che tu mi meni là dov’or dicesti,
sì ch’io veggia la porta di san Pietro
e color cui tu fai cotanto mesti».
Allor si mosse, e io li tenni dietro.
poetisch-fließend
So führe mich nun, wie du eben sprachst,
damit ich sehe das Tor des heiligen Petrus
und jene Seelen, die du so beklagenswert nennst.
Da ging er fort, und ich folgte ihm nach.
wörtlich-treu
Dass du mich nun führst, wie du zuvor gesagt hast,
sodass ich das Tor des heiligen Petrus sehe
und jene, die du so traurig beschrieben hast.
Daraufhin setzte er sich in Bewegung, und ich folgte ihm.
emotional-intensiviert
So nimm mich mit, wie du es eben versprachst,
damit ich das Tor des Petrus schauen darf,
und all die Seelen sehen kann, von denen du mit solcher Trauer sprachst.
Da ging er los – und ich war hinter ihm.
Vers 133: che tu mi meni là dov’or dicesti
Inhalt: Dante willigt ein, sich von Vergil führen zu lassen.
• Syntax/Struktur: „che“ leitet eine Relativkonstruktion ein; „meni“ = Konjunktiv Präsens von menare (führen); „or“ = archaisch für ora (jetzt, soeben).
• Bedeutung: Dante übernimmt nun bewusst den Vorschlag Vergils, was einen Willensakt signalisiert – er unterwirft sich der Führung.
• Theologisch-allegorisch: Das Einverständnis symbolisiert den freien Willen, der sich der göttlichen Vernunft (Vergil als Ratio) unterordnet.
Vers 134: sì ch’io veggia la porta di san Pietro
Inhalt: Ziel ist es, das „Tor des heiligen Petrus“ zu erreichen.
• Bildlichkeit: Die „porta di san Pietro“ steht allegorisch für den Eingang zum Paradies (über das Purgatorium).
• Symbolik: Petrus ist der Hüter der Himmelspforte (vgl. Matthäus 16,19: „Dir will ich die Schlüssel des Himmelreichs geben“).
• Eschatologische Bedeutung: Dante zielt bereits im ersten Canto auf das teleologische Ziel der gesamten Commedia: die selige Schau Gottes – das Tor ist die Schwelle zum Heil.
Vers 135: e color cui tu fai cotanto mesti
Inhalt: Er will „jene“ sehen, „die du so traurig beschrieben hast“.
• Interpretation: Gemeint sind die Seelen der Verdammten – Dante will verstehen, was das Leiden bedeutet.
• Rhetorik: „cotanto“ (so sehr) verstärkt das Mitleid, das Vergil schon vorher ausdrückte. Dante teilt nun diese emotionale Haltung.
• Ethischer Aspekt: Das Verlangen, Leid zu sehen und zu verstehen, ist hier nicht voyeuristisch, sondern Ausdruck eines sittlichen Interesses.
Vers 136: Allor si mosse, e io li tenni dietro
Inhalt: Vergil setzt sich in Bewegung – Dante folgt ihm.
• Dramaturgie: Der Canto endet mit Handlung. Die Reise beginnt.
• Allegorische Bedeutung: Der Mensch, geleitet von der Vernunft (Vergil), beginnt den Weg der Läuterung.
• Sprachlich: „li“ = Dativ (ihm), „tenni dietro“ = idiomatisch: folgte ihm – diese einfache Konstruktion schließt das erste Kapitel mit einer entschlossenen, aber noch unsicheren Geste ab.
GESAMTDEUTUNG DER SCHLUSSVERSE VON CANTO I
Diese letzten Verse markieren den entscheidenden Übergang vom Zustand der inneren Zerrissenheit zur Bewegung, zur Pilgerschaft. Dantes Entscheidung, Vergil zu folgen, ist nicht bloß eine Reise ins Jenseits, sondern Ausdruck eines metaphysischen Aufbruchs:
→ von Verwirrung zu Erkenntnis,
→ von Angst zu Vertrauen,
→ von moralischer Schwäche zu einem Weg der Umkehr.
Die Szene bündelt die zentralen Themen des Werkes: freier Wille, göttliche Führung, die Bedeutung des Leidens – und sie macht den Leser selbst zum Mitpilger.