Jacob Balde
Ehrenpreiß 02
Demütig sey von mir gegrüßt/
Nimb gnädig an diß grüssen:
Von der sovil der Gnaden flüßt/
Was jmmer her thut fliessen.
Der dich erwöhlt hat/ vnd gewölt/
An deinen Brüsten saugen:
So schön er ist/ so schön du bist/
Er scheint dir auß den Augen.
Analyse
Die Strophe aus Jacob Baldes Ehrenpreiß 02 ist ein dicht verdichteter, barocksprachlicher Lobgesang, der Mariens Demut und Gnadenfülle preist und zugleich eine mystisch-erotische Bildsprache verwendet, um das Verhältnis zwischen Maria und Christus – und damit zwischen Maria und dem Glaubenden – darzustellen. Nachfolgend erfolgt eine Analyse und Interpretation aus theologischer, poetischer, barocker und sprachlicher Perspektive.
Sie ist ein dichtes Beispiel für barocke Marienverehrung: Demut und Huldigung des Dichters verbinden sich mit einer mystischen Darstellung Mariens als Gnadenspenderin und Spiegel ihres Sohnes. Die poetische Form transportiert zugleich eine intime, fast erotische Nähe zur Gottesmutter, ohne die theologische Tiefe zu verlieren. In ihrer Schönheit spiegelt sich die Schönheit Christi – und im Blick der Maria erscheint der göttliche Sohn selbst. Damit wird Maria zur Schnittstelle zwischen Himmel und Erde, zwischen Mensch und Gott.
1. Inhalt und Aufbau
Die acht Zeilen bilden zwei vierzeilige Strophen mit alternierendem Reimschema (abab/cdcd). Der Sprecher richtet sich direkt an Maria in einer anbetenden und unterwürfigen Haltung:
• V. 1–4: Eröffnung in tiefer Demut; der Sprecher bittet Maria um Gnade und richtet ein demütiges Grußwort an sie.
• V. 5–8: Beschreibung Mariens als Auserwählte Gottes, aus deren Augen Christus selbst scheint – eine mystische Verschmelzung von Mutter und Sohn.
2. Theologische Deutung
Maria erscheint hier in ihrer Rolle als Gnadenvermittlerin – ein zentrales Thema der katholischen Marienverehrung, besonders im Barock:
• „Demütig sey von mir gegrüßt“: Das Ave Maria wird personalisiert und in Demut dargebracht.
• „Von der so vil der Gnaden flüßt“: Maria wird als Gnadenquell beschrieben, eine Anspielung auf den marianischen Ehrentitel mater gratiae (Mutter der Gnade).
• „Der dich erwöhlt hat“: Gott hat sie erwählt – eine Anspielung auf die unbefleckte Empfängnis und Erwählung zur Gottesgebärerin.
• „An deinen Brüsten saugen“: Christus, der menschgewordene Gott, hat aus ihrem Leib gelebt. Ihre leibliche Mutterschaft ist Ausdruck ihrer spirituellen Größe.
• „Er scheint dir aus den Augen“: Der Sohn ist in der Mutter sichtbar – eine theologisch tiefgründige Mystik: Maria ist Christophora, Trägerin und Spiegel Christi.
3. Poetische und rhetorische Mittel
Apostrophe: Direkte Anrede an Maria schafft Intimität und Hingabe.
Metaphorik der Fülle: „fließt“, „saugen“, „Gnaden“ – ein semantisches Feld des Überflusses, das göttliche Gnade als lebensspendende Kraft betont.
Spiegelbildlichkeit: „So schön er ist, so schön du bist“ – Maria als Spiegel des Sohnes, eine bildliche Umsetzung von imago Dei.
Mystisch-erotisches Bild: Das Stillmotiv (Christus an der Brust) evoziert Nähe, Fleischwerdung, zärtliche Liebe – typisch für barocke Marienmystik, etwa auch bei Johannes vom Kreuz oder in der Brautmystik.
4. Barocke Frömmigkeit und Ästhetik
Jacob Balde war ein Jesuit und Vertreter des katholischen Barocks. In dieser Epoche waren Mystik, Sinnlichkeit und Rhetorik eng verwoben:
Kontrastmittel: Das Gedicht lebt vom Gegensatz zwischen der Demut des Beters und der überragenden Würde Mariens.
Affektbetonte Sprache: Emotion, Demut, Bewunderung – die religiöse Erfahrung wird sinnlich und sprachlich intensiviert.
Typisch barocke Topoi: fließen der Gnaden, Erwählung, Spiegelung, inneres Sehen (Christus in den Augen Mariens) – alles barocke Chiffren für die Verbindung von Diesseits und Jenseits.
5. Sprachliche Beobachtungen
Orthographie und Grammatik: Die Großschreibung, u.a. bei Verben („sey“, „thut“), ist barockzeitlich typisch und stilisiert.
Archaismen: „diß“, „vnd“, „jmmer her“ – verweisen auf die Sprachstufe des Frühneuhochdeutschen.
Satzbau: Die Klammerstellung und die rhythmisch symmetrische Struktur dienen der emphatischen Verstärkung des Inhalts.