maria übertrifft sie alle.
• Diese Klimax gipfelt im Vers:
> „Der vorzug ghört Mariæ Schwerde“
5. Elliptischer Stil
> „Was will ich lang vil sagen.“
• Dieser verkürzte Ausdruck (Ellipse) schafft einen abrupten rhetorischen Umschlag: Nach der Steigerung erfolgt eine quasi resignierende Einsicht – weiteres Reden sei überflüssig, denn Mariens Vorrang ist offenkundig.
6. Enallage / Hypallage
Die Stelle „Judittæ Blut vnd Heldin Muth“ kann als Enallage gedeutet werden, da die Attribute so verschoben sind, dass sie poetisch wirken (z. B. „Blut“ steht für Taten, eigentlich nicht direkt Judits „Besitz“).
7. Anakoluth / Parataxis mit Umstellung
Balde nutzt barocktypisch die syntaktische Freiheit:
> „Abigail war nie so klueg / Die David eingenommen“
• Formal „ungrammatisch“, aber rhetorisch wirkungsvoll: Der Relativsatz hängt lose an einem Nominalausdruck. Solche anakoluthischen Konstruktionen verstärken die mündlich-rhetorische Wirkung.
8. Asyndeton
> „Judittæ Blut vnd Heldin Muth / Vnd stärcke must verzagen“
• Die wiederholte Konjunktion „und“ täuscht Kohärenz vor, doch im Rhythmus wirkt es aufgezählt und parataktisch zersetzt – ein typisches Stilmittel der barocken Kunstsprache.
9. Ironie / captatio benevolentiae
Indirekt spürbar: Der Sprecher stellt scheinbar objektiv große Frauen dar, nur um sie am Ende als unterlegen zu entlarven. Diese Technik kann als subtile Ironie gedeutet werden und zugleich als rhetorische captatio benevolentiae, um das Publikum an sich zu binden.