LYRIK & VERSDICHTUNG

Otto Julius Bierbaum

Ausgewählte Gedichte
Gemma

Leier und Rad

Da es nun wieder Frühling geworden ist,
Ziemts dem Poeten, die werte Leier,
Die, gelehnt an das ungeölte
Zweirad, gänzlich verstaubt hinter dem Kleiderschrank
Lange mit Mißmut ruhte, hervorzuziehn.

Wahrlich! (so ruft er und schlägt mit Macht,
Pingtütüping, in die schnarrenden Saiten)
Wahrlich! Diesmal verlohnt es sich,
Frühlingslieder zu rupfen voll Inbrunst.

Siehe, es schlagen nicht bloß die Bäume aus,
Sondern auch Russen sowohl wie Japaner, und
Möglichenfalls, ehe es Sommer wird,
Gibts auch auf dem biederen Balkan
Die mit Recht so beliebte Metzelsuppe.

Ja, die Welt wird schöner mit jedem Tag!
Einige Primeln schon fand ich an Waldes Rand,
Und die Amsel mit gelbem Schnabel singt
Angenehm im Birnbaumzweigicht.

Frischer Schnittlauch, siehe, spitzt auch hervor,
Und mir ahnt es, über ein kleines, bald,
Bald entzupf ich dem lockeren Erdreich
Schamhaft errötende Frühradieschen,
Bis dann endlich der dreimal gepriesene
Tag des andachtsvollen, ersten
Spargelstechens ambrosisch herannaht.

Wird, bis dies sich begibt, die Knute
Oder der Bambusprügel den Sieg
Im mandschurischen Schnee gewonnen haben?
Diese Frage (das merkt jeder Erfahrene)
Ist rhetorisch gemeint, und niemand
Wartet auf Antwort darauf. – Der Dichter
Stellt das Leiergestell behutsam
Wieder hinter den Kleiderschrank.

Aber mit prüfendem Ohre schiebt er
(Weh, wie wimmerts und pfeifts in den Lagern!)
Langsam das Zweirad hervor und läßt ihm
Kundigen Sinns am entsprechenden Orte
Sanft einschlüpfenden Öls genug
In die vertrockneten Lager träufeln.

Dies getan, ergreift er mit hurtiger
Hand die zum Lenken bestimmte Stange,
Setzt mit Mut und Anstand die linke
Sohle auf den gekerbten Stift am
Hinterrade und hupft mit dem rechten
Beine gewaltig ein-, zwei-, dreimal,
Bis er, gelobt sei der Geist der Balance,
Sicheren Schwunges sich hebt in den Sattel
Und mit dem Rhythmus, der Dichtern eigen,
Ruhig hinauspedalt in die Landschaft.
Zwei Künstlerinnen

Die heilige Cäcilie versteht sich, wie man weiß,
Sehr wohl auf das Harmonium
Und spielt dem lieben Gott zum Preis
Sehr schön darauf herum.
Doch ist sie mehr des Zarten froh
Und liebt das Pianissimo
Und schmelzende Andante,
Weil sie, wie jede Künstlerin,
Mit feinem und erfahrnem Sinn
Erkannte:
Dies enchantiert mein Publikum,
Engel und Anverwandte.

Bellona hörte lange schon
Der Hymnen und Choräle Ton
Mit vielem Mißbehagen.
Darum begann
Sie dann und wann
Die Pauke schon zu schlagen.
Bald war sie dort, bald war sie da
Mit ihrer groben Musika.
Seis auf den Philippinen,
Seis in Südafrika,
Wo sie mit frohen Mienen
Schon viele Hörer sah.
Jedoch, das Rechte ward es nie.
Bellona zog die Stirne kraus
Und murmelte verdrießlich:
So eine kleine Sinfonie
Kann schließlich
Auch Doktor Richard Strauß.
Ich brauch noch viel mehr Blech und Krach,
Bei dem Gewimmer wird mir schwach;
Oh, hätt ich Massen, Massen,
Mein ganzes Seelenungestüm
In einem Fugenungetüm
Gewaltig loszulassen.

Indessen zog Cäcilia
Mit Inbrunst die Harmonika
Und fand (bei ausverkauftem Haus)
Auf Himmel und Erden viel Applaus,
Wobei der Zar
Der allerbegeistertste Klatscher war.

Das wurmte Bellonen,
Es ist nicht zu sagen,
Wie sehr.
Sie schleppte Kanonen
Und Pulverwagen
Daher.
Und prüfte die Zünder
Und putzte die Schlünder
Und fand:
Es war das Orchester
Der Monsterballester
Im trefflichsten Stand.

Und blies dem Zaren ins Ohr:
Du Tor!
Was sitzst du im Parkette
Und lauschst den Säuselein
Von Geigen und Schalmein
Der himmlischen Motette!
Dabei schläfst du noch ein,
Und könntst doch selbst der Geister
Lebendigster Töne-Meister:
Der Welt-Kapellenmeister sein.

Das ist das Amt des Zaren!
Die ehmals der Tataren
Blutge Bezwinger waren,
Sind deine Ahnen, Zar!
Du sollst, wie sie, dich strecken,
Ostwärts die Pranken recken,
Ganz Asien soll bedecken
Mit seinem Flügelpaar
Moskowiens Doppelaar.
Es ist bei den Mongolen
Noch viel für dich zu holen;
Doch wird es dir gestohlen,
Greifst du nicht hurtig zu,
Von gelben Hundehorden,
Die schon zu frech geworden,
Weil du in Mollakkorden
Versinkst zu fauler Ruh.
Auf, auf! Es gilt ? tout.

Zar Nikolaus der Gute,
Der hörte das nicht gern,
Es wurde weh zumute
Dem zartgemuten Herrn;
Er dachte an den stillen Haag,
Wo man mit delikaten
Reden, von ihm geladen,
Der Frage des ewigen Friedens pflag.

Indessen, wenn er auch privat
Dem Ideale huldigt,
Es weiß der Zar, was er dem Staat
Als Landesvater schuldigt.
Man kann nicht immer, wie man mag.
Sein Herz blieb freilich in dem Haag
(Und wird dort ewig, ewig bleiben),
Doch sein Verstand,
Der hat erkannt,
Wo jetzt der Hase im Pfeffer lag,
Und daß durchaus es nötig sei
(Hauptsächlich von wegen der Mandschurei),
Die gelben Hunde zu Paaren zu treiben.
Und lehnte mit gesenktem Schädel
Den schönen Friedenspalmenwedel
In eine stille Ecke, wo
Baronin Suttner täglich ihn
Einstäubt mit echtem Zacherlin
In einem Futterale von dickem Kaliko.

Bellona aber, toll vor Freude, fuhr
Auf einem feurig roten Wolkenballen
Zum Fluß Amur,
Nahm einen Tannbaum in die Greifenkrallen,
Taucht ihn in Blei und schrieb damit (in Dur
Zumeist, wie sich versteht) auf eine Riesenfläche
Von Schnee die neue große Partitur
Der Sinfonie des Massenmords. Die Bleche
Sind nicht darin gespart, und auch das Schlagwerk nicht.
Kanonisch baut sich auf das furchtbare Gedicht
In Tönen, die den Erdball beben machen
Und selbst des Himmels Donner überkrachen,
Geschweige denn Cäciliens Litanein.

Die stellt das Spielen jetzt wohl eine Weile ein.
Seeschlacht mit Mondschein

Baßtief brüllen die Kanonen,
Fistelnd zischen Torpedonen
Durch des Meers bewegte Flut;
Zu Bellonas Orgelweisen
Muß ins harte Seegras beißen
Manch ein Krieger hochgemut.
Stahlgußbomben, Stahlgußplatten
Sieht man tödlich sich begatten;
(Was mit vielem Lärm geschieht,
Weil bei diesem Kopulieren
Als Trauzeugen assistieren
Dynamit und Melinit.)

Kessel platzen, Schiffe sinken,
Niederträchtge Gase stinken,
Pulverdampf bedeckt das Meer,
Abgerißne Arm und Beine
Schwimmen still im Mondenscheine
Auf der salzgen Flut umher.

Und der biedre Vollmond zwinkert,
Daß es auf den Wellen blinkert,
Und er spricht: »Das ist gewiß:
In der hohen Kunst, zu morden,
Sind geschickter sie geworden
Seit der Schlacht bei Salamis.

Seit in seinen Mußestunden
Jener Mönch die Kraft erfunden,
Die den Tod von weitem speit,
Brachten sies, das muß man sagen,
In der Kunst, sich totzuschlagen,
Wirklich ganz erstaunlich weit.

Selbst die Mongolomalaien
Haben das Verderbenspeien
Den Europäern abgeguckt, –
Was gewiß durchaus kein kleines,
Nein vielmehr ein ungemeines
Zivilisationsprodukt.

Sollte mans für möglich halten?
Die in nichts für Meister galten,
Als der Kunst geschliffenen Lacks,
Machten schon, wie ungeschliffen!
Aus armierten Russenschiffen
Völlig desarmierte Wracks.

Und sie schleudern Zuckerhüte
Von nicht mindrer Kraft und Güte,
Als der Russe schleudert; ja
Im Torpedomanövrieren
Scheinen sie zu exzellieren,
Wie ich selbst es noch nicht sah.

Intressant, muß ich gestehen,
Ist es mir, das anzusehen,
Der ich doch sonst sehr blasiert:
Schließlich siegen die Japaner,
Und das Reich der Wuttkianer
Wird von Osten kultiviert.

Welche hohe, weite, tiefe
Wundersame Perspektive:
Der Mikado schenkt am End
Jenen knutenfrommen, biedern
Und bescheidenen Moskowitern
Das erträumte Parlament.«

Also sprach der Mond. Da krachte,
Bum, ein Schuß, und sachte, sachte
Kroch er in den Wolkensack.
Brummelte nur noch verdrießlich:
»Komms, wies kommen mag; denn schließlich
Ist mir wurscht das ganze Pack.

Ob der Weiße, ob der Gelbe
Siegt: es bleibt ja doch dasselbe,
Wie es war und wie es ist:
Daß, bei noch so schönen Reden,
Von den Menschen jeder jeden,
Wenn er Appetit hat, frißt.

Wünsch gesegnete Verdauung
Und heroische Erbauung,
Wie es üblich, als Dessert!«
– Donnern, Heulen, Zischen, Krachen, –
Rot von riesigen Blutbreilachen
Wird das aufgerührte Meer.

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