Jacob Balde
Ehrenpreiß 03
Was in der Welt so manigfalt
Zierlichs ist außgeflossen:
Wirdt in vergleichung deiner gstalt
Verworffen vnd verstossen/
Die gröste Krafft/ den besten Safft/
Die fünfft Essentz der Gaaben/
Soll/ wie man sagt/ deß Herzen Magd
Vom Sohn empfangen haben.
Analyse
Die Strophe aus Baldes Ehrenpreiß ist ein brillantes Beispiel für barocke Hochsprache: Sie verbindet überreiche Metaphorik mit theologischer Tiefe und rhetorischer Kunst. In ihr begegnet man einer Synthese aus Weltverachtung und transzendentalem Lob, aus Naturalismus und Spiritualität. Alles in der Welt – so schön es auch sei – wird als minderwertig erkannt im Licht der vollkommenen Gestalt, die durch göttliche Gnade „den besten Safft“ in sich trägt: eine barocke Apotheose der göttlichen Schönheit und Gnade in weiblicher Gestalt.
Textnahe Analyse
„Was in der Welt so manigfalt / Zierlichs ist außgeflossen“
Der Eingang der Strophe eröffnet mit einer typischen barocken Weltschau: Die Welt ist reich an „manigfalt Zierlichs“, also vielfältiger Schönheit, Anmut und geschaffener Herrlichkeit. Der Ausdruck „außgeflossen“ evoziert dabei eine fast mystische Vorstellung einer göttlichen Quelle, aus der alle Zierlichkeit gleichsam überfließt – ein Bild, das an platonische Ideen vom Abbild des Urbildes erinnert.
„Wirdt in vergleichung deiner gstalt / Verworffen vnd verstossen“
Hier beginnt der eigentliche Ehrenpreiß, der Preisgesang: Alles Weltliche wird im Vergleich zu der besungenen Gestalt – gemeint ist wohl Maria, die Mutter Jesu, oder in anderer Lesart die Kirche oder gar die göttliche Weisheit – als unzureichend verworfen. Das Motiv der negatio oder diminutio mundi ist ein klassischer Topos der barocken Dichtung: Alles Irdische wird im Licht des Göttlichen relativiert oder sogar negiert.
„Die gröste Krafft / den besten Safft / Die fünfft Essentz der Gaaben“
Diese Zeile bringt ein alchemistisches Bild ins Spiel. Die „fünfte Essenz“ (quinta essentia) ist ein Begriff aus der Alchemie und Philosophie, der das reinste, edelste und vollkommenste Element meint – das, was nach dem Herauslösen alles Unreinen übrigbleibt. Damit wird die besungene Gestalt als das destillierte Zentrum aller Gaben, Kräfte und Tugenden beschrieben. Die Formulierung zeigt, wie barocke Dichtung sich naturphilosophischer, alchemistischer und theologischer Bilder gleichzeitig bedienen kann, um ein Höchstmaß an Ausdruckskraft zu erzielen.
„Soll / wie man sagt / deß Herzen Magd / Vom Sohn empfangen haben.“
Der Schlussvers bringt eine paradoxe theologische Wendung. Die „Magd des Herzens“ ist eine ungewöhnliche, aber tief symbolische Metapher – wohl für Maria, die ancilla Domini, die Magd des Herrn, die das göttliche Wort in ihrem Herzen trägt. Doch nun wird gesagt, sie habe „vom Sohn empfangen“. Dies ist mehrdeutig: Einerseits verweist es auf die Inkarnation – Maria empfängt Christus. Andererseits ist die Wendung seltsam umgekehrt, fast so, als sei sie nicht bloß Empfängerin, sondern durch den Sohn selbst begabt worden – vielleicht eine Anspielung auf die Gnadenfülle Mariens, wie sie in der katholischen Theologie seit der Scholastik gedacht wird: gratia plena.
Interpretation im weiteren Kontext
• Jacob Balde, ein Jesuit, steht ganz in der Tradition der katholischen Gegenreformation und der barocken Emblematik. In dieser Dichtung wird die Gestalt Mariens nicht nur idealisiert, sondern sie wird zur Überfigur, zur Verkörperung alles Vollkommenen. Die Welt, so reich sie erscheinen mag, verblasst in ihrer Gegenwart.
• Gleichzeitig ist das Gedicht auch ein Spiegel barocker Denkweise: Der Gegensatz von Schein und Sein, von irdischer Pracht und göttlicher Wahrheit, wird rhetorisch ausgespielt. Die Verwendung von Begriffen wie „Krafft“, „Safft“ und „Essentz“ zeigt die Verbindung zur frühneuzeitlichen Naturphilosophie, während das Bild der „Magd“ klar auf die biblische Mariologie zurückgeht.
• In der Wendung „vom Sohn empfangen haben“ kann man schließlich eine barocke Chiasmusstruktur erkennen, in der sich Oben und Unten, Zeit und Ewigkeit, Ursache und Wirkung überlagern. Dies ist nicht rational auflösbar, sondern Ausdruck einer mystischen Verklammerung: Die Magd empfängt den Sohn – und empfängt von ihm zugleich die höchste Fülle aller Gaben. Es ist ein zeitenthobener, paradoxaler Gnadenakt.