Jacob Balde
Ehrenpreiß 01
Ach! wie lang hab ich schon begert
Maria dich zuloben:
Nit zwar als wie du wirst verehrt
Im hohen Himmel oben.
Diß wer vmbsonst/ mein gringe Kunst
Wirdt an der Harpffen hangen:
Vnd dises Lied mit gantzem Gmüt
Tieff in dem Baß anfangen.
Analyse
Jacob Balde, ein bedeutender Vertreter der süddeutschen Barockdichtung und Jesuit, vereinte in seiner religiösen Dichtung rhetorische Virtuosität, musikalische Struktur und tiefe Innerlichkeit. Das Gedicht „Ehrenpreiß 01“ ist ein paradigmatisches Beispiel für diese barocke Frömmigkeit, die sich im Spannungsfeld von Demut, Kunstbewusstsein und religiöser Ekstase entfaltet.
Jacob Balde gestaltet in diesem Gedicht ein innerlich bewegtes Selbstporträt des frommen Dichters. Die Spannung zwischen künstlerischem Anspruch und religiöser Demut, zwischen musikalischer Ausdruckskraft und theologischer Hochachtung formt ein typisch barockes Bild: Der Dichter als Staunender, als Lobender, aber immer im Bewusstsein seiner Grenzen vor dem Absoluten. Die tiefe emotionale Tonlage („tieff in dem Baß“) verweist darauf, dass wahrer Lobpreis nicht in der Virtuosität, sondern in der Innerlichkeit wurzelt.
1. Formale und sprachliche Aspekte
Strophenform und Sprache:
Der Text ist in einer vierzeiligen Strophe mit durchgehendem Kreuzreim verfasst (abab), wobei der Rhythmus einem Liedtext entspricht und vermutlich vertont wurde oder zumindest zum Singen gedacht war. Die Sprache ist ein typisches Frühneuhochdeutsch mit barocken Formulierungen: „zuloben“, „diß wer vmbsonst“, „gringe Kunst“, „gantzem Gmüt“. Die Wortwahl oszilliert zwischen Innigkeit und Erhabenheit.
Klang und musikalischer Bezug:
Der Text ist durchsetzt mit musikalischen Metaphern („Harpffen“, „Lied“, „Baß anfangen“), die auf die rhetorische Affinität zwischen Dichtung und Musik im Barock hindeuten. Diese Verklanglichung ist nicht bloß dekorativ, sondern trägt zum Ausdruck innerer Bewegung bei.
2. Inhaltliche Analyse
a. Die Anrufung Mariens
> „Ach! wie lang hab ich schon begert / Maria dich zuloben“
• Der erste Vers setzt mit einem seufzenden „Ach!“ ein, das emotionales Verlangen ausdrückt. Das lyrische Ich stellt sich als jemanden dar, der seit langer Zeit das Lob Mariens ersehnt – eine häufige Topik in der marianischen Dichtung. Dieses „Begeren“ verweist sowohl auf die Sehnsucht nach Nähe zu Maria als auch auf den Wunsch, sie würdig zu preisen.
b. Demut vor dem himmlischen Maß
> „Nit zwar als wie du wirst verehrt / Im hohen Himmel oben.“
• Hier relativiert das Ich seinen Anspruch: Es kann Maria nicht in der Weise loben, wie sie von den himmlischen Chören (Engeln, Heiligen) verehrt wird. Diese Selbsteinschränkung verweist auf barocke Demutsrhetorik, die sowohl ehrlich gemeinte Unterwerfung als auch poetische Strategie sein kann.
c. Reflexion über die eigene Kunst
> „Diß wer vmbsonst/ mein gringe Kunst / Wirdt an der Harpffen hangen“
• Die dichterische Leistung des Ichs wird als „gringe Kunst“ bezeichnet – ein Akt der Selbsterniedrigung im Angesicht des göttlichen Gegenstandes. Das Bild „an der Harpffen hangen“ lässt zwei Lesarten zu:
• Die Kunst verstummt aus Ehrfurcht.
• Die Kunst ruht, wartet auf göttliche Eingebung oder Erlaubnis.
d. Musikalisch-innerliche Hinwendung
> „Vnd dises Lied mit gantzem Gmüt / Tieff in dem Baß anfangen“
• Das Gedicht schließt mit einem musikalischen Bild: Das Lied wird mit „gantzem Gmüt“ (ganzem Gemüt) und „tieff in dem Baß“ begonnen. Dies verbindet Tiefe (emotional wie musikalisch) mit einer gewissen Gravitas und Festlichkeit. Die Wahl des Basses als Einstieg verweist auf barocke Affekte: Der Bass ist tragend, ernst, erdig – ein Symbol für Innerlichkeit, Fundament und Demut.
3. Barocke Frömmigkeit und Poetik
• Das Gedicht lässt sich in den Kontext der barocken Emblematik und marianischen Verehrung stellen. Es geht um:
• Innere Bewegung (movens): Das Gefühl der Unzulänglichkeit treibt den Sprecher dennoch dazu, Maria zu loben.
• Demutstopos: Die eigene Schwäche wird nicht kaschiert, sondern zum Ausgangspunkt der poetischen Erhebung gemacht.
• Integration der Musik: Die Harfe, das Lied, der Bass sind nicht nur musikalische Bilder, sondern Ausdrucksmittel einer affektiven Theologie.
4. Theologische Deutung
Die Figur der Maria ist hier nicht primär dogmatisch konturiert, sondern mystisch-emotional. Sie ist das Ziel des „Begeren\[s]“, eine Art Mittlerin, die gelobt werden soll, aber in einer Weise, die das menschliche Maß überschreitet. Die Grenze zwischen der eigenen künstlerischen Fähigkeit und der göttlichen Erhabenheit wird bewusst thematisiert – ein zentrales Thema der barocken Spiritualität.