Ehrenpreiß 04

Jacob Balde

Ehrenpreiß 04

Der Anna Leibsfruche deinem Kind
Ist gantz nit zuvergleichen:
Vnd was ich guts in Sara find/
Muß eben so wol weichen.
Die Rachel zwar die schönste war/
Der Jacob offt thet rüffen:
Doch gegen jhr/ weissag ich jhr/
Wirdt sie wie Lia trieffen.

1. Einordnung und Kontext

Dieses Gedicht ist Teil eines Zyklus, der vermutlich der Gottesmutter Maria gewidmet ist und ihren Sohn – Jesus Christus – über die alttestamentlichen Vorbilder stellt. Der Titel verweist auf Anna, die Mutter Marias, also auf Marias Geburt, die hier verherrlicht wird. Balde preist das „Kind“ Annas – Maria – über alle anderen biblischen Frauengestalten hinaus.
Jacob Balde erschafft mit diesem kurzen Gedicht eine theologisch tiefgründige und sprachlich dichte Huldigung an Maria, indem er sie über die berühmtesten Frauen des Alten Testaments erhebt. Durch raffinierte Kontraste, Prophetensprache und biblische Anspielungen gelingt ihm eine Steigerung, die nicht nur Maria erhöht, sondern die geistige Erneuerung im Neuen Bund betont. Es ist ein Beispiel barocker Frömmigkeit in hochpoetischer Form – mit scharfer Rhetorik und zarter Frömmigkeit zugleich.

2. Inhaltliche Analyse

Das Gedicht umfasst zwei Strophen mit jeweils vier Versen und ist kunstvoll gebaut. Inhaltlich verfolgt Balde eine klare steigernde Gegenüberstellung: Er nennt bedeutende Frauenfiguren des Alten Testaments – Sara, Rachel, Lia – und relativiert deren Bedeutung gegenüber Anna bzw. deren Tochter Maria.
Vers 1–2:
> „Der Anna Leibsfruche deinem Kind / Ist gantz nit zuvergleichen“
• Hier wird das Kind der Anna – also Maria – gepriesen. Die Geburt Marias ist von solcher Bedeutung, dass kein anderes Kind aus dem Alten Testament ihr vergleichbar ist. Es handelt sich um eine Hyperbel, also eine bewusste Übertreibung, um die Einzigartigkeit Marias zu betonen. Der Begriff Leibsfrucht (ein typisch barockes Wort für Nachkommen) betont die körperliche Dimension der Geburt.
Vers 3–4:
> „Vnd was ich guts in Sara find / Muß eben so wol weichen.“
• Die erste Vergleichsperson ist Sara, die Frau Abrahams, die trotz ihres hohen Alters Isaak gebar. Sie gilt als Symbol für Glauben und Gottesverheißung. Doch Balde erklärt: selbst das Gute an Sara verblasst vor Anna und Maria. Das „muß weichen“ ist ein starkes Bild der Unterordnung.
Vers 5–6:
> „Die Rachel zwar die schönste war / Der Jacob offt thet rüffen“
• Rachel, Jakobs geliebte Frau, wird hier für ihre äußere Schönheit erwähnt. Die „Rufe Jakobs“ verweisen auf seine Liebe und Sehnsucht. Doch diese sinnliche Schönheit ist aus Sicht Baldes ebenfalls unzureichend im Vergleich zu Maria. Die Schönheit wird nicht abgewertet, aber in eine himmlische Hierarchie eingeordnet.
Vers 7–8:
> „Doch gegen jhr/ weissag ich jhr/ Wirdt sie wie Lia trieffen.“
• Dieser Vers ist besonders kunstvoll. Balde spielt mit den biblischen Gegensätzen Rachel/Lia: Lia war die unattraktivere Schwester, die Jakob zuerst heiraten musste. Hier wird prophezeit (weissag ich jhr), dass Rachel gegenüber Maria so verblassen wird, wie Lia gegenüber Rachel. Das ist eine raffinierte antithetische Steigerung: Rachel, die sonst überstrahlt, wird selbst zur „triefenden Lia“.

3. Sprachliche und rhetorische Mittel

Allusionen: Der Text ist durchzogen von biblischen Anspielungen auf Genesis (Sara, Rachel, Lia).
Hyperbel: Die Einzigartigkeit Marias wird übersteigert, um ihre Heiligkeit zu betonen.
Antithese: Rachel vs. Lia; Maria wird indirekt zur „neuen Rachel“, ja darüber hinaus zur transzendierenden Figur.
Klang und Rhythmus: Die Reimstruktur (Paarreim: aabb ccdd) und die alternierenden Hebungen verleihen dem Text musikalische Geschlossenheit.
Ironische Umkehrung: Rachel wird von der Schönsten zur „triefenden Lia“, was eine bildhafte Verwandlung der Schönheit in Bedeutungslosigkeit ist.

4. Theologische Bedeutung

• Im Zentrum steht die katholische Marienverehrung. Maria wird als neues Zentrum der Heilsgeschichte verstanden – der „Leibsfrucht Annas“, durch die der Erlöser geboren wird. Die Frauen des Alten Bundes stehen für alte Verheißungen, erfüllte Fruchtbarkeit, aber sie können mit der geistigen Fruchtbarkeit Mariens nicht mithalten.
• Die Aufwertung Marias ist auch eine indirekte Aufwertung des Neuen Bundes über den Alten, wie sie in der barocken Frömmigkeit üblich war. Balde, als Jesuit, folgt hier der katholischen Mariologie, die Maria als makellos und übernatürlich betrachtet – über jede „natürliche“ Mutter hinaus.

5. Barocke Welt- und Sprachauffassung

Das Gedicht ist ein typisches Beispiel barocker Dichtung:
• Hierarchisches Denken (alttestamentliche Frauen < Maria)
• Biblische Typologie (Figuren des Alten Testaments als Vorbilder/Typen für Neues)
• Metaphorische Sprache (Leibsfrucht, trieffen, weichen)
• Kunstvolle Form als Ausdruck göttlicher Ordnung

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